Klärschlamm macht klimaneutral

Statt in der Zürcher Luft landen die CO2-Emissionen der Klärschlammverwertungsanlage Werdhölzli ab 2028 unter der dänischen Nordsee und in hiesigem Recyclingbeton – wenn es denn das Volk will. 

Es summt und brummt und rauscht und rumpelt in der Halle der Klärschlammverwertungsanlage Werdhölzli, wenn der Ofen läuft. Und es stinkt vor allem, nach Schwefel, Ammoniak und modriger Erde. Kein Wunder: Hier verbrennt Entsorgung + Recycling Zürich (ERZ) den Klärschlamm des ganzen Kantons Zürich. Das sind rund 100 000 Tonnen pro Jahr. Auf dem Weg durch ein Labyrinth aus Heizkesseln, Trocknern und Filterschläuchen werden die Einzelbestandteile des Klärschlamms chemisch, thermisch, physisch und elektrisch voneinander getrennt und jedes landet auf seinem Platz: Die verbliebene Asche im Silo und später in einer Deponie, wo daraus Phosphor gewonnen wird, das Klärgas wird ins Erdgasnetz der Stadt eingespeist, der Wasserdampf strömt durch eine Dampfturbine, die den Strom für die Anlage produziert, und das CO2 – 20 000 Tonnen jährlich oder knapp 55 Tonnen pro Tag – wird über den Kamin in die Luft geblasen. Aus den Augen, aus dem Sinn.

Mit dieser beträchtlichen Treibhausgasemission soll ab 2028 Schluss sein: Auf dem Areal der KSV will die Stadt eine Anlage zur Abscheidung des bei der Klärschlammverbrennung freigesetzten CO2 bauen. Von dort aus soll das Kohlendioxid mit Lastwagen und Zug verfrachtet werden – eine Hälfte in Schweizer Betonwerke, wo es in Recyclingbeton gebunden werden soll, die andere per Schiff knapp 2000 Meter unter den Grund der Nordsee.  Dort soll es unter einer Schicht aus Deckgestein verpresst werden und sich mit dem Basaltgestein verbinden.

Teuer, aber notwendig

Tönt teuer, ist es auch: Für das Vorhaben beantragt der Stadtrat beim Gemeindetrat neue einmalige Ausgaben von 35,5 Millionen Franken und ab 2028 neue wiederkehrende Ausgaben von jährlich 14,2 Millionen Franken für den Betrieb. Pro eingesparte Tonne CO2 kostet das Vorhaben die Stadt 613 Franken. Das letzte Wort hat das Zürcher Stimmvolk, eine Abstimmung könnte noch im Jahr 2024 stattfinden.

Stadträtin Simone Brander, Vorsteherin des Tiefbau- und Entsorgungsdepartements, ist überzeugt, dass sich die Investition lohnt: Bei der Abscheidung handle es sich um ein effizientes Verfahren zur raschen Senkung der Treibhausbelastung, und sie sei «unerlässlich für die Erreichung der Klimaschutzziele». Schliesslich will die Stadt Zürich bis 2040 klimaneutral sein. Um das Netto-Null-Ziel zu erreichen, lohnt sich die CO2-Abscheidung im Werdhölzli, weil der verbrannte Klärschlamm biogenen Ursprungs und damit klimaneutral ist. Die Stadt kann also mit der Abschöpfung sogenannte Negativemissionen generieren und nicht vermeidbare Emissionen fossilen Ursprungs kompensieren. 

CO2-Abscheidung im Hagenholz geplant

Die 20 000 Tonnen CO2, die pro Jahr kompensiert würden, sind allein nur ein kleiner Schritt auf dem Weg zur Klimaneutralität: Die Stadt rechnet damit, dass sie ab 2040 rund 200 000 Tonnen CO2 kompensieren muss, um das Netto-Null-Ziel zu erreichen. Deshalb steht auch für die Kehrichtverbrennungsanlage Hagenholz, die neun Mal so viel Kohlendioxid emittiert wie die KSV Werdhölzli, ein Plan zur CO2-Abscheidung in den Startlöchern: ERZ habe auch im Hagenholz eine entsprechende Machbarkeitsstudie durchgeführt, sagt Brander. Und: «Mit diesem Pionierprojekt erhält die Stadt Zürich die Chance für ein innovatives Vorhaben, das dem Klimaschutz zugutekommt.» Das CO2 der KVA gilt aufgrund des 50-prozentigen Anteils biogener Materialien im Kehricht zur Hälfte als klimaneutral. Sollten die beiden Projekte durchgewunken werden, schätzt Tiefbauvorsteherin Brander die Gesamtsumme der kompensierten Emissionen ab 2035 auf «bis zu 200 000 Tonnen jährlich». Noch ist das ein Stück weit Zukunftsmusik: Die KVA Hagenholz befindet sich bis voraussichtlich 2028 im Umbau, erst dann kann das Projekt Abscheidungsanlage angegangen werden. Zu den Kosten des Ausbaus macht der Stadtrat noch keine Angaben – aus gutem Grund, wie ERZ-Mediensprecher Tobias Nussbaum erklärt: «Der Markt für die Endlagerung von Kohlendioxid entsteht erst. Noch wissen wir nicht, welche Angebote in fünf oder sechs Jahren bestehen, wie sich die Logistik verändert oder wie sich die Skalierung der CO2-Menge auf den Preis auswirkt.» Klar ist: Am Ende – voraussichtlich um 2030 – wird auch beim Hagenholz die Zürcher Stimmbevölkerung über die definitive Umsetzung des Projekts bestimmen.

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