Steinerne Statuten oder Fels in der Brandung?

Die Statuten einer Genossenschaft sind fast schon heilig; wer sie ändern will, muss manchmal hohe Hürden nehmen. 

 

Simon Muster

Wirklich spannend sind Generalversammlungen selten, und wenn sie wegen der Pandemie noch brieflich stattfinden, erwartet kaum jemand ein Feuerwerk. Anders aber bei der Wogeno-Generalversammlung vom 29. Juni: «Nach einem knappen Jahr Zusammenarbeit und zwei Tagen Retraite hat der Vorstand entschieden, dass Theodor Schmid nicht zur Wiederwahl empfohlen wird.» So stand es in den Wahlunterlagen, die an die rund 5000 Wogeno-GenossenschafterInnen versendet wurden. Ein Vorstandsmitglied, das von seinen KollegInnen nicht zur Wiederwahl empfohlen wird: Was ist passiert? 

 

Happige Vorwürfe

Seit der letzten Generalversammlung war die ‹Arbeitsgruppe Denkpause›, eine lose organisierte Oppositionsgruppe, die seit 2018 aktiv auf angebliches Fehlverhalten des Vorstands aufmerksam macht, mit drei Mitgliedern im Vorstand vertreten. Als sie ihr Amt vergangenen September antrat, habe sie ein Gremium voller Misstrauen, Vorurteilen und Verletzungen vorgefunden, sagt Präsidentin Anita Wymann. Inzwischen aber hätten sich alle zusammengerauft. Nun ja, fast alle: Theodor Schmid, einer der drei Mitglieder aus dem Umfeld der ‹AG Denkpause›, lähme mit seinem dominanten, destruktiven und nicht zielführenden Verhalten die Arbeit. Auch dies stand so in den Wahlunterlagen. 

Happige Vorwürfe, die Theodor Schmid klar von sich weist. «Diese persönlichen Attacken sollen vom Inhalt unserer Kritik ablenken.» Er sei von Beginn weg angegriffen und ausgegrenzt worden. Zur Kritik, er habe den Vorstand mit seinem Verhalten gelähmt, meint Schmid: «Als destruktiv und nicht zielführend angekommen sind offenbar meine regelmässigen Hinweise, wenn Vorhaben und Vorgehensweisen die geltenden Statuten und GV-Beschlüsse verletzen.» Er habe sich oft zu Wort gemeldet, aber er sei auch derjenige im Vorstand, der den Laden am besten kenne. Schliesslich habe er auch etliche Jahre auf der Geschäftsstelle gearbeitet. 

Die Strategie des Vorstands war trotzdem erfolgreich: Theodor Schmid wurde mit 59 Ja-Stimmen zu 632 Nein-Stimmen deutlich nicht wiedergewählt. Die beiden anderen Mitglieder aus der ‹AG Denkpause› wurden hingegen wiedergewählt.

 

Steinerne Klausel

Ist der Sturm im Genossenschaftsterrarium also vorüber? Nicht ganz, denn der zwischenmenschliche Eklat im Vorstand überschattet einen grundlegenderen Konflikt um die Statuten. Ein Hauptkritikpunkt der ‹AG Denkpause› ist nämlich, dass die Wogeno zum Teil zu hohe Mieten einzieht. Dazu Wymann: «Tatsächlich gibt es Diskussionen mit einem Hausverein, weil in den Statuten eine veraltete Mietzinsberechnung festgeschrieben ist. Das versuchen wir seit längerem zu ändern». Der Haken? Für eine Änderung der Statuten müssen drei Viertel der an der Generalversammlung anwesenden Mitglieder zustimmen. Solch ein Quorum ist normal, wenn auch höher als gesetzlich vorgesehen: Das Obligationenrecht sieht für wichtige Beschlüsse ein Quorum von mindestens zwei Drittel der Anwesenden vor. Damit soll verhindert werden, dass eine einfache Mehrheit das Regelwerk der Genossenschaft ändern kann.

Bei der Wogeno steht aber ein Teil der Statuten noch unter einem deutlich höheren Quorum. Wer etwa die allgemeinen Grundsätze ändern möchte, muss vier Fünftel aller Genossenschaftsmitglieder überzeugen – unabhängig, ob diese an der Generalversammlung anwesend sind. «Bei einem so hohen Quorumsschutz spricht man von einer sogenannten petrifizierenden, also versteinerten Klausel», erklärt Peter Forstmoser, Rechtswissenschaftler und Experte für Gesellschafts- und Genossenschaftsrecht. Die Idee hinter solchen Klauseln sei es gerade, dass gewisse Grundsätze nicht geändert werden können. Als der Wogeno-Vorstand noch unter dem alten Präsidium das Quorum umgehen wollte, ging die ‹AG Denkpause› vor Handelsgericht – und gewann. «Das überrascht mich nicht», meint Peter Forstmoser. Das Quorum erfülle genau die Funktion, die die GünderInnen wohl vorgesehen hätten. 

 

Die Wogeno ist gewachsen

Auch andere Wohnbaugenossenschaften, deren Statuten P.S. gesichtet hat, sehen zum Teil hohe Hürden für Statutenänderungen vor. Wer etwa bei der Genossenschaft Kalkbreite die Nachhaltigkeitsklausel streichen will, braucht vier Fünftel der abgegebenen Stimmen, wobei mindestens 20 Prozent aller GenossenschafterInnen an der Generalversammlung anwesend oder vertreten sein müssen. Für die allgemeinen Grundsätze, wie etwa die Gemeinnützigkeit oder den Genossenschaftszweck, reichen drei Viertel der Anwesenden. 

Etwas lockerer geht die Genossenschaft Dreieck mit Veränderung um: Für Statutenänderungen ist die Zustimmung von zwei Drittel der abgegebenen Stimmen notwendig. Nur bei grösseren Entscheidungen, etwa dem Verkauf einer Liegenschaft, müssen drei Viertel der abgegebenen Stimmen vorhanden sein.

Anita Wymann ist überzeugt: «Ein Teil der Statuten ist für eine Genossenschaft in der Grösse der Wogeno nicht mehr zeitgemäss.» Fakt ist: Die Wogeno ist gewachsen, die rund 5000 GenossenschafterInnen besitzen zurzeit 72 Liegenschaften mit 498 Wohnungen und Gewerberäumen. Der hohe Quorumsschutz erschwert gewisse Statutenänderungen und verunmöglicht andere. Gleichzeitig vertritt die Wogeno Ziele wie etwa die Selbstverwaltung aller Häuser durch die Hausgemeinschaft, die in den Statuten verbrieft sind. Eine Lockerung des Quorumsschutzes könnte – so die Sorge von Theodor Schmid – die Schleusen für eine Verwässerung dieser Grundsätze öffnen.

Wie geht es also weiter? «Als nächstes werden wir jetzt einigen Pendenzen abarbeiten», sagt Anita Wymann. Dann müsse der Vorstand sich überlegen, wie er 4000 GenossenschafterInnen von seiner Vision überzeugen könne. «Aber brieflich, sonst müssen wir das Hallenstadion mieten», meint Wymann scherzhaft. 

Für Theodor Schmid ist die Generalversammlung hingegen noch nicht vorbei, er wird das Wahlprozedere des Vorstands voraussichtlich auf juristischem Weg beanstanden. Wichtiger sind ihm aber die Inhalte: «Ich freue mich auf baldige Traktandierung der 2019 durch die ‹AG Denkpause› eingereichten GV-Anträge. Die sind dazu gedacht, aus der vorliegenden Sackgasse hinauszuführen».

 

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