Politikum und Präzedenzfall?

Die Waldbesetzer:innen von Rümlang haben im Sommer Post von Gemeinde, Kapo und der Waldbesitzerin bekommen. Es geht um einen sechsstelligen Betrag, für den die Aktivist:innen blechen sollen. Gleichzeitig könnte die Besetzung «Rümi» zum Präzedenzfall werden.

Die Räumung der Waldbesetzung in Rümlang, die gegen die Erweiterung der Deponie Chalberhau protestierte, erfolgte mittels Grossaufgebot, Spürhunde und Feuerwehr-Drehleiter inklusive. Das Resultat des Aufwands war die Zustellung einer saftigen Rechnung an 14 respektive 22 Personen. Einerseits durch die Gemeinde Rümlang, im Verbund mit der Deponiebetreiberin sowie der Eigentümerin des Waldes, der Huben Holzkorporation, die ihren Aufwand mit rund 18 000 Franken beziffert, zusammengesetzt aus Kosten für die Räumung sowie das Engagement eines privaten Bewachungsdiensts, zu bezahlen von 22 Personen. Und die Kantonspolizei Zürich verrechnet die Kosten ihres Grosseinsatzes 14 Aktivist:innen. Es dürfte wohl um einen tiefen sechsstelligen Betrag gehen.

Streitpunkt Kostenüberwälzung

Die Diskrepanz bei den Personenzahlen rührt daher, dass es an zwei Zeitpunkten Kontrollen gab: zu Beginn der Besetzung sowie bei der Räumung. Eine grossflächige Absperrung verhinderte auch Journalist:innen den Zugang zum Wald. Für alle galt das aber nicht, erklärt man beim Unterstützungskollektiv «WaldstattRepression», das für die angezeigten Aktivist:innen nun Geld sammelt: «Während der Räumung gab es einige Menschen, die den Wald betreten wollten, um solidarisch beim Abbau der Besetzung zu helfen. Sie wurden von den Polizist:innen reingelassen und von denselben Personen direkt wieder weggewiesen – und haben deshalb nun Verfahren am Hals.»

Unabhängig bestätigen lässt sich der Vorwurf, ob man Personen so ins Messer laufen liess, nicht. Relevanter ist die Legitimation der Kostenüberwälzung. Das geltende Polizeigesetz besagt zum Beispiel, dass Kostenersatz «von den Verursachern eines Einsatzes, wenn diese vorsätzlich oder grobfahrlässig handeln» verlangt werden kann. Die Stadtpolizei Zürich fordert den Ersatz grundsätzlich selten ein – die Waldbesetzung war aber einige hundert Meter von der Stadtgrenze entfernt, womit die Kapo verantwortlich war. Sie interpretiert die Rechtslage generell strenger – ein Beispiel hierfür wäre eine Aktion von «Renovate Switzerland», eine gleichzeitige Blockade zweier Strassen: Beide Polizeikorps räumten jeweils eine Abfahrt – die Stapo verzichtete auf eine Einforderung der Einsatzkosten, die Kapo nicht. Die Rechtslage schafft vor allem Unklarheit für Aktivist:innen – und schreckt vor Protest ab. Anwalt Markus Husmann hat einen Fall in Luzern, in dem es ebenfalls um Kostenüberwälzung ging, bis vor Bundesgericht weitergezogen und schreibt in der Fachzeitschrift «Sicherheit und Recht»: «Eine Abschreckung kann gerade aus vagen gesetzlichen Regeln resultieren, welche die Folgen einer Grundrechtsausübung schwer abschätzbar macht.» Gerade weil die Gesetzgebung im Kanton Zürich nicht klar formuliert ist, kann das einen möglichen «Chilling-Effekt» zur Folge haben, befürchtet auch SP-Kantonsrätin Leandra Columberg. Sie sieht darin einen «Frontalangriff auf unsere Grundrechte». Gegen diesen gelte es, sich zu wehren und die parlamentarische Politik in die Verantwortung zu nehmen: «Dazu gehört auch, dass wir den öffentlichen Diskurs nicht den Rechten und ihren Repressionsfantasien überlassen, sondern die Gefahren solcher Entwicklungen aufzeigen.»

Ein möglicher Präzedenzfall?

Die unklare Rechtslage lässt die Aktivist:innen befürchten, dass aus diesem Rechtsstreit nun ein Präzedenzfall geschaffen wird. Wenn die Kostenabwälzung «dem Kanton gelingt, würde so eine Grundlage geschaffen, wo in zukünftigen ähnlichen Fällen dasselbe gemacht werden kann – ohne die Diskussion um Rechtskräftigkeit», so die Ansprechsperson des Unterstützungskollektivs.

Abgesehen von der rechtlichen Ebene offenbart sich hier auch eine politische Problematik: Die Relation zwischen Verhältnismässigkeit, dem Vorsatz, einen Polizeieinsatz auszulösen und Missmanagement in der Organisation personeller Ressourcen auf Seite der Polizei scheint keine grosse Rolle zu spielen. FDP-Kantonsrat Martin Farner-Brandenberger bekam am 30. August vom Regierungsrat Antworten zu seiner Anfrage nach Detaileinschätzungen in der causa «Rümi» – vor allem zu Räumungskosten und wer das bezahlt. In fast jeder Frage geht es um Kosten oder Schäden. Offenbar wird dabei aber an Perspektive auf den finanziellen Aspekt verloren: Zum Beispiel die Frage, ob das personelle Aufgebot die zu machende Arbeit gedeckt oder vielleicht doch überschätzt hat respektive ob ein Grossaufgebot für die Wegweisung von 14 Personen verhältnismässig ist, wird nicht gestellt.

Derweil lancierte die JSVP vor einigen Monaten die laut verschiedenen Medien mehrheitsfähige «Anti-Chaoten-Initiative». Diese will aus der Möglichkeit des Kostenersatzes eine Pflicht machen – der Regierungsrat empfiehlt zwar Ablehnung, präsentiert aber mit dem Gegenvorschlag auch eine Verschärfung: «Der Gegenvorschlag soll die Kostentragungspflicht verschärfen, indem Kosten für ausserordentliche Polizeieinsätze in Zukunft zwingend an die Verursacherinnen und Verursacher überbunden werden, sofern diese vorsätzlich gehandelt haben.»

Perspektivenstarre

Die weitverbreitete Ablehnung provokativer und störender Aktionsformen, die von rechts erfolgreich bewirtschaftet und partiell auch von Links geteilt wird, verändert aber auch die Per­spektive darauf: Die Verbindung von Motivation und Reaktion wird einfacher, obwohl sich sehr limitierte Ressourcen auf einer Seite und schier unlimitierte auf der anderen gegenüberstehen – und die andere Seite offensichtlich Gebrauch von nicht vorhandener Limitation macht. 

Oder konkret: Was macht ein Polizeihund an einer Räumung, wenn bereits der Polizist Mühe hat, einen Baum hochzuklettern? Dass eine Drehleiter nötig ist, wenn sich sträubende Personen aus den Bäumen geholt werden sollen, ist verständlich. Beim Hund ist das fraglicher. Ebenso das Grossaufgebot, im Einsatz aufgrund 14 Personen. Laut dem Unterstützungskollektiv sei die Polizei mit einer etwa zehnfachen Personenstärke zur Räumung aufgefahren – bei der Kantonspolizei gibt es auch auf Nachfrage keine Zahlen zum Aufgebot.

Die Waldbesetzung hat übrigens auch den parlamentarischen Diskurs über das eigentliche Thema, die Deponieerweiterung wieder befeuert. Das Resultat: eine schlanke Überarbeitung der Deponieerweiterung. Die Aktivist:innen, die zulasten einer durchaus sturen Auslegung von Aktivismus diesen Stein wieder in Bewegung gezwungen haben, kostet dieser Gesprächsanstoss vielleicht eine sechsstellige Summe. Seit gestern Donnerstag sammelt das Unterstützungskollektiv per Crowdfunding zur Bewältigung der «Repressionskosten».

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