Very drunk, very very drunk, very very very drunk»

Eine Dauerleihgabe des Sammlerpaares Agnes und Frits Becht ermöglicht es dem Kunst Museum Winterthur, die frühesten Schritte der Videokunst in Deutschland zu präsentieren, deren zentraler Akteuer offenbar Gerry Schum (1938 – 1973) war.

 

An der Wende der 1960er- und 1970er-Jahre war das Massenmedium Fernsehen noch auf wenige Ausstrahlungen in den Abendstunden beschränkt, und die Nationalhymne läutete den Sendeschluss ein. Für das Mitverfolgen von Grossereignissen bildeten sich noch Menschentrauben vor den Schaufenstern der Radio- und TV-Geschäfte, denn längst nicht jeder Haushalt nannte damals ein TV-Gerät sein eigen. Erschwerend zum happigen Gestehungspreis hinzu kam eine vor allem pädagogisch konnotierte Skepsis, die Television würde das Publikum verdummen.

 

In diesem Umfeld zum Gegenangriff zu blasen, erscheint rückblickend nicht evident. Fand aber auf zweimalige Auftragsvergaben von heute sogenannten dritten Sendeanstalten der ARD – namentlich des Senders Freies Berlin und des Südwestfunks Baden-Baden – an Gerry Schum, seine Partnerin Ursula Wevers und Bernd Höcke und Hannah Weitemeier, ein experimentelles Format zu entwickeln, das Videokunst sein sollte. Ausgestrahlt natürlich zu spätnächtlicher Randzeit. Die beiden je rund vierzigminütigen Sendungen «Land Art» (1969) und «Identifications» (1970) sollten aber sowohl Kunst- wie auch Fernsehgeschichte schreiben.

 

Entspannungsfernsehen

Lustigerweise ist heute Slow-TV mit stundenlangen Kamerafahrten aus dem Führerstand einer Lok durch die Landschaft und ähnliches etwa bei Playsuisse eine eigene Kategorie und erfreut sich wegen der kontemplativen Wirkung grosser Beliebtheit. Die in der Ausstellung Gerry Schum zugeschriebene Idee – alle anderen involvierten Personen werden ausser ihrer Erwähnung ausgeblendet –, die Kunst mit den beiden Ausstrahlungen einerseits zu kollektivieren und andererseits als Galerist und Produzent mit dem immer erschwinglicher werdenden Equipment, also auch der Abspielgeräte, einen Kunstmarkt etablieren zu wollen, stehen als Absichten einander eigentlich entgegen. Für die Galerie in Düsseldorf wurden damals junge Künstler (Frauen sind inexistent), heute grosse Namen, die aber nicht unbedingt mehr mit Film/Bewegtbild in Verbindung gebracht werden, beauftragt, Kunstkurzfilme zu drehen, die dann in einer signierten und je nachdem limitierten oder unlimitierten Auflage zum Kauf angeboten wurden. Die Werke kosteten, das zeigen Preislisten in Schaukästen, zwischen 500 und 2400 DM. Plus Kosten für die Kassette und die Überspielung pro Minute. Für den mit der stabilsten Leistung empfohlenen Videoplayer – von Sony – wurden damals dann nochmals knapp 3000 Deutsche Mark fällig. Plus das TV-Gerät. Sooo vom Kollektivgedanken durchtränkt war diese Idee nicht, was auch das ankündigende Versprechen von Gerry Schum in einer Einladungskarte verrät: «Unabhängig vom Markt wird der Preis jährlich um 20 Prozent erhöht.» Damit sollte der frühe Einstieg in die Sammlertätigkeit dieses erst richtig aufkommenden Mediums belohnt werden. Ökonomisch funktioniert hats nicht. Allerdings wird in der Ausstellung nicht erkennbar, ob Gerry Schums finanzieller Ruin der Ursprung oder die Folge seines Suizids war.

 

Sperriges Sammelgut

Noch heute ist die Sammelfähigkeit von Kunst als Bewegtbild nichts Breitenwirksames. Die Installationen benötigen viel Platz, Strom und viele der Videokunst herstellenden Personen von Pipilotti Rist bis Yves Netzhammer orientieren sich in ihren konzeptionellen Überlegungen nicht am Endverbraucher alias Sammler, sondern an der musealen Präsentation. Die damalige Aufbruchsstimmung einer technikbegeisterten Zukunftsgläubigkeit, die mit den Jahren des Wirtschaftswunders einherging, lässt es naheliegend wirken, die sich teils sprunghaft entwickelnde Technik allein unter dem Aspekt einer Chance wahrgenommen zu haben. Dass und wie es sich durchsetzen soll, konnte selbstredend nicht antizipiert werden. Also frisch drauflos. Die Videos im Erdgeschoss des Kunst Museums Winterthur sind aus der heutigen Perspektive regelrecht köstliche Zeit(geist)dokumente. Wenn etwa Gilbert and George in «Gordon’s Makes Us Drunk» (1972) im feinen Zwirn in nobler Umgebung einen Gin and Tonic nach dem anderen bechern und die Tonspur allein dadurch variieren, dass der Gin sie «very drunk», «very very drunk», «very very very drunk» mache und das der einzige an der Oberfläche erkenntliche Clou des Films darstellt, ist das überaus komisch und wirkt, wie viele andere der Werke, hinsichtlich der Unbedingtheit, mit der das Primat der Kunst proklamiert wird, auch leidenschaftlich subversiv.

 

«Gerry Schum Fernsehgalerie», bis 11.9., Kunst Museum Winterthur/Beim Stadthaus, Winterthur.

 

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