Verhalten und vorläufig

Die Neuinszenierung der Sammlung Bührle im Kunsthaus Zürich erinnert an eine Gesprächssituation, in der ein Gegenüber nach bereits längerer Debatte den eigenen Aussagen plötzlich einen fragenden Tonfall verleiht.

Jacques Picard (ehem. Bergier-Kommission) beschreibt den Umgang mit der eigenen Rolle der Schweiz mit dem Holocaust in der Nachkriegszeit in der Hörinstallation alias Resonanzraum so: «Man vergass, verdrängte, dass man vergass und vergass, dass man verdrängt hatte.» Guido Magnaguagno (ehem. Vizedirektor Kunsthaus) erzählt ebenda, dass nur schon der Name Emil Georg Bührle 1980 im Haus tabuisiert und totgeschwiegen wurde, insbesondere auch bezüglich der Geschichte der eigenen Verstrickung des Kunsthauses mit dem Kriegsgewinnler und Waffen­fabrikanten und hält das für einen Fehler. Die neue Direktorin Ann Demeester wiederholte an der Medieninformation über die erneuerte Präsentation dieser Sammlung mindestens dreimal, dass diese Schau nicht das finale Endprodukt darstelle, sondern: «Es ist erst ein Anfang.» Gegenüber der Tonalität der Pressekonferenz der Stiftung Sammlung E. G. Bührle vom Dezember 2021, worin sich der Stiftungsratspräsident Alexander Jolles auf die Feststellung versteifte, «juristisch ist das alles längst verjährt», und der damalige Direktor Christoph Becker auf kritisches Nachfragen zuletzt regelrecht die Contenance verlor, erweckt der heute veränderte Tonfall vonseiten der Zürcher Kunstgesellschaft den Eindruck einer Bemühung um Konsensfindung. 

Baustellencharme

Die Neupräsentation unter dem Titel «Eine Zukunft für die Vergangenheit. Sammlung Bührle: Kunst, Kontext, Krieg und Konflikt» vermittelt ihr provisorisches Wesen bereits szenografisch. An neun Stationen wird das Publikum zu sehr allgemeinen und etwas spezifischeren Fragen bezüglich seiner Erwartungshaltung an ein Kunstmuseum ganz allgemein bis zur institutionellen Verantwortung, die eigene Historie wiewohl jene der Provenienz der Kunstwerke inklusive der Sichtbarmachung der vorbesitzenden Parteien und ihrer Zwangslage, ihre Kunst überhaupt veräussern zu müssen, in einem Multiple-Choice-Verfahren um seine Meinung gebeten. «Es geht um das Benennen eines Zwiespalts», sagte Ann Demeester am Donnerstag vor einer Woche, dessen Aufschlüsselung fünf Prinzipen folge: Das Vermischen von Kunst und Geschichte, das Versammeln einer Vielstimmigkeit, die Sichtbarmachung einer Vielschichtigkeit, die Publikumsteilnahme und die Beibehaltung einer Dynamik im Prozess. Im Resonanzraum sind auch Stimmen vertreten, die meinen, «das Kunsthaus ist kein historisches Seminar», «die Kunst kann nichts dafür», dass man «Geschichte auch mal Vergangenheit sein lassen» müsse bis hin zu einer Publikumsreaktion auf einem blauen Bierdeckel an der Vermittlungswand im letzten Raum, die schlicht meint: «pecunia non olet» (Geld stinkt nicht).

Zwickmühle darstellen

Die aktuelle, betont unfertige Präsentation zeigt also zuallererst einmal auf, welche Fragen einer Beantwortung harren und welche gegenteilig wirkenden Kräfte respektive Interessen auf dem Weg zu einer Ausformulierung aufeinanderprallen. Die Zurückhaltung vonseiten der Kunstgesellschaft kann einerseits als vorauseilende Entschuldigung und Relativierung gelesen werden, wie sie im Vergleich zu früher im Gegenteil als Eingeständnis dafür angesehen werden kann, dass an entscheidender Stelle endlich eine Offenheit dafür besteht, dass noch eine weitreichende Transparenz- und Aufarbeitungsarbeit zu leisten ist. Denn nicht nur die sogenannte Neutralitäts-Historie der Schweiz während des Zweiten Weltkriegs trieft vor positivistischem Legendenwillen, sondern auch der hauseigene Stolz, eine Ausnahmehistorie als Künstlermuseum vorzuweisen, hinkt längst. Die Verstrickung der Kunstgesellschaft mit dem Blutgeld Bührles ist ebenso jahrzehntealt wie weitreichend, was meines Wissens seinerseits noch längst nicht wissenschaftlich aufgearbeitet ist. Dass ein wissenschaftlicher Beirat nicht mit dem eigenen guten Ruf für eine deklariert immer noch auf der Suche befindliche Auslegeordnung stehen will, ist nur schon von dieser Warte aus nachvollziehbar. Natürlich sind einzelne Sätze auf den Wandtexten über Emil Georg Bührle bereits sehr viel schärfer formuliert als in der ersten Ausstellungsversion, allerdings müssen sie auch über die ganze Ausstellung verteilt zusammengesucht werden. Wenn hier beispielsweise steht, dass er zusammen mit dem damaligen Direktor ins besetzte Paris reiste, um Impressionisten-Schnäppchenkäufe zu tätigen, ist das bereits deutlich vielsagender, wenngleich der Kontext, weshalb es diese Schnäppchen überhaupt gegeben hatte, auch noch in die Erzählung gehörte.

Opferperspektive

Bei der Opferperspektive gilt es festzuhalten, dass die Raumbeschriftung der sogenannt jüdischen Vorbesitzer eine Definition des Judentums übernimmt, die auf die Nürnberger Rassengesetze zurückgeht, die wiederum mit dem Ausspruch des Wiener Oberbürgermeisters Karl Lueger am trefflichsten auf den Punkt zu bringen sind: «Wer ein Jud’ ist, das bestimme ich.» Es in dieser Begrifflichkeit also weder um den Glauben, die Ethnie oder eine familiäre Konstellation geht, sondern alleine darum, wem ein sogenannt wertes Leben abgesprochen wurde und dies wahllos, willkürlich und was unumgänglich mit einer (drohenden) Vernichtung einherging.

Von daher ist auch verständlich, dass die verkürzten Beispielcurricula an den Wänden als Feigenblatt wahrgenommen werden können und die Forderung erklären, die bereits damals einer beabsichtigten Marginalisierung durch (drohende) Vernichtung zum Verschwinden gebrachten Leben nicht via eine höchstens unzulängliche Würdigung zum erneuten Mal ihrer Existenz zu berauben.

Provenienzforschung

Das Resultat der angekündigten rund 20 Exponate der Bührlesammlung, die der externe Provenienzforscher Raphael Gross einer erneuten Überprüfung unterzieht, wird voraussichtlich im nächsten Sommer kommuniziert. Je nach Verdikt, ob diese Stichproben der vorherigen Provenienzforschung von Lukas Gloor als dem aktuellen Anspruch der Forschung gemäss genügend angesehen werden kann oder nicht, eröffnet sich ein nochmals weiterer Fragenkatalog. In der hauseigenen Sammlung hängen neu Täfelchen an den Gemälden, deren Provenienz aktuell infrage steht. Bei über dreissig besteht ein Verdacht, der intern von Joachim Sieber und Team überprüft werden muss. Ein verändertes Selbstverständnis zeigt sich also auch im Moserbau, was darauf schliessen lässt, dass es Ann Demeester ernst ist, mit offenem Visier in die Debatte einzutreten.

«Eine Zukunft für die Vergangenheit. Sammlung Bührle: Kunst, Kontext, Krieg und Konflikt», Kunsthaus Zürich. Mittwochs ist der Eintritt frei und dann findet von 16.15 bis 18h das Format «Das Kunsthaus hört zu» statt.

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