Selber gemacht

Franz Hohler schrieb einst in einem Lied – der Zeit entsprechend nicht ganz gender-gerecht: «Wie glücklich ist ein Mann, wenn er allein zu Hause ist / und halbverbranntes Rindlfleisch mit Spaghettiresten isst / Ein Essen zäh wie Leder, aber dennoch eine Pracht / Er hat es selber gemacht, er hat es selber gemacht.»
Als eine, die mit zwei linken Händen und einem schwarzen Daumen ausgestattet ist, habe ich bis anhin Do-it-yourself, Basteln und Handarbeit eher gemieden. Die Arbeitsteilung und der technologische Fortschritt haben nun mal einige Vorteile. Und nicht nur, dass die gekauften Pullover doch einiges besser aussehen, als der, den ich einmal im Handarbeitsunterricht gestrickt hatte. Zumal es auch nur ein Pullunder war, denn bis zu den Ärmeln bin ich nie gekommen.

Dank einer Terrasse und weil ich ja, wie ich schon einmal geschrieben habe, anfällig für jeden Hipsterkram bin, bin ich nun auch unter die Urban Gardener gegangen. Und auch wenn das Unkraut besser gedeiht als der Basilikum, verstehe ich jetzt durchaus die Befriedigung, etwas selber anzupflanzen. Die eigene Tomate vom Balkon schmeckt nun mal besser als die Holland-Tomate aus dem Gewächshaus – Dieter Hallervorden hat ja die Holland-Tomate einmal als vierten Aggregatszustand von Wasser bezeichnet.  Selber machen ist aber nicht nur Gärtnern und Basteln.
In seinem Buch ‹Der flexible Mensch› beklagt der Soziologe Richard Sennett die Entfremdung des modernen Arbeitsmenschen. Die Angestellte einer Grossbäckerei, die keine Brötchen bäckt, sondern lediglich eine Computeranlage bedient. Der moderne Mensch ist also nur ein austauschbares Rädchen in einer globalisierten, technologisierten Ökonomie. Ohne Fähigkeiten, die sie oder ihn unverwechselbar machen. Und so produzieren sie Dinge, auf die sie keinen Stolz mehr entwickeln können, die von KäuferInnen ohne Freude konsumiert werden. So wird denn für Sennett nicht der Proletarier, sondern der Handwerker zum gefeierten Subjekt, wie er im Essay ‹Handwerk› ausführt.  Dabei fasst er den Begriff des Handwerkers oder der Handwerkerin weit: «Der Schreiner, die Laborantin, der Dirigent – sie alle sind ‹Handwerker›, weil sie ihrer Arbeit mit Hingabe nachgehen und sie um ihrer selbst willen gut machen wollen. Sie üben eine praktische Tätigkeit aus, doch ihre Arbeit ist nicht nur Mittel zu einem anderen Zweck. (…) Der Handwerker steht für die besondere menschliche Möglichkeit engagierten Tuns.» Nur wer Hirn und Hand einsetzt und benutzt, so die zentrale These seines Buchs, ist glücklich. Die Arbeit gut machen zu wollen und gute Arbeit leisten zu wollen, könne den Menschen ein Gefühl von Berufung geben: «Schlecht gestaltete Institutionen ignorieren den Wunsch ihrer Mitglieder nach einem erfüllten Leben, während gut konstruierte Organisationen davon profitieren.»

Im vieldiskutierten und etwas weniger gelesenen SP-Papier zur Wirtschaftsdemokratie  gibt es zwei zentrale Motive: Die Mitbestimmung und das Selbermachen. Viele Menschen würden sich entfremdet und fremdbestimmt fühlen am Arbeitsplatz. Sie haben wenig Kontrolle über ihr eigenes Tun und noch weniger darüber, was das Unternehmen tut. Mit mehr Mitbestimmung soll diesem Kontrollverlust begegnet werden. Das Selbermachen ist in der öffentlichen Diskussion rund um Klassenkampf und Überwindung des Kapitalismus eher untergegangen. Aber die Förderung des sozialen und ökologischen Unternehmertums ist der zentrale zweite Punkt des Papiers. Die Geschichte der Arbeiterbewegung und der Sozialdemokratie war auch immer eine Geschichte des Selbermachens. Eine Geschichte von Macherinnen und Machern, die Wohn- und Konsumgenossenschaften gründeten, Druckereien führten und Zeitungen produzierten.
Das ist aber nicht nur Geschichte – sondern auch Gegenwart und Zukunft. Es gibt viele linke und grüne MacherInnen. Sie sind UnternehmerInnen. Sie gründen Hilfswerke. Sie organisieren Gemeinschaftsgärten oder organisieren Ausstellungen. Sie tun was. Dieses persönliche und vielfältige Engagement ist auch das Thema der diesjährigen 1. Mai-Beilage. Manuela Zeller begleitet eine Aktivistin der Autonomen Schule in eine Notunterkunft, die dort abgewiesene AsylbewerberInnen betreut. Und sie schreibt über den Theaterpädagogen Davide Maniscalco in dessen Theatergruppe ‹Niemandsland› jeder und jede willkommen ist. Ob laut oder leise und ob Schweizerin oder Geflüchteter. Zudem erfahren wir in einem Artikel von Nicole Soland über Läden, die ohne Verpackung auskommen wollen. Und Jasmin Schraner berichtet über das landwirtschaftliche Projekt eines ‹Weltackers›, wo auf 2000 m2 die ganze landwirtschaftliche Produktion der Erde nachgestellt wird. Mit diesem Projekt wird anschaulich gezeigt, woran die weltweite Nahrungsmittelproduktion krankt. Es sind keine grossen revolutionären Taten. Aber es sind kleine, aber wichtige Handlungen für eine bessere Welt.
Karl Marx schreibt in seinen Thesen über Feuerbach: «Das Zusammenfallen des Ändern(s) der Umstände und der menschlichen Tätigkeit oder Selbstveränderung kann nur als revolutionäre Praxis gefasst und rationell verstanden werden». Und schliesst mit: «Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kömmt darauf an, sie zu verändern.»  Darum liebe Leserinnen und Leser, geht demonstrieren am ersten Mai und feiert. Und dann macht euch auf, die Welt zu verändern. Im Kleinen oder im Grossen, im Privaten oder in der Öffentlichkeit. Gründet ein Unternehmen oder engagiert euch in einem Verein, verbraucht weniger Verpackungsmaterial oder helft eurer Nachbarin beim Einkauf. Revolutionär werden nicht alle Taten sein. Die Welt verändern werden sie auch nicht. Aber es ist immer noch besser, als es gar nicht erst zu versuchen.
Wenn wir unsere Zeitung in den Druck geben, kann es vorkommen,  dass uns ein Druckfehler durch die Latten gegangen ist. Einige Artikel wären vielleicht mit etwas mehr Zeit auch besser geworden.  Auf die eine oder andere Geschichte mussten wir mangels genügend personeller Ressourcen verzichten. Die Titelbilder könnten besser und die Schlagzeilen knackiger sein. Aber wir haben sie selber gemacht.

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