Perpetuum Mobile

In der dringlichen Debatte des Nationalrats zur Ukraine sprach SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi von Nigerianern und Tunesiern mit ukrainischen Papieren, die wehrlose Ukrainerinnen vergewaltigen. Wie meist, passt weder im Saal noch auf dem Präsidiumsbock jemand auf. Erst in den sozialen Medien führte sie zu Aufregung und Empörung. Aeschi rechtfertigte sich später damit, dass er sich auf einen konkreten Fall bezogen habe, über den in der FAZ berichtet wurde. Die Aussage ist so oder so klar rassistisch. Eigentlich ist mir zuwider, diesem Fall noch weitere Aufmerksamkeit zu schenken. Nur zeigt die Episode so ziemlich exemplarisch, was in Politik und Medien schief läuft.

 

Ebendieser Aeschi war auch Gast in der freitäglichen ‹Arena› zum Thema Ukraine. Die Fraktionschefin der Grünen, Aline Trede blieb aus Protest der Sendung fern. Sie fand es falsch, dass einem Rassisten eine Bühne geboten werde und fürchtete, dass man dann nur über die Aussage von Aeschi reden würde und nicht über den Krieg. Trede blieb in ihrem Boykott allein, die anderen ParteipräsidentInnen nahmen an der ‹Arena› teil. «Weil man Rassismus bekämpft, indem man ihm entgegentritt», wie es SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer formulierte. Entgegen trat ihm aber vor allem Moderator Sandro Brotz. «Wir halten am heutigen Abend glasklar fest, Herr Aeschi», meinte Brotz zu Aeschi in einem 1:1, «dass das, was Sie gesagt haben, rassistisch war. Punkt. Ausrufezeichen!» Diesen Ausschnitt teilte Brotz auch unter grossem Applaus in den sozialen Medien. 

 

Das wiederum rief die streitbare ‹Tages-Anzeiger›-Journalistin Michèle Binswanger auf den Plan, die in einem Kommentar Brotz Eitelkeit vorwirft. Zudem habe er hier als Moderator seine Rolle überschritten. Der Kommentar endet vorhersehbarerweise bei der Anti-SRG-Initiative, die die Gebühren halbieren will. Was wiederum viele JournalistInnen dazu bringt, Sandro Brotz nicht nur zu verteidigen, sondern zum Helden der Aufklärung emporstilisieren.

 

Das Problem: Binswanger hat in Teilen Recht. Nicht in der Schlussfolgerung, aber in der Diagnose. Denn die Geschichte hat auch mit Eitelkeit zu tun. Was im Journalismus und in der Politik natürlich weit verbreitet ist und eigentlich kein Problem ist. Die doch machoide Vorstellung, man könnte dank seiner rhetorischen Fähigkeiten den Rassismus argumentativ zerlegen, hingegen schon. Denn das Unterfangen scheitert letztlich immer daran, dass man damit das Agenda-Setting der Rechten befördert. Und zwar aktiv. Denn fände man den Rassismus tatsächlich nicht tolerierbar, würde man ihn nicht regelmässig mit ‹Arena›-Auftritten belohnen. 

 

Die Forscherin Ruth Wodak beschreibt in ihrem Buch «Politik mit der Angst: Die schamlose Normalisierung rechtsextremer und rechtspopulistischer Diskurse» den Mechanismus als Perpetuum mobile: Der Aufstieg der Rechtspopulisten sei ohne Medien nicht denkbar. Rechtspopulistische Politiker suchen die Aufmerksamkeit durch Provokation, durch die Verschiebung des Sagbaren. Sie zwingen die Medien dabei in eine Lose-Lose-Situation. Wenn sie nicht über die rassistische Bemerkung berichten, ist es eine Verharmlosung. Wenn sie es aber medial aufnehmen, verbreiten sie die rassistische Bemerkung weiter. Wenn sie den rechtspopulistischen Politiker kritisch interviewen, geben sie ihm die Möglichkeit, sich als Opfer zu inszenieren. Und vor allem die politische Agenda komplett zu dominieren und von allen anderen Themen abzulenken. Wodak schildert dabei detailliert den Fall von Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, der in den sozialen Medien eine antisemitische Karikatur geteilt hatte und darob von ORF-Moderator Armin Wolf in die Mangel genommen wurde. Der danach prompt selber in die Kritik geriet, weil man ihm vorwarf, sich als Richter und nicht als Moderator aufzuspielen. Strache stolperte am Schluss nicht über Rassismus oder Antisemitismus oder eine andere Provokation. Sondern über ein Video, in dem er und ein anderer FPÖ-Politiker gegenüber einer angeblichen russischen Oligarchin eine grosse Bereitschaft zur Korruption zeigten.

 

Die von Wodak beschriebenen Mechanismen  kennen wir in der Schweiz seit den 1990er-Jahren. Und seither ringt die politische Schweiz um den richtigen Umgang mit den gezielten Provokationen der Rechtspopulisten. Seien dies Verleumdungen, üble Plakate oder offener Rassismus. Und Stück für Stück wurde die Grenze verschoben, Verhalten normalisiert, der Diskurs nach rechts gerückt. Die sozialen Medien verstärken den Effekt noch. Derweil eine Politik und eine Berichterstattung, die nur auf Performance und Inszenierung setzt, die Politverdrossenheit befördert. 

 

Als der grüne Nationalrat Jonas Fricker in einem Votum Massentierhaltung mit KZs verglich, war dies das Ende seiner politischen Karriere. Obwohl er sich für den Vergleich entschuldigte und aktiv das Gespräch mit der jüdischen Gemeinschaft suchte. SVP-Nationalräte wie Thomas Aeschi oder Andreas Glarner können rassistische Bemerkungen machen, Nationalratskolleginnen beschimpfen oder die Telefonnnummer einer Lehrperson auf den sozialen Medien teilen. Es passiert nichts. Und es gibt nicht mal eine halbherzige Entschuldigung. 

 

Im Zürcher Gemeinderat gab es früher die Abmachung, dass die fremdenfeindlichen Voten der Schweizer Demokraten ignoriert wurden. Keiner reagierte, keiner sprach und so liefen sie ins Leere. Das funktionierte so effektiv, weil auch die SVP dabei war. Und natürlich auch, weil die Schweizer Demokraten eine irrelevante Kleinstpartei waren. Das ist natürlich bei der grössten Partei, die zudem auch in der Regierung vertreten ist, nicht so einfach. Aber es zeigt auch, dass man eine Agenda nicht dominieren kann, wenn es die anderen nicht zulassen. Hätten sich die anderen ‹Arena›-Teilnehmenden darauf geeinigt, man wolle Aeschi nicht dabei haben, hätte die ‹Arena› jemand anderen suchen müssen. Würden sich die FraktionspräsidentInnen und das Ratspräsidium auf gewisse Regeln einigen, dann wäre ein gewisses Verhalten mindestens im Ratssaal nicht mehr möglich. 

 

Der Soziologe Norbert Elias beschreibt den Prozess der Zivilisierung auch als Vorrücken der Scham- und Peinlichkeitsschwellen. Eine Politik der Schamlosigkeit und des schlechten Benehmens ist hingegen klar antiaufklärerisch. Da müssen wir ansetzen, wenn wir den Teufelskreis durchbrechen wollen.

 

Die SVP hat jetzt angekündigt, die Arena zu boykottieren. Eine Aussprache mit der SRG ist laut Medienberichten vorgesehen. Auch wenn es jetzt zu ein paar Sendungen ohne SVP kommt: Das Perpetuum Mobile bleibt uns noch eine Weile erhalten. 

 

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