Ein Referendum, zwei Initiativen, viele Fragen

Das Referendum zum Mantelerlass ist zustande gekommen, bald wird darüber abgestimmt. Am Dienstag hat der Verband Freie Landschaft Schweiz zudem zwei Volksinitiativen lanciert, die Waldschutz-Initiative und die
Gemeindeschutz-Initiative.

Glaubt man dem Kommentar von David Vonplon in der NZZ von 10. Januar, dann ist SVP-Bundesrat Albert Rösti «bald der Einzige, der sich für den Ausbau der erneuerbaren Energien konsequent ins Zeug legt». Denn «Umweltverbände wie Pro Natura» hätten sich zwar «demonstrativ» hinter den Mantelerlass gestellt. Mit Aqua Viva und dem Grimselverein hätten jedoch zwei kleine Umweltvereine gegen den Bau der Trift-Staumauer Beschwerde eingereicht. Und was hat das mit Pro Natura zu tun? Die ‹NZZ am Sonntag› habe aufgezeigt, dass zwei kantonale Sektionen von Pro Natura Mitglieder bei Aqua Viva seien, schreibt David Vonplon. Pro Natura habe jedoch «keine Anstalten (gemacht), die kleine Schwester zur Räson zu bringen».

In einem Gastkommentar in der NZZ vom 16. Januar reagiert Stella Jegher, Mitglied der Geschäftsleitung von Pro Natura, auf diesen Vorwurf. Der Autor sei «auf dem Holzweg» mit seiner Hypothese, Pro Natura hätte Einfluss auf die Gewässerschutzorganisation Aqua Viva geltend machen können: «Solche Entscheide liegen in der alleinigen Kompetenz des Vorstands von Aqua Viva, wie ein einfacher Blick auf die Website der Organisation zeigt.» Und der Vorwurf, die Naturschutzorganisationen spielten ein Doppelspiel, falle «auf diejenigen zurück, die ihn erheben», schreibt Stella Jegher. Denn die Energiewende sei «aufgrund wirtschaftlicher Interessen jahrelang hinausgezögert» worden. Und nun solle, «da per Expressgesetzgebung grosse Subventionen winken», die «bewährte Umweltgesetzgebung über den Haufen» geworfen werden. Dabei liesse sich der Ausbau der Erneuerbaren auch bewerkstelligen, «ohne die Natur massiv zu schädigen».

Nur Mini-Solarpflicht

Rückblende: Bereits am 28. September 2022 hatte die Grüne Fraktion im Bundeshaus ein Positionspapier für den «natur- und landschaftsschonenden Ausbau der Erneuerbaren» lanciert. Darin erinnerte sie daran, dass die umweltfreundlichste Energie die Energie ist, die nicht verbraucht wird – und sie plädierte dafür, dass neu Standard sein solle, «dass Dächer und grundsätzlich auch Fassaden von neuen und bestehenden Gebäuden mit Solaranlagen ausgestattet werden». Für grosse Parkplätze forderte die Grüne Fraktion zudem eine Pflicht zur Solarüberdachung, während Photovoltaik-Freiflächenanlagen in den Alpen «nur unter gewissen Bedingungen» möglich sein sollten (siehe P.S. vom 7. Oktober 2022).

Und heute? Heute lautet ein oft gehörtes Argument gegen Solaranlagen in den Bergen, es sei doch verrückt, schönste Landschaften zu verschandeln – man würde gescheiter erst alle Dächer mit Solarpanels belegen… Die SVP hatte sich allerdings im Parlament gegen jegliche Solarpflicht ausgesprochen und ursprünglich mit dem Referendum gedroht, falls eine Solarpflicht für bestehende Bauten beschlossen werden sollte (siehe P.S. vom 17. März 2023). Die Solarpflicht gilt nun nur für Neubauten mit mehr als 300 Quadratmetern Fläche – diese Regel galt bisher schon, einfach nur befristet. Auch für Parkplätze gibt es dank den Bürgerlichen keine Solarpflicht: Sie warnten erfolgreich vor «Eingriffen ins Privateigentum» (siehe P.S. vom 6. Oktober 2023).

«Rentner ergreift Referendum»

Und damit zum Referendum gegen den Mantelerlass: Ergriffen hat es letzten Oktober das neue «Bündnis für Natur und Landschaft Schweiz». Dessen Gründungsmitglieder sind Pierre-Alain Bruchez, Hans Weiss (ehemaliger Direktor Stiftung Landschaftsschutz) und Philippe Roch (ehemaliger Direktor des Bundesamts für Umwelt). Wer nur die Illustration sah, die den Unterschriftenbogen zierte, hätte wohl gewettet, es handle sich um eine SVP-Initiative… Doch ‹20 Minuten› titelte am 10. Oktober 2023, «Rentner lanciert Referendum gegen «‹Verschandelung der Landschaft›», und zwar «fast im Alleingang». Der parteilose Rentner Bruchez und seine zwei Kollegen mussten die nötigen 50 000 Unterschriften dann doch nicht allein sammeln, sie bekamen Hilfe von den Windkraftgegner:innen vom Verband Freie Landschaft Schweiz sowie von der Fondation Franz Weber. Auch auf der Webseite der SVP des Kantons Zürich war ein Artikel zum Referendum zu lesen, samt Hinweis darauf, wo Referendumsbögen angefordert werden konnten. Der Titel lautete «Mantelerlass – einseitig und verfassungswidrig».

Auf der Webseite des Bündnisses um Pierre-Alain Bruchez heisst es etwa, «unsere Landschaft und Natur sollen auf dem Altar der Energiewende geopfert werden!». Umweltorganisationen seien «enormem Druck ausgesetzt, die Verschandelung der Natur in unserem Land zu akzeptieren». Das Bündnis ermögliche es ihnen, sich besser zu widersetzen: «Naturfreunde, die sich nicht mehr von Organisationen oder Parteien vertreten fühlen, die den Schutz von Natur und Landschaft aufgegeben haben, können dem Bündnis als individuelle Mitglieder beitreten und so zu einem authentischen Schutz beitragen.»

Auf der Webseite der Fondation Franz Weber ist nachzulesen, dass der Mantelerlass es ermögliche, Wälder für den Bau von Windkraftanlagen zu roden und grosse Wind- und Solarparks in geschützen Landschaften zu bauen, ohne die Beeinträchtigungen verhindern oder kompensieren zu müssen: «Zudem wird jede Möglichkeit einer Beschwerde zunichte gemacht, indem der Energiegewinnung aus Prinzip oberste Priorität eingeräumt wird.»

Zwei neue Volksinitiativen

Der Verband Freie Landschaft Schweiz hielt in seiner Medienmitteilung vom 16. Oktober 2023 zum Mantelerlass unter anderem fest, das nationale Interesse an der Energieerzeugung habe nun Vorrang vor allen anderen Interessen, und Umweltschutz- und Ausgleichsmassnahmen würden bei der Planung von Wasser-, Solar- und Windkraftwerken an besonders sensiblen Standorten «gänzlich ausser Acht gelassen»: «Mit dem Mantelerlass darf nun praktisch überall gebaut werden – Windturbinen sind sogar im Wald erlaubt und Landschaften von nationalem Interesse geniessen keinerlei Schutz mehr.»

Nun legt der Verband nach: Am Dienstag hat er zwei Volksinitiativen «zum Schutz der Natur und der Gemeinden» lanciert. Dies gemäss Medienmitteilung «unterstützt von Gemeindepräsidenten, Grossräten und Kantonsrätinnen, Gemeinderäten, einem Nationalrat sowie Professoren, Naturschützern, Biologen, Rechtsanwältinnen und Denkmalpflegern». Denn der Schutz der Natur und der Volksrechte in der Schweiz sei «durch mehr als 300 Windparkprojekte mit mehr als 1000 Windrädern bedroht». Auf Anfrage erklärt der Präsident von Freie Landschaft Schweiz, Elias Vogt, der Kanton Zürich sei besonders betroffen: «Im Kanton Zürich sind 120 Windräder geplant, die meisten davon im Wald. Nur schon für deren Bau müssten erst zehn Meter breite Strassen gebaut werden, mitten im Wald!» Für jede im Wald installierte Anlage müsse zudem eine Fläche von der Grösse eines Fussballfeldes gerodet werden, fügt er an.

In der Medienmitteilung heisst es weiter, die Initiative «verbietet keine Errichtung von Windkraftanlagen in der Schweiz, sondern verlangt, dass diese deutlich ausserhalb von Wäldern und Waldweiden geplant und gebaut werden». Auch die Gemeindeinitiative verbiete keine Windkraftanlagen in der Schweiz, sie verlange lediglich, «dass diese einer verbindlichen Volksabstimmung unterzogen werden, und zwar in den betroffenen und stark beeinträchtigten Gemeinden». Das Zustandekommen und die Annahme der Initiativen würden folglich das Aus für die Windkraft im Kanton Zürich bedeuten – jedenfalls, wenn wirklich 120 Anlagen mehrheitlich im Wald geplant sind.

Beim Kanton sieht man das allerdings anders, wie Wolfgang Bollack von der Medienstelle der Baudirektion auf Anfrage erklärt: «Im Kanton Zürich ist nach unserem Wissensstand noch keine einzige Windenergieanlage geplant. Dies wäre auch nur in einem dafür im Richtplan bezeichneten Eignungsgebiet möglich. Solche Eignungsgebiete gibt es aber noch nicht. Das Richtplanverfahren hat ja noch nicht einmal begonnen.»

Und er fügt an: «Der Kanton Zürich selbst plant, baut und betreibt weder Windenergieanlagen noch sonstige Anlagen zur Energieproduktion. Dafür ist in der Schweiz die Energiewirtschaft zuständig. Der Kanton schafft lediglich die Rahmenbedingungen. Nur wenn Energieversorgungsunternehmen die Investition in Windenergieanlagen als wirtschaftlich erachten, wird es dereinst Projekte für Windenergieanlagen im Kanton Zürich geben.»

Biotopschutz und Walderhaltung

Damit zurück zum Referendum gegen den Mantelerlass: Haben Bundesrat und Parlament tatsächlich den Umweltschutz abgeschafft und gleich auch alle Beschwerdemöglichkeiten zunichte gemacht? Sind einfache Rentner, Naturliebhaberinnen und zwei neue Volksinitiativen unsere letzte Hoffnung, weil sie uns davor bewahren, unsere schönen Landschaften und Biotope mit Solarpanels und Windrädern zu verschandeln? Wer sich dafür interessiert, was das Parlament genau beschlossen hat, findet die Gesetzestexte auf der Webseite des Bundes, genauer im Bundesblatt Nr. 195 vom 10. Oktober 2023. Die Quellenangabe bzw. der Suchbegriff lautet BBl 2023 2301.

Hier einige Beispiele: «Die Kantone sorgen dafür, dass insbesondere die für die Nutzung der Wasser- und Windkraft geeigneten Gebiete und Gewässerstrecken sowie die für Solaranlagen von nationalem Interesse nach Artikel 12 Absatz 2 geeigneten Gebiete im Richtplan festgelegt werden (…). Sie schliessen bereits genutzte Standorte mit ein und können auch Gebiete und Gewässerstrecken bezeichnen, die grundsätzlich freizuhalten sind. Bei der Festlegung der Gebiete für Solar- und Windkraftanlagen müssen die Kantone die Interessen des Landschaft- und Biotopschutzes und der Walderhaltung sowie die Interessen der Landwirtschaft, insbesondere des Kulturlandschutzes und des Schutzes der Fruchtfolgeflächen, berücksichtigen.» Zudem sollen neue Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien in Biotopen von nationaler Bedeutung ausgeschlossen sein. Und «Windenergieanlagen und ihre Erschliessungswege im Wald gelten als standortgebunden, wenn sie von nationalem Interesse sind und für den Bau und den Betrieb der Anlagen bereits eine strassenmässige Erschliessung besteht».

Anderer Standpunkt, andere Interessen

Machen also die Erneuerbaren die Natur kaputt, oder helfen sie uns im Gegenteil, die Natur zu erhalten und den CO2-Ausstoss zu senken? Oder anders gefragt: Weshalb hat eigentlich am 21. Mai 2017 eine Mehrheit das Energiegesetz angenommen und sich damit für die Erneuerbaren und gegen neue AKW entschieden, wenn seither nichts anderes passiert, als dass die bürgerliche Mehrheit in Bern verhindert, was sie kann? Andererseits: Es gibt nun mal Menschen, die Windräder und Solarpanels in der Natur ‹gruusig› finden und sich deshalb dagegen stellen. Es gibt Menschen, die überzeugt sind, dass Windräder und Solarpanels der Natur schaden, Vögel töten und obendrein einen Riesenkrach produzieren. Es gibt Menschen, die sagen, sie hätten gar nichts gegen Solar- oder Windenergie, doch der konkrete Standort, um des es gerade geht, sei komplett der falsche. Es gibt Menschen, die grundsätzlich gegen Solar- und Windenergie sind, weil sie überzeugt sind, dass sich mit den Erneuerbaren nicht genug Strom erzeugen lässt. Und es gibt Menschen, die gegen Solar- und Windenergie sind, weil sie schon am 21. Mai 2017 Nein gestimmt haben, weil sie damals schon lieber neue AKW gehabt hätten. Ob sich all diese verschiedenen Interessen je unter einen Hut bringen lassen?

Sicher sind nur zwei Dinge: Erstens gibt es kein – aus links-grüner Sicht – besseres Gesetz, wenn der Mantelerlass an der Urne scheitert. Denn Links-Grün hat nun mal keine Mehrheit im eidgenössichen Parlament. Und zweitens: Sollte uns tatsächlich irgendwann der Strom ausgehen, dann sind die Grünen und die Linken schuld. Wie immer.

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