Spitzentanz

Marcelo Díaz inszeniert «Die Erbschaft» rasant, hochdosiert, ultrasec. Eine Freude.

«Die Ehe ist nunmal der einzig anständige Ausweg, wenn man liebt», stellt der Kammerdiener Lepine (Jonas Gygax) in einem Tonfall der Reue über ein Fait-accompli fest, das seinen Einfluss weit überteigt. Sein Herr, der Marquis (Pit-Arne Pietz) hat sechs Millionen Francs Erbschaft in Aussicht, die ihm zufällt, sofern er Hortense (Miriam Wagner) ehelicht oder sie seinen Antrag ablehnt. Sollte hingegen er selbst eine andere Wahl treffen, müsste er ihr zwei davon abtreten. Dumm an Pierre Calet de Marivaux Gesellschaftssatire «Die Erbschaft» ist allein, dass Hortense den Chevalier (Alex Julius Fündeling) liebt und der Marquis die Comtesse (Katharina von Bock), sich aber nicht mit einem solch intimen Eingeständnis selber blossstellen will und sich zudem auf das Hörensagen ihrer wendehalsig intriganten Zofe Lisette (Mia Lüscher) verlässt, das besagt, die Comtesse, eine Witwe, habe mit der Liebe endgültig abgeschlossen. Bleiben also zwei Möglichkeiten: Das emotionale Unglück, abgefedert von einem bisschen Spaziergeld, oder dann halt die schiere Armut mit einer komplett unsicheren Aussicht auf eine Erfüllung der insgheimen erotischen Träume. Ein fulminanter Reigen für ein hier exzellentes Ensemble. Die Blicke stehen in einem kompletten Widerspruch zur derweil getätigten Aussage, die wiederum das Gegenteil dessen darstellt, was der intrinsischen Absicht entsprechen würde. Das Stück hat Tempo, ist in seiner wunderhübsch spitzen Übersetzung von Gerda Scheffel ein Spitzentanz über glühende Kohlen oder wahlweise zwei Varianten eines Abgrundes, der auf jeden Fall furchtbares Elend verspricht. Auf einem aristokratisch selbstgefällig abgehobenen Niveau, das schauspielseitig aus der Anlage aus dem 18. Jahrhundert eine ungeheure Modernität herauskitzelt. Obgleich zum Schluss – natürlich – alles gut kommt, wirkt auch dieser annähernd unredlich erschlichen und stiehlt sich für den Ausdruck des Glücks von der Bühne. Die Listigkeit von Ambivalenzen en gros et en détail. 

«Die Erbschaft», 28.1., Theater Kanton Zürich, Winterthur.

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