Unsicherheit und Rituale

Die Präsentation des Budgets gehört zu den jährlichen Ritualen, die von allen Parteien sehr voraussehbare Reaktionen bewirken, die das Herz der FinanzpolitikerInnen höher schlagen lässt, den Finanzkommissionen der Parlamente drei hektische Monate beschert und den Parlamenten meist kurz vor Weihnachten viel Sitzleder abverlangt. Dabei besitzt das Budget eines Kantons oder einer Gemeinde meist wenig Spielraum: Im Gegensatz zu einer Offerte für einen Gegenstand, die ein Käufer ablehnen oder über zentrale Änderungen verhandeln kann, gleicht ein öffentliches Budget eher einer Rechnung für Bezogenes oder Feststehendes als einer Offerte. Ein Beispiel: Die Anzahl der SchülerInnen wächst im Kanton Zürich Jahr für Jahr. Die maximale Anzahl der SchülerInnen pro Klasse ist in vielen Gesetzen und Verordnungen geregelt, die durch den Budgetprozess nicht ausgehebelt oder verändert werden können, sondern nur in einem eigenen Beschluss. Trotzdem benehmen sich fast alle Parlamente und auch Exekutiven so, als ob bei der Budgetierung zentrale Weichen gestellt würden. Dabei zeigen Rituale durchaus die Tendenz, Verschiebungen aufzeigen zu können. Auch hier ein Beispiel: Rechnet, respektive beantragt der Kanton zusätzliche Stellen, beanstanden dies FDP und SVP, bevor sie überhaupt darüber nachgedacht haben. Deuten CVP und Grünliberale ein Missbehagen über die Zusatzstellen an, wird es für die Regierung ernster. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Teil (ein gewisser Spielraum existiert) für das nächste Jahr nicht bewilligt wird, vergrössert sich, und vor allem registrieren die betroffenen Regierungsrät­Innen den Widerstand und werden weitere Stellenerhöhungen in den nächsten Jahren noch vorsichtiger angehen. Aber nochmals: Spielraum und Entscheidungsmöglichkeiten haben die Parlamente bei den meisten Entscheiden unter dem Jahr mehr als beim Budget, bei dem im Wesentlichen Beschlossenes in Zahlen gegossen wird.

 

Das alles gilt auch für die Budgetpräsentation des Kantons Zürich durch Finanzdirektor Ernst Stocker vor einer Woche. Dieses Jahr störte Unsicherheit allerdings das Ritual, die Situation ist für die Verantwortlichen in der Finanzdirektion ziemlich verflixt. Corona hat zwar auf Kantonsebene wirtschaftlich sehr wenig Wirkungen hinterlassen, ist aber als Drohung noch präsent. Tatsache ist eine Teuerung, und es drohen eine Energiekrise oder zumindest sehr hohe Energiepreise. Gleichzeitig läuft es wie geschmiert: Die Wirtschaft bewegt sich auf Hochtouren, die Arbeitslosigkeit liegt auf Rekordtief, die Steuern und Gebühren sprudeln, gleichzeitig stellen Wirtschaft und Organisationen Forderungen, um Einbussen durch die erwartete Energiekrise zu kompensieren oder zumindest abzufedern.

 

In einem Sommerporträt im ‹Tages-Anzeiger› zeigte sich Ernst Stocker recht pessimistisch, was die Auswirkungen des Krieges und auch der Teuerung betrifft. Sollen er und seine Mitarbeitenden diesen Pessimismus, für den nachvollziehbare Gründe vorliegen, in das Budget einarbeiten? Und wenn, wie?

 

Er und die Regierung entschieden sich – zumindest vorläufig – für ein normales Budget. Die guten Abschlüsse der letzten Jahre und auch die Aussicht für dieses Jahr dienten dabei als Rückhalt. Sie berechneten die Einnahmen aufgrund der bisherigen Entwicklung (samt Befragung vieler Unternehmen), liessen die Investitionen auf der Höhe von 1,4 Milliarden Franken stehen und nahmen den Zuwachs von knapp 1400 Stellen zur Erfüllung der Aufgaben in Kauf. Das Resultat lässt sich sehen, zumal die Einnahmen stärker als die Ausgaben zunehmen, auch wenn für das kommende Jahr ein Defizit von 113 Millionen Franken budgetiert ist und in den kommenden Jahren ebenso rote Zahlen anstehen – was allerdings in diesem Stadium der Planung immer der Fall ist.

 

Ernst Stocker wies allerdings darauf hin, dass das Budget nach dem Novemberbrief (in diesem werden dem Parlament Korrekturen angezeigt) deutlich anders aussehen könnte. Neben der Energiekrise entscheiden dies zwei derzeit noch unbekannte Faktoren: Im Budget wird mit einer Teuerung von 1,9 Prozent gerechnet, was ganz sicher zum vollen Teuerungsausgleich nicht reichen wird. Ein unvollständiger Teuerungsausgleich ist bei der guten Finanzsituation des Kantons rechtlich schwer zu begründen und beim Fachkräftemangel auch praktisch schwer umsetzbar. Der zweite Faktor: Die Nationalbank zahlt derzeit rund 600 Millionen Franken an den Kanton Zürich. Diese Auszahlung könnte wesentlich tiefer ausfallen.

 

Im Frühling wird im Kanton Zürich gewählt. Somit ist das Budget für die Parteien eine zusätzliche Möglichkeit, ihre Positionen pointiert darzustellen. Ein Knackpunkt dabei ist der Steuerfuss. Die Regierung selber plant für das Jahr 2024 eine Senkung um 2 Punkte und die zweite Senkung der Unternehmensgewinnsteuer. Was den sofortigen Protest der Linksparteien hervorruft. Sie wollen eine Entlastung der unteren und mittleren Einkommen. Mehr Investitionen ins Klima und in Krippen. Der Konflikt um die Steuerhöhe wird diesen Herbst lediglich theoretisch ausgetragen, da im Kanton der Steuerfuss nur alle zwei Jahre festgesetzt werden kann und das erst nächstes Jahr wieder der Fall ist. Die Entscheidung fällt also bei den Wahlen im Frühling. 

 

Dabei existiert auch ein innerbürgerlicher Konflikt: Ernst Stocker wehrte sich (selbstverständlich ohne Namensnennung) vehement gegen die Behauptung von Peter Grünenfelder, der Kanton habe in den letzten Jahren Steuern auf Vorrat erhoben. Der Kanton habe sinnvollerweise Schulden abgebaut. Oder anders gesagt: Der Bauer und SVP-Mann Ernst Stocker möchte zwar auch tiefe Steuern, aber er gewichtet einen soliden und leistungsfähigen Staat deutlich höher als der FDP-Mann von Avenir Suisse. Die geplante Steuerfusssenkung der Regierung ist ihrer bürgerlichen Mehrheit geschuldet und gilt nur bei einer guten Entwicklung. Ernst Stocker trat hier den Wahrheitsbeweis bereits an: Er verzichtete vor zwei Jahren auf eine angekündigte Steuerfusssenkung. Klar ist allerdings auch: Wird Peter Grünenfelder gewählt und gewinnen FDP und SVP bei den Wahlen, sind grössere Steuerfusssenkungen auch wider alle Vernunft wahrscheinlich.

 

Bei der Budgetierung wird mit grosser Wahrscheinlichkeit ein Streit um die zusätzlichen Stellen entbrennen, obwohl die Vermehrung nicht bei der eigentlichen Verwaltung vorgesehen ist. Möglicherweise wird die Klimaallianz sich bei zusätzlichen Investitionen finden.

 

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