Richtig verkehrt

Der Bundesrat hat die Verkehrsregeln angepasst, wie letzte Woche zu vernehmen war – jene zumindest, die für Stehroller mit Elektromotörli, besser bekannt unter dem Markennamen Segway, sowie für Rikschas und Elektro-Trottinette gelten. Damit darf man mit diesen Gefährten künftig Velowege und fürs Velo freigegebene Trottoirs benützen, genau wie mit den langsameren Elektrovelos. Anlässlich der Ankündigung dieses Schritts im Sommer 2014 titelte die NZZ den entsprechenden Bericht mit «Gedränge in der Fussgängerzone», und zur jetzt vorgenommenen Änderung hat der Verband Fussverkehr Schweiz am 16. April eine Medienmitteilung verschickt mit dem Titel «Fussverkehr Schweiz fordert die Reduktion von Flächen mit Velozulassung.»
Weniger Velos auf dem Trottoir? Diese Forderung war überfällig. Das schreibe ich als Velofahrerin, die sommers wie winters mit dem Velo zur Arbeit fährt, auch in der Freizeit stets mit dem Velo unterwegs ist und weder Auto noch VBZ-Streckenabo besitzt. Und nein, ich bin auch nicht über Nacht zu den FussgängerInnen übergelaufen… Es ist ganz einfach: Ich fahre gern Velo, mit Betonung auf fahren, nicht auf «mich im Schritttempo durch Massen von FussgängerInnen durchschlängeln». Doch letzteres lässt sich gerade in der Stadt Zürich oft nicht vermeiden. Denn in Zürich ist der Platz knapp. Häufig reiche es beim besten Willen nicht für getrennte Bahnen für Tram, Auto, Velo und FussgängerInnen, tönt es jeweils bedauernd aus dem Tiefbauamt. Warum es in solchen Fällen allerdings stets fürs Velo «leider nicht mehr reicht» und dieses zu allem Elend auch noch aufs Trottoir geleitet werden muss, habe ich nie verstanden.
FussgängerInnen sind mit zirka 4 bis 6 km/h unterwegs. Mit dem Velo sind selbst 15 km/h noch ein sehr gemütliches Tempo; BerufspendlerInnen bringen es ohne Probleme auf 20 bis 25 km/h, jene mit Rennrad oder Motörli auch auf 30 oder 40. Was sagt uns das? Velos sind schlicht zu schnell fürs Trottoir, aber sie passen bestens in die Tempo-30-Zone, und auch auf gewöhnlichen Tempo-50-Strassen können sie gut mithalten. Kurz: Wer immer den Begriff «Langsamverkehr» erfunden hat, sollte umgehend dazu verknurrt werden, bis in alle Ewigkeit mit maximal 10 km/h velofahren zu dürfen… Velos sind nicht «Langsamverkehr». Velos gehören auf die Strasse. Punkt.
In den letzten Jahren sind in Zürich einige Projekte geplant oder eingefädelt worden, die der Velofahrerin Herz eigentlich hüpfen lassen müssten, beispielsweise der Masterplan Velo: Bis in ein paar Jahren ist die ganze Stadt mit wunderbar befahrbaren Routen durchzogen, und zwar nicht nur mit durchgehenden Hauptrouten, sondern auch noch mit sogenannten Komfortrouten. Wir sind ja immer noch in Zürich, etwas ab Stange ist selbstverständlich nicht gut genug für uns! Soweit die Theorie. Die dazu gehörende Praxis ist leider schnell erzählt: Es hat keinen Platz. Wie es dazu kommt? An der Berta­strasse etwa hätten für die Komfortroute einige Parkplätze aufgehoben werden müssen. Das war schon bekannt, bevor FDP-Mann Filippo Leutenegger vor einem Jahr sein Amt als Tiefbauvorsteher antrat; solche Projekte brauchen bekanntlich Zeit. Aber seither nimmt man es in diesem Amt offensichtlich etwas genauer mit dem Erbsen… äh, Parkplatzzählen natürlich, sorry. Und auch nur ein bisschen weniger Platz fürs Auto auf der Strasse oder im öffentlichen Raum am Strassenrand geht nun mal gar nicht. Zürich will ja schliesslich offiziell das Auto fördern… äh, Moment: Falsch! Das Velo natürlich, das Velo wird offiziell gefördert, jedenfalls mit Worten, bei jeder Gelegenheit. Wie konnte mir das bloss durcheinandergeraten?

 

Aber genug Klamauk. Es ist doch so: Was die Politik in Sachen Veloförderung offiziell zu wollen vorgibt und was sie effektiv tut, sind zwei sehr verschiedene Paar Schuhe. Klar, der Stadtrat kann einem leid tun: Als die Städteinitiative zur Debatte stand, erklärte er laut und deutlich, sie lasse sich nicht umsetzen. Doch die Stimmberechtigten hatten einfach kein Musikgehör und nahmen die Initiative des Vereins Umverkehr im September 2011 knapp an. Seither ist die Stadt Zürich dazu verpflichtet, den Anteil des Velo-, Fuss- und öffentlichen Verkehrs innert zehn Jahren um zehn Prozentpunkte zu steigern. Die Ärmste… Allerdings gab es erstens bereits lange vor dem Masterplan städtische Pläne für eine bessere Veloinfrastruktur. Und zweitens und viel zentraler: Wenn die Stadt bei Initiativen sofort und ohne mit der Wimper zu zucken feststellen kann, sie seien «nicht umsetzbar», warum behält sie dann all die eigenen Pläne und gaukelt uns vor, daraus werde schon noch mal ein richtiges Projekt?
Es ist doch ganz einfach: Wenn es nicht für alle VerkehrsteilnehmerInnen Platz hat, dann muss die Exekutive, die sich eine bessere Infrastruktur für den Veloverkehr auf die Fahne geschrieben hat, entscheiden, für wen der Platz reichen soll und für wen nicht. Weil offiziell – siehe 2000-Watt-Gesellschafts-Artikel in der Gemeindeordnung – sowohl Fuss- wie Veloverkehr als auch der öV gefördert werden, liegt das Resultat auf der Hand: Der benötigte Platz ist dem Auto wegzunehmen. Dass das nicht geht, ist natürlich ebenfalls so klar wie das Amen in der Kirche: Selbst wenn die Stadtzürcher Stimmberechtigten einen entsprechenden Vorschlag annähmen, wäre spätestens beim Kanton Endstation. Also kann die Lösung nur lauten: Der knappe Platz ist besser zu nutzen. Und das wiederum erreicht man nicht, indem man dort, wo es grad Platz hat, Velostreifen in Normbreite aufpinselt und die Velos beim Fussgängerinselchen 200 Meter weiter einfach so zwischen die Autos zurückschickt.

 

Viel ehrlicher wäre es doch, einfach mal festzuhalten, dass es in der Stadt Zürich grundsätzlich keinen Platz hat für Velostreifen oder -wege in Normbreite. Stattdessen malt man überall schmale Streifen auf wie die hellgrauen an der Langstrasse oder die hellgelben im Seefeld – und zwar wirklich überall. Sodann werden die Velorouten endlich gut sichtbar signalisiert. Denn es gibt einige, die einen ganz vernünftig abseits der grossen Strassen auf Tempo-30-Strecken durchs Quartier führen – nur nützt einem das leider nicht viel, wenn man sie nur in jenen Quartieren findet, in denen man sich so gut auskennt, dass man sie auch ohne Wegweiser fände…
Und dann und ganz wichtig: Dann wird kommuniziert, dass es in Zürich grundsätzlich keinen Platz hat für Velostreifen und -wege gemäss geltender Norm xy – und dass sich deshalb Velo- und AutofahrerInnen die Strasse teilen müssen. Dass das am besten geht, wenn beide sich an die Verkehrsregeln halten, versteht sich von selbst. Vor allem aber wird es je länger, je besser gehen: Sind die Verkehrsteilnehmer­Innen gezwungen, aufeinander zu achten, kommen alle schneller voran, und es gibt erst noch weniger Unfälle. Die Stadt Zürich müsste also in einige Kübel Farbe und eine Informationskampagne investieren, und schon könnte sie stolz verkünden, in Zürich seien durchgehende Velorouten verwirklicht, die 2000-Watt-Gesellschaft könne kommen. Das kann doch nicht so schwer sein?!

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