Thema mit Variationen

Erstens: In einem Interview in der ‹NZZ am Sonntag› vom 8. Mai macht der Chef des Agrarkonzerns Syngenta, Erik Fyrwald, eine inte­ressante Aussage: Er erklärt, die Menschen in Afrika müssten Hunger leiden, weil hierzulande immer mehr Menschen Bio-Lebensmittel konsumieren wollten. Zweitens: Am kommenden Sonntag stehen sowohl in der Stadt wie auch im Kanton Zürich Vorlagen zum Klimaschutzziel Netto-Null zur Abstimmung. Drittens: Die seit 30 Jahren von Rot-Grün regierte Stadt Zürich fasst in Sachen Velofreundlichkeit erneut die Rote Laterne: Das hat die aktuelle Online-Befragung ergeben, die Pro Velo Schweiz, der Dachverband der lokalen und regionalen Verbände für die Interessen der VelofahrerInnen, alle vier Jahre durchführt.

 

Fangen wir mit dem Chef der Syngenta an, die seit fünf Jahren Chem China gehört. Im Interview in der ‹NZZ am Sonntag› spricht Erik Fyrwald zuerst die aufgrund des Krieges in der Ukraine gestiegene Gefahr an, «dass wir in eine weltweite Ernährungskrise geraten». Wir hätten zurzeit vor allem ein logistisches Problem, betont er. Denn die Getreidespeicher in der Ukraine sind gut gefüllt, doch die Ware kann wegen des Krieges nicht verschifft werden. Was aber hat das mit der Bio-Produktion in der Schweiz zu tun? Erik Fyrwald holt weit aus: Wir müssten die Bauern rund um die Welt unterstützen, und wir sollten ihnen Mittel zur Verfügung stellen, die helfen, die Erträge zu erhöhen und die Resistenz gegen Wetterextreme zu stärken. Dafür bräuchten wir Technologien wie die Genom-Editierung. Zudem verlören «Bauern auch in der Schweiz (…) einen signifikanten Teil ihrer Ernte, weil gewisse Pflanzenschutzmittel verboten wurden». Im Biolandbau könnten die Erträge obendrein, je nach Produkt, um bis zu 50 Prozent tiefer ausfallen. Und weiter: «Biolandbau benötigt grössere Flächen, zudem müssen Äcker in der Regel gepflügt werden, was den CO2-Ausstoss erhöht. Und auch in der Biolandwirtschaft werden Pestizide im grossen Stil eingesetzt. Sie sind allerdings weniger effizient.» 

 

Darüber, wie viele Prozent der Ernte auf dem Weg vom Produzenten zur Konsumentin verloren gehen, sagt der Syngenta-Chef in der ‹NZZ am Sonntag› nichts. Auch nicht darüber, wie viel Energie die Herstellung von Kunstdünger, Pestiziden etc. verbraucht. Er lässt offen, dass die Preise für Stickstoffdünger bereits vor dem Ukraine-Krieg stark gestiegen sind, wegen der Preissteigerung beim Erdgas nämlich. Erdgas ist als Energiequelle und als Rohstoff essenziell für die Herstellung von Ammoniak, und Ammoniak wiederum ist der Grundstoff für die meisten Stickstoffdünger. Und der Syngenta-Chef sagt auch nichts darüber, welche Umweltprobleme die Düngerherstellung verursacht: Deren Beseitigung im Zürichsee, vor der ehemaligen «Chemischen» von Uetikon am See, kostet zum Beispiel 25 Millionen Franken (siehe Artikel Seite 10).

 

Aber wenn die Biobauern ins Spiel kommen, hat das noble Schweigen ein Ende: Sie müssen mehr pflügen als konventionelle Bauern und verursachen dabei schädliches CO2! Sprich: Wenn der Bauer brav Mittel versprüht, deren Produktion Erdgas-abhängig ist und von denen er – auch als Folge der Wetterextreme, die der Klimawandel verursacht – immer mehr braucht, dann tut er seinen Kulturen und den Menschen in Afrika etwas Gutes. Wer aber sein Getreide oder Gemüse lieber nicht gen- und spritzmitteltechnisch resistent machen möchte, sondern mit natürlichen Mitteln zur Bodenverbesserung und zur Schädlingsbekämpfung arbeitet, ist ein Egoist und/oder eine Träumerin, die mit ihrem Biofimmel den Menschen in Afrika schadet.

 

Nebenbei bemerkt: Die Syngenta-Group hat im ersten Quartal 2022 ausgezeichnet gewirtschaftet, wie ihrer Medienmitteilung vom 28. April zu entnehmen ist. «Agrarprodukte und Dienstleistungen zur Bewältigung der Folgen des Klimawandels und der zunehmenden globalen Nahrungsmittelkrise als Wachstumstreiber», heisst es da. Der Umsatz wuchs im 1. Quartal gegenüber dem Vorjahr um 26 Prozent (1,8 Milliarden US-Dollar) auf 8,9 Milliarden US-Dollar. Das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (EBITDA) lag bei 1,9 Mrd. US-Dollar und damit um 25 Prozent höher als ein Jahr zuvor. Weitere Eckpunkte gefällig? Sie lauten etwa, «Umsatzanstieg von 21 Prozent im Geschäft mit biologischen Pflanzenschutzmitteln» oder «Preisanpassungen und verbesserte Produktivität kompensieren signifikant höhere Logistik- und Beschaffungskosten».

 

Damit zum kommenden Sonntag: Das Netto-Null-Ziel soll sowohl in der Kantonsverfassung wie auch in der Gemeindeordnung der Stadt Zürich verankert werden. Die Ausgangslage ist klar: Gemäss dem Klimaabkommen von Paris muss die Erderwärmung auf 1,5 Grad begrenzt werden, damit sich die schlimmsten Folgen der Klimaerwärmung abwenden lassen. Das ist jedoch mit den Zielen, die aktuell in der Gemeindeordnung beziehungsweise Kantonsverfassung verankert sind, nicht möglich. Wir müssen rasch einen Zacken zulegen, sonst reicht es nicht: «Insgesamt wird mit Investitionen von rund 520 Millionen Franken pro Jahr gerechnet, die von Wirtschaft, Privaten und der öffentlichen Hand gemeinsam getätigt werden», heisst es etwa im Abstimmungsbüchlein der Stadt.

 

Zusammengefasst: Die Symptome des Klimawandels mittels Dünger- und Pestizideinsatz zu bekämpfen, scheint ein lukratives Geschäft für die Privatwirtschaft zu sein. Geht es hingegen an die Beseitigung der Ursachen des Klimawandels, ist der Staat und damit die Steuerzahlerin immer mitgemeint.

 

Und schlieslich noch zur Stadt Zürich, die einfach nicht richtig in den Velosattel kommt. Wobei sie die übliche Haue, die sie in der Pro-Velo-Umfrage jeweils bekommt, auch schon mehr verdient hat als 2022: Es geschieht ja nicht mehr nichts, bloss geschieht es immer noch viiiiel zu langsam.

 

Zum Glück gibt es aber auch gute Nachrichten. Die erste ist für all jene relevant, die finden, in Zürich Velo zu fahren sei heute noch zu gefährlich: Je mehr VelofahrerInnen in einer Stadt unterwegs sind, desto besser sind sie geschützt. Es braucht eine «kritische Masse» an Velos, dann werden sie von den AutofahrerInnen wahr- und ernstgenommen und als Folge davon auch weniger häufig abgedrängt oder übersehen. Also nichts wie losgeradelt! Die zweite gute Nachricht geht an alle velofahrenden Biogemüse-EsserInnen: Wenn sie schon «dem Klima schaden und den Landverbrauch fördern», wie Erik Fyrwald sagt, dann kosten sie die Gesellschaft wenigstens andernorts weniger Geld: Velofahren ist gesund, wer regelmässig Velo fährt, schläft besser und hat seltener Übergewicht. Und drittens, an alle: Velofahren steigert zwar den Umsatz und Gewinn von Syngenta kaum. Aber es macht glücklich!

 

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