Warum einfach, wenn es kompliziert auch geht

Ich gehöre zu den wenigen Linken, die zum Ja zur 13. AHV-Rente keine Freudentänze veranstalten, aber auch zu jenen, die das bürgerliche Trötzeln wie in der ‹Arena› des letzten Freitags schwer verstehen. Im Kommentar von diesem Mittwoch in der NZZ von Eveline Geisser trifft der Titel «Das Ja ist keine Kündigung des Generationenvertrags» meine Ansicht gut. Die folgende Passage aus dem Kommentar steht dazu allerdings im Widerspruch: «Vor allem viele Rentnerinnen dürfen sich freuen. Denn Frauen, die jahrzehntelang Kinder aufzogen, gebrechliche Eltern betreut und sich um soziale Anliegen gekümmert haben, sind im Alter häufiger von Armut betroffen: Der unabänderliche Lauf der Dinge ist es aber nicht.» Den letzten Satz unterschreibe ich selbstverständlich, der Rest stimmt leider nur bedingt. Ganz abgesehen davon, dass jene Frauen (und auch ein Teil der Männer) fehlen, die einfach in schlechtbezahlten Berufen arbeiteten, nutzt die 13. AHV-Rente oder die monatlich 8,3 Prozent mehr AHV diesen am wenigsten. Wer gegen 1700 Franken AHV pro Monat erhält, kann die zusätzlichen 150 Franken sicher brauchen, aber sie ändern an der prekären Lage wenig. Vor allem, wenn die zweite Säule fehlt oder diese Rente tief ist, was bei einer niedrigen AHV meist der Fall ist. Um ein Alter an der Schwelle zur Armut zu bekämpfen, gibt es faktisch nur ein Mittel: die Ergänzungsleistungen. Und zwar auf dem Niveau der Mindestlöhne von rund 4000 Franken und nicht auf dem Niveau der Sozialhilfe um 2500 Franken herum: Diese Zahlen beziehen sich auf Alleinstehende. Man kann die Ergänzungsleistungen anders nennen, man kann gerne auf die mitunter kleinliche An- und Abrechnung jeder zusätzlichen Einnahme verzichten. Nur: Wer den armen Alten und jenen, die in den nächsten zehn Jahren mit wenig Einkommen pensioniert werden, wirklich zu etwas mehr Gerechtigkeit verhelfen will, kommt für diese Generation um einen deutlichen Ausbau der Ergänzungsleistungen nicht herum. Die AHV ist nicht ganz so sozial, wie wir Linken immer meinen. Zwar verteilt sie Geld von oben nach unten, aber das Unten kann davon nicht leben, die Differenz zwischen der minimalen und der maximalen Rente ist nicht ganz ohne und um die maximale Rente zu erhalten, muss man schon recht gut verdient haben. Wie bereits erwähnt: Die Höhe der Rente der Pensionskasse läuft meist parallel zur Höhe der AHV. Wer rund 40 Jahre anständig bis gut verdiente, erhält in der Regel eine Rente der Pensionskasse in einer ähnlichen Höhe. Für die Pensionierten in den Einkommenskategorien zwischen 4000 und 8000 Franken (allein und zu zweit) ist die 13. AHV-Rente (um 2500 für Ledige, um 3600 für Paare) ein willkommener Zustupf, der die Teuerung vor allem der Krankenkassenprämien und teilweise auch der Mieten ausgleicht und den bisherigen Lebensstandard ermöglicht. Die Vertretung der Interessen dieser Schicht, zu der ganz viele Gewerkschaftsmitglieder gehören, ist ebenso legitim wie der Preis dafür: Die Pensionierten erhalten vier bis fünf Milliarden Franken mehr, die teilweise von der jungen Generation bezahlt werden.

Die AHV wird mit Lohnabzügen, Mehrwertsteuer und Beiträgen aus der Bundeskasse alimentiert. Sie ist derzeit im Gleichgewicht, aber logischerweise braucht die Kasse für die Mehrzahlungen Mehreinnahmen. Wie diese zu finanzieren seien, respektive wie auf keinen Fall, war Thema der ‹Arena› vom letzten Freitag. Cédric Wermuth (SP) als Gewinner plädierte vor allem für Ehrlichkeit und für eine Erhöhung der Lohnprozente. Für Diana Gutjahr (SVP) kommt keine Steuererhöhung infrage, sie will vor allem bei der Entwicklungshilfe und beim Asyl sparen, Andri Silberschmidt (FDP) macht bei einer Steuererhöhung nur mit, wenn punkto Erhöhung des Rentenalters auch etwas geschieht. Dies, obwohl die Initiative der Jungfreisinnigen zur Erhöhung des Rentenalters grandios gescheitert ist. Selbst wenn sich in ferner Zukunft eine Erhöhung des Rentenalters als das vermutlich geringste Übel für eine mögliche Sanierung erweist, hat diese in den nächsten zwei Jahren Jahren an der Urne keine Chance. Es trifft zwar zu, dass die Stimmenden eine allfällige Erhöhung der Mehrwertsteuer an der Urne versenken können, aber die Chance für ein Ja sind intakt, auch wenn die Bürgerlichen blocken. Wer Ja zur 13. AHV-Rente sagte, war sich schon bewusst, dass dies auch jemand bezahlen muss. Und dass mit «jemand» man auch ein bisschen selber gemeint sein könnte. Vorausgesetzt dieses «etwas mehr» wird halbwegs gerecht verteilt.

Die jetzige Kombination aus Lohnabzügen. Mehrwertsteuer und Bundesbeiträgen ist akzeptiert. Auch weil alle drei die Grossen und die Reichen mehr belasten, die Kleinen und die Ärmeren aber auch einen Beitrag leisten. Verteilt man die zusätzlich nötigen Einnahmen auf alle drei Komponenten, so hält sich erstens bei allen drei die Erhöhung in Grenzen und es wird ein verträgliches Gleichgewicht beibehalten. Selbstverständlich macht eine Angestellte keinen Freudensprung, wenn sie 0,1 oder 0,2 Prozent mehr vom Lohn abgezogen erhält, und für ein grösseres Unternehmen mit grossem Personalaufwand wie etwa einem Spital kann dies durchaus eine spürbare Mehrausgabe sein. Aber kaum für das kleine Gewerbe, wie Diana Gutjahr lauthals schrie und deswegen gar Arbeitsplätze in Gefahr sah. Da die Mehrwertsteuer einiges an Lebensnotwendigem tief besteuert, hält sich die Belastung für die Schlechtverdienenden in Grenzen und die Rentner:innen tragen auch ihren Teil zu den Mehreinnahmen bei. Das Gleiche gilt für den Bund: Die höheren Renten erhöhen die Steuern der Rentner:innen und davon profitiert auch der Bund. Wer nun wie Andri Silberschmidt sagt, der Mittelstand werde so belastet und damit werde die erwünschte Kaufkraft reduziert, hat zwar ein bisschen Recht, unterliegt aber einem Grundirrtum: Erstens trägt der Mittelstand in einem gesunden Staat seine Lasten selber, einfach nicht gleichmässig über das Lebensalter verteilt, und zweitens und hier entscheidender: Jede Erhöhung der Einnahmen – sei es mehr Lohn, Teuerungsausgleich oder nun eine 13. AHV-Rente – führt zu etwas höheren Abgaben. Die Frage ist, wieviel an Mehr bleibt und dies wäre bei der 13. Rente recht viel vor allem für den Mittelstand. Eine schlechte Pointe zum Schluss: Können sich die Parteien bis in einem Jahr nicht einigen und verzetteln sie sich in einen Streit um neue Steuerformen, erhalten ausgerechnet die Bezüger:innen der Ergänzungsleistungen die 13. Rente nicht, also jene, denen man mit grossen Worten ein würdiges Alter versprochen hat. 

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