Malerische Sprache

Hanspeter Müller Drossaart entführt sein Publikum mit der malerischen Sprache von Flavio Steimanns «Bajass» für eineinhalb Stunden in eine Welt ausserhalb der Zeit.

 

Die Absicht des Kommissars Gauch, einen des Totschlags am Bauernehepaar verdächtigen Verdingbub aufzuspüren, ist als Rahmenhandlung von Flavio Steimanns Roman ein Grund für Ortswechsel und Begegnungen und Anlass zum Sinnieren und Fragen stellen. Aber ein Kriminalroman ist «Bajass» deswegen nicht. Vielmehr ein Eintauchen in eine bäurische Welt im vorletzten Jahrhundert, was der Autor auch mit einer ältlichen, aber sehr malerischen Sprache für seine ausführlichen Beobachtungen vermittelt. Auf ein Tuch projiziert, begleiten kontrastreiche Schwarzweissfotografien von Hans Eggmann Gauchs Reise und Till Löffler setzt pointiert Töne. Beide Stimmungsverstärker kommen aber der Sogwirkung für die Aufmerksamkeit nie auch nur im Entferntesten in die Nähe zur Präsenz von Hanspeter Müller Drossaart, der allein mit seiner Stimme und sorgsam ausgewählten Gesten Welten öffnet. Seine Figur hinterfragt ihr Tun bis in den Selbstzweifel hinein und ihr Elan wird schon von einem befürchtet erlahmenden Bein gebremst. Der Berufsstolz und eine lang anhaltende Erfahrung lassen den Kommissar, so scheints, gemächlich aber stetig vorankommen in seinem Tun. Je nach beschreibender, innerlich reflektierender oder dialogischer Stelle des Büchleins leiht Müller Drossaart seiner Stimme eine andere Farbnuance, wechselt von Hochsprache in mindestens drei urig anmutende Dialekte, und seine sichtliche Freude an den Wortfindungen des Autors  lassen eine bildhafte Atmosphäre vor dem inneren Auge des Publikums entstehen, die nahezu haptisch greifbar wird. Wie eine Beerdigungszeremonie der getöteten, ihren Verdingbuben aber allem Anschein nach saumässig behandelt habenden Bauersleut durch ein schreckhaftes Zugpferd handlungsseitig in eine Slapsticknummer wechselt, in der die Totenehre aber dennoch niemals beschädigt wird, ist grosse Erzählkunst. Genauso delikat geht der Text mit den Beschreibungen der sozialen Unterschiede um, die auf dem Ozeandampfer in Richtung neue Freiheit anhand der Gepflogenheiten je nach Klasse zu beobachten sind. Wie bereits in «Der Trafikant» versteht es Hanspeter Müller Drossaart erneut, sprachlich punktgenau zu changieren und damit zeitgleich Handlung, Stimmung und Haltung des Erzählenden zu vermitteln, dass bald plausibel scheint, hier berichtete jemand tatsächlich Erlebtes. Ein Wirkung raffinierter Kniff der Verführung, der man sich liebend gerne hingibt.

 

«Bajass», 10.12., sogar Theater, Zürich.

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