Start ins neue Amtsjahr

Die erste Sitzung des Amtsjahres steht jeweils ganz im Zeichen der Wahl des neuen Präsidiums, samt nachfolgenden Festivitäten. Am Mittwochabend dauerte es allerdings seine Zeit, bis sich der Zürcher Gemeinderat dem üblichen Ablauf widmen konnte.

Es waren zwei Fraktionserklärungen angemeldet an dieser ersten Sitzung des Amtsjahres 2023/24 des Zürcher Gemeinderats vom Mittwochabend. Thema: die «Nachbearbeitung» des 1. Mai. Die Fraktionserklärung der SVP war hauptsächlich eine Danksagung an die «Frontpolizisten», die den «anspruchsvollsten, härtesten und gleichzeitig auch erfüllendsten Job aller Stadtangestellten hätten. Samuel Balsiger, der die Erklärung verlas, betonte: «Die Gewalt geht von den militanten Linksextremen aus.» Walter Angst verlas die Fraktionserklärung der AL mit dem Titel «Das Auge-Ausschroten muss aufhören». Der Einsatz von Gummischrot gegen die Menge im eingekesselten Kanzleiareal sei «unverzeihlich». In einer persönlichen Erklärung warf Luca Maggi (Grüne) den Bürgerlichen «Whataboutism» vor: «Ihr erzürnt euch über jede Demo, aber schaut weg, wenn die Polizeigewalt überbordet.» Andreas Egli (FDP) entgegnete, er hätte eigentlich erwartet, dass Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart etwas dazu sage, aber dass sie das «natürlich wieder nicht macht, ist man sich ja unterdessen gewohnt». Was sie denn noch hätte sagen sollen, liess er offen – dass der Einsatz vom 1. Mai genau untersucht wird, hat sie ja längst bekannt gegeben. Dafür betonte Andreas Egli mal wieder, die Linken täten so, als gebe es keine linksextreme Gewalt, sondern nur Polizeigewalt. Und so ging die Debatte noch eine Weile hin und her.

Kurzkommentar 

Es war einmal ein Überfall der Neonazis der ‹Jungen Tat› auf eine Veranstaltung für Kinder im Tanzhaus. Daraufhin gingen von der linksgrünen Ratsseite vier Postulate ein, mit denen unter anderem eine Untersuchung der «rechtsextremen Angriffe, dem Vorgehen und den allfälligen Fehlern von Seiten der Stadt und der Polizei sowie zu den künftigen Handlungsmöglichkeiten» gefordert wurde. Seither haben sich insbesondere Vertreter von SVP und FDP (die rein männliche Form ist bewusst gewählt) regelrecht darin verbissen, der linken Ratsseite vorzuwerfen, dass sie «den Linksextremismus ausblendet». Worauf es zurücktönt, die SVP verharmlose die Gefahr, die von Rechtsextremismus ausgehe… Natürlich dürfen diese Männer so lange «ich nicht, du aber auch» spielen, wie es ihnen beliebt. Wir haben in der Stadt Zürich ja glücklicherweise keine anderen Probleme. Und man kann es ihnen nicht mal übel nehmen, schliesslich bekommen sie dafür jede Menge Medienpräsenz. Die NZZ von gestern Donnerstag bringt es denn auch fertig, den Ratsbericht ausschliesslich diesem Thema zu widmen. Neues Amtsjahr? Wahl des neuen Präsidiums? Traditioneller festlicher Empfang, der sich wegen des 1. Mai-Knatsches verspätete? Offensichtlich nicht berichtenswert für die NZZ. Aber wer den Linken vorwirft, sie nähmen Linksextreme in Schutz, ist garantiert immer auf Sendung…

Wahlen und Reden

Der scheidende Ratspräsident Matthias Probst (Grüne) sagte in seiner Rede, von den 516 Vorstössen des zuende gegangenen Amtsjahres – ein neuer Rekord – seien 282 Postulate gewesen, von denen 99 Prozent Themen betroffen hätten, für die der Gemeinderat gar nicht zuständig sei. Getagt hatte der Rat übrigens 162 Stunden… Matthias Probst erinnerte weiter daran, dass Politiker:innen in der Schweiz mehr miteinander reden müssten als ihre Kolleg:innen in einem Regierungs-/Oppositionssystem wie in Deutschland oder den USA, doch das passiere zunehmend «nur noch in der Theorie». Schliesslich erlaubte er sich noch ein Späss­chen: Während seines Amtsjahres habe er «die Hoheit über meine Kleider meiner Frau übertragen», doch «jetzt ziehe ich mein Hemd aus». Sprachs, stand im schwarzen Ringerleibchen da und erzählte, wie die Ratspräsidentin 2010/2011, Marina Garzotto (SVP), jeweils extra ein T-Shirt mitgenommen habe, falls er im hehren Rathaus in ärmellosem Tenue erscheinen würde…

Beim Haupttraktandum, den Wahlen, gab es dann keine Überraschungen: Die neue Ratspräsidentin Sofia Karakostas (SP, siehe auch Interview im P.S. vom 5. Mai), erreichte mit 108 von 117 Stimmen ein sehr gutes Resultat. In ihrer Rede schilderte sie unter anderem, wie ihre Eltern unabhängig voneinander aus Griechenland in die Schweiz gezogen waren, der Vater Automechaniker, die Mutter Schneiderin und später Hausfrau. Als knapp 17-Jährige erlebte sie anlässlich ihres Einbürgerungsverfahrens, wie ein Polizist, der «gerade in der Nähe war», bei ihr zuhause vorbeikam, als sie allein daheim war. Die abschliessende Prüfung im Stadthaus, wo sie drei Beamten gegenüber sass, habe sie als «erniedrigend» empfunden und sich daraufhin entschieden, sich politisch zu engagieren. Sie hätte sich aber nie träumen lassen, einmal höchste Zürcherin zu werden… Zum Glück hat es doch geklappt, kann man angesichts der Stille, die während ihrer Rede im Saal herrschte, nur sagen. Zum ersten Vize wählte der Rat sodann Guy Krayenbühl (GLP) und zum zweiten Vize Christian Huser (FDP).

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