Perspektive

Kore-Eda Hirokazu schildert ein Ereignis und die Folgen aus mehreren Perspektiven.

Nichts ist in Japan beschämender, als das Gesicht zu verlieren. Als die Mutter Mugino Saori (Ando Sakura) bei der Schuldirektorin laut wird und unmissverständlich die Genugtuung einer öffentlichen Entschuldigung durch den Lehrer Hori Michitoshi (Nagayama Eita) einfordert, ist die Situation bereits vollständig verkachelt. Mit jeder weiteren Eindringlichkeit zieht sich der Knoten noch fester zusammen. Als der Lehrer von den Anschuldigungen erfährt, liefe seine natürliche Reaktion darauf hinaus, das allgemeine Ansehen der Schule und damit einer für ihre Ehrwürdigkeit sich rühmenden Institution zu beschädigen, was es unter allen Umständen zu verhindern gilt. Notfalls per Kraftakt oder zumindest einem finalen Verdikt. Als Mugino Minato (Kurokawa Soya) seinem schwächlichen Mitschüler Hoshikawa Yori (Hiiragi Hinata), der von allen anderen gehänselt und geplagt wird, heimlich zu Hilfe zu eilen beginnt, weil ein öffentliches Eingestehen dieser Freundschaft seine eigene Reputation möglicherweise in Mitleidenschaft ziehen würde, kommt es in der Hitze des Gefechts eines alltäglichen Tumults zu einer vielseitig missinterpretierbaren Situation. 

Das Drehbuch von Sakamoto Yuji für «Monster» treibt alle drei Erzählstränge bis zum bitteren Ende fort, wobei sich der Film bezüglich der beiden Jungs auf eine einschlägige Symbolik zurückzieht. Alle Perspektiven sind nach den Perspektivwechseln als komplett nachvollziehbar, absolut korrekt und der Rolle/Situation überaus angemessen erkenntlich. Fehlt aber nur ein Puzzlestück, um die Gesamtheit der Situation überhaupt erblicken zu können, verwandelt sie sich in real in eine regelrecht bedrohliche für die jeweils im Auge des Sturm befindlichen Person. Und in Japan meint dies unter Berücksichtigung der Wahrung des eigenen Gesichts offenbar immer noch den vermeintlich selbsterwählten Weg in einen ehrenhaften Tod. Ein offenes Wort und die Spirale hätte sich gar nie in Gang gesetzt.

«Monster» spielt in den Kinos Piccadilly,
RiffRaff.

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