Umweltfreundlich Wälder roden

Die neuen Pläne für die Erweiterung der Deponie Chalberhau sorgen für gemischte Reaktionen: von vorsichtigem Optimismus über Frustration bis Wut.

«Rümi bleibt» und «gegen Abrissbagger in Wald und Quartier» war an Ostern auf Transparenten im Rümlanger Wald zu lesen. Aktivist:innen der Gruppe «WaldstattSchutt» hatten hoch oben in den Bäumen einen defensiven Hochsitz aufgebaut, gegen die Erweiterung der Deponie Chalberhau und gegen die Rodung des kleinen, zwischen Autobahn, Gleis und Industrie eingepferchten Förstchens, das an die Deponie angrenzt (siehe P.S. vom 14. April). Der «Rümi»-Wald müsse unberührt bleiben, forderten sie, um die seltene Flora und Fauna – Dutzende uralte Eichen und bedrohte Arten wie der Plattnasen-Holzrüssler und der Mittelspecht – zu schützen. Zwei Wochen verharrten die Besetzer:innen in den Bäumen, bis die Polizei die Wald-WG ziemlich unzimperlich per Polizeihund und Gummischrotgewehr räumte. 

Die Besetzung verfehlte ihre Wirkung aber nicht: Das auf den ersten Blick kaum bemerkenswerte Waldstück fand durch sie ihren Weg in den öffentlichen Diskurs, linksgrüne Parteien solidarisierten sich mit den Aktivist:innen. Und am vergangenen Montag gaben Kanton und die zuständige Baufirma Eberhard bekannt, dass man bei der Erweiterung der Deponie einlenke. Ein bisschen zumindest. 

In Zahlen ausgedrückt ist das Bisschen zweieinhalb Hektaren gross. Statt der ursprünglich geplanten Rodung von 10,5 Hektaren Wald und 1500 Bäumen sieht der neue, als umweltschonend angepriesene Plan «nur» das Kahlschlagen von 8 Hektaren und 1000 Bäumen vor. Besonders auf die alten Eichen werde im neuen Projekt «Chalberhau Mitte», das sich beim Kanton gegen 9 andere Vorschläge durchsetzte, mehr Rücksicht genommen, wie Michael Bebi, Leiter Ressourcen bei Eberhard, sagt. Heisst: Statt 32 werden 13 Exemplare gefällt. Ausserdem sollen um die Eichen wohnhafte Fledermäuse umquartiert und die gerodeten Bäume durch das Pflanzen von Bäumen in einem Wald bei Rheinau im Zürcher Weinland ersetzt werden. Diese Ersatzmassnahmen verlangt das Waldgesetz. 

Die Kantonsrätin Wilma Willi (Grüne) ist von der Präsentation der neuen Chalberhau-Pläne positiv überrascht: «Die Tonalität hat sich geändert. Dass am Montag plötzlich nicht mehr nur wir Naturschützer:innen und die Baudirektion, sondern auch die Vertreter der Firma Eberhard einen Fokus auf die Naturwerte gelegt haben, empfinde ich als wichtigen Schritt.» Es müsse zwar noch einiges geklärt werden, betont Willi, zum Beispiel, was mit der Bewirtschaftung des umliegenden Waldstücks passiere oder welche Lebensräume genau von der Erweiterung in ihrer aktuellen Form tangiert seien, aber: «Man merkt, dass die Behörden und die ausführende Firma Zeit und Ressourcen investiert haben, um eine akzeptable Lösung zu suchen, und dafür bin ich dankbar.» 

An der falschen Wurzel angepackt

Judith Stofer, die im Mai zusammen mit Willi eine Anfrage zum Thema Chalberhau an den Regierungsrat gestellt hat, ist anderer Meinung: «Es bringt doch nichts, ‹nur› 1000 anstatt 1500 Bäume zu fällen», findet die AL-Kantonsrätin. Die einzig richtige Strategie sei, den Wald ganz in Ruhe zu lassen. «Es handelt sich hier nicht um Pappeln, die in einigen Jahren wieder nachgewachsen sind, sondern um wertvolle, uralte Eichen, die für die Biodiversität eminent wichtig sind und nur sehr langsam wachsen.» Aus diesem Grund gleicht für Stofer die Ersatzmassnahme, im Zürcher Weinland neue Eichen zu pflanzen, einer Farce – genau wie das ursprüngliche Projekt: «Dass man jetzt eine Kompromisslösung finden konnte zeigt, dass die ursprüngliche Planung eine überdimensionierte Luxusvariante war, die wie auf einem Basar heruntergehandelt werden kann.» 

Stofer sieht den eigentlichen Handlungsbedarf an der Wurzel des Deponie-Platzmangels: «Würden wir weniger Gebäude abreissen und durch Neubauten ersetzen, hätten wir auch weniger Bauschutt, der die Deponien überfüllt. Es kann doch nicht sein, dass wir im Luxus ertrinken und dadurch die Natur zerstören.» Immerhin, so Stofer, gebe es noch die Möglichkeit, per Einsprache und mit Rechtsmitteln gegen die Chalberhau-Erweiterung vorzugehen.

Mindestens so unzufrieden zeigen sich die Aktivist:innen von WaldstattSchutt: Es habe sich trotz einigen Anpassungen am Projekt substanziell nichts geändert, lassen die Besetzer:innen auf Telegram verlauten. Auch den von Willi gelobten Fokus auf Naturwerte kaufen sie der Firma Eberhard nicht ab. Stattdessen habe sich der CEO der Baufirma in seinen Klimaschutzbegehren bloss «während 20 Minuten selbst abgefeiert.» Ihr Verdikt: «Bullshit.» 

Frühestens ab Sommer 2024 ist der Baustart im Rümlanger Wald geplant. Nach den Sommerferien liegt die Auflage für die Bevölkerung öffentlich vor. 

Dieser Artikel, die Honorare und Löhne unserer MitarbeiterInnen, unsere IT-Infrastruktur, Recherchen und andere Investitionen kosten viel Geld. Unterstützen Sie die Arbeit des P.S mit einem Abo oder einer Spende – bequem via Twint oder Kreditkarte.