Ambivalenzen

«Ist das jetzt kulturelle Aneignung oder gelungene Integration», fragt Uta Köbernick in ihrem neuen Programm, in dem sie zwei Stunden lang vermeintlichen Gewissheiten eine Rutschpartie auf dünnem Eis gönnt.

 

Auf eine grosse Ungewissheit lässt sich Uta Köbernick auch bezüglich der Liederwahl ein. 83 Karteikärtchen zählt sie laut vor und blättert diese ähnlich eines Daumenkinos durch, bis jemand Stopp! ruft. Ob die drei folgenden musikalischen Darbietungen eine thematische Schlüssigkeit ergeben oder diese erst durch spontan wirkende Conférencen zurechtgebogen werden muss, entscheidet sich Abend für Abend neu.

 

Überhaupt scheint ihr das klassische Kabarettsetting von geistreich formulierter Systemkritik im Dienste der intellektuellen Unterhaltung und – bisweilen noch wichtiger – der Bestätigung für ein Publikum, die richtige Haltung verinnerlicht zu haben, nicht die eben adäquate Form, um den reihum grassierenden Verunsicherungen zu begegnen. Das ist natürlich ebenso klug wie auch waghalsig, birgt die Gefahr von entgleitenden Pointen und nimmt auch jedes Missverständnis in Kauf. Also auch die Überforderung ihres Publikums. Sie beginnt mit einer Lesung und sucht, die Erfüllung jeder Erwartungshaltung antizipierend, zuerst mal nach der dazu passenden, sonoren Stimme. Findet sie nicht. Liest trotzdem. Verknüpft Enttäuschungen zu Weihnachten als Kind in der DDR mit eine Mutter locker aus dem Tritt bringenden trocken-träfen Bemerkungen des eigenen Kindes. Passend zum Titel trägt sie Pyjama und keine Frisur, denn die Inhalte sind immer noch wichtiger als jede Erscheinung. Selbst wenn diese teilweise die Toleranzgrenze eines Pu­blikums auf die Probe stellen, weil existenzielle Fragen eben häufig mehr als bloss eine mögliche Reaktion erlauben. Wer recht bekommen will, braucht schliesslich gar nicht zu fragen. Das Programm ist im besten Sinn von einer kindlichen Offenheit, die auch Fragen ausserhalb jedes Trampelpfades erlaubt, und das nicht nur bezüglich eines Gottesbeweises. Dabei hat sie wie stets den Menschen aus der Realität aufs Maul geschaut, nur dass diese heutzutage eben dem Werweissen und Abwägen, Umdenken und Fünfe-geradesein-Lassen nicht mehr ebenso freudig offen gegenüberstehen wie dem auf Gerüchten basierenden Wissen und der dazu passenden Bereitschaft, die Erregung vor die reifliche Überlegung zu stellen. Ihre Kunstfigur Jasmin ist ein Paradebeispiel dafür, wie schwierig Kommunikation sein kann.

 

Erst zum Schluss dieser wild mäandernden Nummer mit haufenweise unglücklichen Formulierungen einer bis anhin total unpolitischen Person, die sich jetzt ein Herz gefasst hat und einen Rundumschlag wagt, kann, wenn überhaupt, so etwas wie ein Urteil folgen. Weil aber Jasmin allzumenschlich ungelenk agiert und meist nur sinngemäss einzelne Nägel auf die Köpfe trifft, trifft einen ihr Auftritt unvorbereitet. Man wird ertappt, sich für was Besseres zu halten, obschon nichts dafür spricht. Und die Nummer ist eine regelrechte Übungsanlage, eine Gelassenheit und damit das Wirkenlassen von Einzelaussagen vor jeden Affekt alias Reaktion zwischenzuschalten, notfalls sogar mal gar nichts anzumerken, weil der Gedankengang der zweifelsfreien Einordnung gar nicht in dem Tempo, das Uta Köbernick vorlegt, ernsthaft betrieben überhaupt zu schaffen ist. Das Aushalten von Unsicherheiten, eigentlich ja sogar das Hochlebenlassen von Differenzen kann hier im Schutzraum einer Bühnensituation erst mal erprobt werden. Nötig scheints, schaut man sich so um. Ob man als Pu­blikum dieselbe traumwandlerische Sicherheit wie Uta Köbernick je erreichen wird, das Ausreizen von Ambivalenzen innerhalb der Toleranz so souverän pointiert und zeitgleich ernsthaft und aufrichtig interessiert zu verinnerlichen, steht auf einem anderen Blatt.

 

«Köbernick gehts ruhig an (Das Programm)», 2.9., Comedyhaus, Zürich. Tourdaten: www.koebernick.ch

 

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