Mit experimenteller Neugier

Eine aussergewöhnliche Ausstellung ist zurzeit im Gewerbemuseum Winterthur zu sehen: Drei KünstlerInnen loten die Grenzen des Werkstoffs Metall bis zum Äussersten aus – mit verblüffenden Resultaten.

 

Als «Alchemie» bezeichnet man laut ‹Wikipedia› «die Lehre von den Eigenschaften der Stoffe und ihren Reaktionen». Weiter heisst es dort: «Das Spektrum der Alchemisten reichte (…) von praktischen frühen Chemikern (…), frühen Vorstellungen über den Aufbau der Materie, wozu auch die Umwandelbarkeit (Transmutation) von Metallen und anderen Elementen oder Mineralien bzw. Salzen gehörte, (…) bis zu den ‹Goldmachern›.»

Dass die aktuelle Ausstellung im Gewerbemuseum Winterthur den Titel «Alchemie der Oberfläche» trägt, hat vor allem mit dem Aspekt der «Umwandelbarkeit von Metallen» zu tun, wie an der Medienorientierung zur Eröffnung vor rund einem Monat zu erfahren war. Die drei KünstlerInnen Peter Bau­huis, Laurenz Stockner und Anita Tarnutzer, deren Werke gezeigt werden, haben denn auch (mindestens) eines gemeinsam: Sie loten mit experimenteller Neugier und kreativer Materialforschung die Grenzen des Werkstoffs Metall aus. Profan ausgedrückt: Sie sind offensichtlich ebenso begnadete KünstlerInnen wie TüftlerInnen. Sie nähern sich ihrem Material aus verschiedenen Blickwinkeln, aber stets mit vollem Einsatz an und entwickeln gar neue Verfahren der Metall-Be- und Verarbeitung, wenn es ihre künstlerische Vision erfordert.

 

Doppelt gegossen, dünn getrieben

Peter Bauhuis, Künstler und Goldschmied aus München, zeigt in Winterthur Gefässe, die er aus verschiedenen Metalllegierungen gegossen hat, und zwar nach einem speziellen Verfahren, das er selber erfunden hat. Er giesst seine Werke aus Silber, Kupfer, Bronze, also aus Legierungen mit unterschiedlichen Schmelzpunkten. Vor allem aber giesst er zwei Legierungen gleichzeitig in die Form, die miteinander reagieren, wenn sie aufeinandertreffen. Durch dieses ungewöhnliche Vorgehen erhalten seine Gefässe, die «Polycasts», zudem Oberflächen, die in archaisch anmutenden Farben und Strukturen erscheinen. Das Besondere an den Arbeiten von Peter Bauhuis ist nebst der Oberflächentextur auch der filigrane Guss seiner gefässartigen Objekte.

Der Südtiroler Kunstschmied und Künstler Laurenz Stockner schmiedet Schalen aus einem Rohmaterial, das er in einem aufwendigen Prozess selber herstellt. Am Anfang steht der sogenannte Prettauer Zementkupfer: Er besteht aus getrocknetem Kupferschlamm, der bis heute in einem Bergwerk im südtiroler Ahrntal nach alter Methode gewonnnen wird. Der Name «Zementkupfer» umschreibt die Entstehung des Kupferschlamms, der zu 70 bis 80 Prozent aus Kupfer besteht, mittels sogenannter Zementation: Mikroorganismen lösen das Kupfererz aus dem Berg, es löst sich zu kupfersulfathaltigem Wasser auf, und dieses wird in Rinnen aufgefangen, die mit Eisenstreifen ausgelegt sind. Das führt zu einer natürlichen Elektrolyse: Das dem Kupfer beigesetzte Eisen löst letzteres auf, und zurück bleibt Kupferschlamm. Diesen schmilzt der Künstler in einem mit Holz und Holzkohle befeuerten Schachtofen um, bis daraus ein Kupferfladen entsteht, der sich weiterverarbeiten lässt.

Aus solchen Fladen treibt Laurenz Stockner Schalen, wobei er pro Schale etwa 10- bis 15 000 Schläge setzt: «Ich wollte unter anderem herausfinden, wie dünn die Wände meiner Schalen werden können», erzählte er. Eine weitere seiner Schalen, eine, die er aus ‹gewöhnlichem› Kupferblech getrieben hat, ist denn auch nur hinter Glas zu bewundern. Am Medienanlass aber öffnete Laurenz Stockner die Glasvitrine und tippte die Schale, die so stabil aussah, wie man Metall gemeinhin wahrnimmt, einmal kurz an. Kaum zu glauben: Das Kunstwerk namens «Elastische Form» begann sofort zu wabbeln, gerade so, als wäre es aus dünnem Gummi hergestellt. Alchemie? Magie!

 

Patina mit ‹Bodenhaftung›

Die Schweizer Kunstgiesserin und Künstlerin Anita Tarnutzer bearbeitet Bronze- und Messingplatten mittels ebenfalls selbst er- beziehungsweise ge-fundener Oxidations- und Färbeverfahren. «Meine Leidenschaft sind Patina-Experimente mit Pflanzen und/oder Pflanzeninhaltsstoffen», erklärte sie. So hat sie für ihr Projekt «Quintessenzen» Metallplatten mit Pflanzen belegt, luftdicht in Plastik verpackt und danach für ein Jahr im Boden vergraben. Dabei ist das Metall oxidiert, und die Feuchtigkeit der Pflanzen sowie ihre spezifischen Inhaltsstoffe haben als Färbemittel auf der Oberfläche gewirkt. Industriebleche konnte Anita Tarnutzer dafür allerdings nicht verwenden: Die Messing- und Bronzeplatten sind gegossen.

In einem weiteren Projekt mit dem Titel «Feldgrabung» hat sie vier Schrifttafeln aus Messing verwendet. Die Schrift schliff sie erst weg, um danach die Kristallstruktur des Metalls mittels Mikroätzung sichtbar zu machen. Zudem hat sie auf den Platten Felder und Linien definiert und diese teils sandgestrahlt, teils mit Klebeband abgedeckt. Auch diese vier Tafeln kamen anschliessend 20 Monate in feuchte Erde. So entstand eine Patina, die Anita Tarnutzer partiell mit Wachs konserviert hat. Im nicht behandelten Teil der Platten veränderte sich die Patina durch die Luft, was durch die gewählte Vorgehensweise gut sichtbar wird: «Es ist stets ein Spiel zwischen Kontrolle und Zufall», fasste sie zusammen.

Die Ausstellung der drei KünstlerInnen wird sekundiert von einer Sonderausstellung mit dem Titel «edel unedel», die Hintergründe zu den vielfältigen Methoden der Metalloberflächenverarbeitung beleuchtet. Fazit: Ein Muss für Metallfans, eine sehenswerte Ausstellung für alle.

 

Ausstellung «Alchemie der Oberfläche» im Gewerbemuseum Winterthur, bis 6. Februar 2022. Öffnungszeiten:
Di bis So 10-17 Uhr / Do 10–20 Uhr / Mo geschlossen. Weitere Infos, öffentliche Führungen sowie Veranstaltungen siehe www.gewerbemuseum.ch

 

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