Psycho-Wettbewerb

 

Letzte Woche las ich im P.S. im erhellenden Interview mit Andreas Daurù zur drohenden Privatisierung der Integrierten Psychiatrie Winterthur: «Den Wettbewerb unter psychiatrischen Kliniken gibt es nicht, genausowenig wie den unter ‹gewöhnlichen› Spitälern, und zwar aus einem einfachen Grund: Es gibt in diesem Bereich keinen freien Markt.» Dem kann noch hinzugefügt werden: Es gibt in diesem Bereich auch keine handelbare Ware, die auf einem freien oder gelenkten Markt einen Profit abwerfen könnte! Diese Ware musste erst in aufwändigen, Jahrzehnte dauernden Forschungsbemühungen von Wirtschaftsingenieuren erfunden und von Ökonomen marktgängig gemacht werden: Erst mit der Erfindung von DRGs bekam das als Fabrik betrachtete Spital sein Produkt, und erst mit Gesetzen, die die pauschale Abgeltung von medizinischen Leistungen in DRGs vorschreiben, ergab sich daraus eine Handelsware (erstmals 1983 in den USA)1. Es hat sich mittlerweile herumgesprochen, dass dieser – als Ökonomisierung des Gesundheitswesens umschriebene – Vorgang sein Ziel, die Kosten zu senken, die Arbeitsorganisation zu verbessern und für Effizienz, Versorgungsqualität und mehr Transparenz zu sorgen, krass verfehlt hat. Frappant ist, dass trotzdem dem Markt auch hier eine bessere Steuerungsfähigkeit zugeschrieben wird als jeder anderen Instanz.

 

So soll nun auch die Psychiatrie marktförmig organisiert werden. Als erster Schritt muss analog dem Tarmed, dem Schweizer DRG-Tarif, ein einheitliches Abrechnungssystem geschaffen werden: der Tarpsy. Denn, so rühmt SwissDRG, die ihn ausarbeitet: «Der Tarpsy schafft klare Rahmenbedingungen, erhöht die Transparenz und die Vergleichbarkeit von Leistungen, Kosten und Qualität und fördert den patientenorientierten Ressourceneinsatz … ermöglicht eine bessere Kosten- und Leistungstransparenz und bildet die Basis für Betriebsvergleich und Wettbewerb … setzt als Tarifstruktur Anreize für eine medizinisch und ökonomisch sinnvolle Behandlung und die notwendige Behandlungsdauer.» Hier wird neben der Lobhudelei klar, dass so eine Tarifstruktur tatsächlich die Realität verändern kann. Im System der medizinischen Fallpauschalen wurde etwa festgelegt, dass es medizinische und technische Leistungen gibt; die gesamte Pflege hingegen erscheint nicht als Leistung, sondern nur als Kostenfaktor – ähnlich wie etwa verbrauchte Wäsche. Insbesondere Pflegeleistungen, die sich  numerischer Vergleichbarkeit entziehen, können gar nicht erfasst werden – wie etwa Zuspruch, aber auch solch komplexe Vorgänge wie das Entwöhnen von einer Beatmungsmaschine. Das Pflegepersonal gerät in den moralischen Zwiespalt, diese notwendigen Handlungen nicht bzw. schlecht auszuführen oder ihre Dokumentation so zu frisieren, als hätte es in der Zeit eine ‹erlaubte› Handlung vorgenommen – damit nicht aufgrund «ungenügender Auslastung» Stellen gestrichen werden.

 

Das bereits unter Druck stehende Personal verspricht sich von der Katalogisierung und neu auch Digitalisierung Erleichterung bei der Überhand nehmenden Erfassung der Tätigkeiten. Dabei ist es leider erwiesen, dass die Realität und die Dokumentation umso mehr auseinanderklaffen, je mehr der Legitimationsdruck und die Kontrolle steigen.2

 

Wer will da noch glauben, was SwissDRG postuliert: «Das grundlegende Spannungsverhältnis zwischen medizinischen und ökonomischen Interessen wird durch die Tarifstruktur weder verstärkt noch aufgelöst.»?  Vielmehr wird das Spannungsverhältnis zu ökonomischen Interessen durch die Wettbewerbsorientierung bis in den hintersten Winkel der Zwischenmenschlichkeit im Gesundheitswesen gestreut. Nicht-messbare Menschlichkeit bleibt auf der Strecke.

 

1 Vgl. Sajay Samuel, Mark W. Dirsmith, Barbara McElroy: Monetized Medicine – from the Physical to the Fiscal. In: Accounting, Organisation and Society 30 (2005).

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2 Weltz, 1986, zit. in: Alexandra Manzei: Über die neue Unmittelbarkeit des Marktes im Gesundheitswesen. In: Manzei, A. / Schmiede R. (Hg.): 20 Jahre Wettbewerb im Gesundheitswesen (2014).

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