«Journalismus hat sich noch nie selbst finanziert»

Die Medienbranche in der Schweiz steht unter Druck. Zwei grosse Verlagshäuser kündigten Massenentlassungen an und nun plant der Bundesrat, dem Schweizer Radio und Fernsehen (SRG) die Gelder zu kürzen. Dem Schweizer Mediensystem fehlt die Vision, sagt der Medienwissenschaftler Daniel Vogler im Gespräch mit Noëmi Laux. Eine Bestandesaufnahme.

Die Medienlandschaft in der Schweiz steht unter Druck. Erst kündigten TX Group und CH Media Massenentlassungen wegen Sparmassnahmen an, nun plant der Bundesrat der SRG die Gelder zu kürzen. Was bedeutet diese Entwicklung?

Daniel Vogler: Das hängt davon ab, wo die Stellen abgebaut werden. Mit der Einführung der Zentralredaktionen haben sowohl CH Media als auch TX Group ihr überregionales Angebot bereits stark gebündelt. Die Lokalredaktionen blieben bisher eigenständig. Wenn der Spardruck aber weiter steigt, wird langfristig auch das regionale und lokale Angebot eingeschränkt. Dann wird es problematisch.

Warum?

Viele Angebote von CH Media und Tx Group nehmen im regionalen und lokalen Bereich eine wichtige Funktion ein. In vielen Regionen gibt es noch eine Tageszeitung, die regelmässig berichtet. Im Moment ist die Schweiz noch flächendeckend gut mit Information versorgt. Wenn weiter gespart wird, ist diese Versorgung aber gefährdet. Es wäre fatal – sowohl für die Menschen, die dort leben, als auch für unser demokratisches System –, wenn nicht mehr alle Gebiete abgedeckt wären und sogenannte «News-Wüsten» entstehen würden. 

Die Entlassungen bei CH Media und TX Group sind die Spitze des Eisbergs einer Entwicklung, die sich schon länger abzeichnet. Das Verlagswesen in der Schweiz ist seit Jahren auf Sparkurs. Kann man von einer Dauerkrise sprechen?

Krise ist natürlich ein grosses Wort. Tatsache aber ist, dass dem Journalismus immer weniger Geld zur Verfügung steht. Aus rein ökonomischer Sicht ist es durchaus gerechtfertigt, von einer Krise zu sprechen. Die Redaktionen müssen sich immer mehr überlegen, wie sie trotz knapper Ressourcen ihre Qualitätsstandards erfüllen können. Deshalb braucht es neue Finanzierungsmodelle, damit die Medienvielfalt in der Schweiz auch in Zukunft gewährleistet werden kann.

In dieser ohnehin schwierigen Situation will die SVP mit ihrer Halbierungsinitiative die Radio- und Fernsehgebühren von 335 auf 200 Franken senken. Würde dies zu einer neuen Kündigungswelle führen?

Das ist eine einfache Rechnung: Wenn sub­stanziell weniger Geld zur Verfügung steht, führt das zu einem Abbau. Die Frage ist jedoch auch hier, wo abgebaut würde. Die SRG ist gerade im regionalen und lokalen Bereich sehr stark vertreten mit den verschiedenen Regionaljournalen und Informationsformaten aus den Regionen. Vor dem Hintergrund der Entwicklungen bei den grossen Schweizer Medienhäusern würde ein Sparkurs bei der SRG vermutlich die regionale Versorgung besonders gefährden. 

Der Bundesrat hat Anfang Monat beschlossen, die Halbierungsinitiative zur Ablehnung zu empfehlen, die Serafe-Gebühr aber in den kommenden sechs Jahren schrittweise von 335 auf 300 Franken zu senken und kleine und mittlere Unternehmen von der Abgabe zu befreien. Unter dem Strich muss die SRG mit Ausfällen von 170 Millionen Franken pro Jahr rechnen. Das ist wenig im Vergleich zur Halbierungsinitiative, aber immer noch rund zehn Prozent ihres Budgets. Was halten Sie von diesem Vorschlag?

Das wirkt wie ein Abbau auf Raten. Es fehlt mir hier etwas die Vision, wohin man mit der SRG und dem Schweizer Mediensystem insgesamt will. Wenn die hohe Qualität der Schweizer Medien erhalten bleiben soll, braucht es eigentlich ein neues Medienpaket.

Wie sollte dieses neue Medienpaket aussehen?

Das Medienpaket, das letztes Jahr abgelehnt wurde, war nicht perfekt, aber es wäre ein Schritt in die richtige Richtung gewesen. Es muss möglich sein, dass die Medien unabhängig von der Gattung mit öffentlichen Mitteln gefördert werden. Das müsste natürlich an bestimmte Bedingungen geknüpft sein, beispielsweise die Abdeckung bestimmter Regionen. 

Eine Option wäre, dass sich das Schweizer Radio und Fernsehen auf das Informationsgeschäft konzentrieren und bei den Formaten und Dokumentationen spart.

Dann müsste der Leistungsauftrag angepasst werden. Das halte ich aber für den falschen Ansatz. Denn bisher umfasst der Auftrag neben der Informationsvermittlung auch ein Gesamtprogramm. Der öffentliche Rundfunk hat neben der reinen Information auch die Aufgabe, durch verschiedene Formate die Integration der Bevölkerung zu fördern. Das geht nicht nur mit Nachrichten.

Befürworter:innen der Initiative argumentieren, dass eine starke SRG den Privaten schade, also indirekt mitverantwortlich sei für den enormen Spardruck in der Branche. Wie beurteilen Sie das?

Die Forschung zeigt, dass das Gegenteil der Fall ist. In Ländern mit einem starken Service public ist das Bewusstsein für Journalismus höher und damit auch die Zahlungsbereitschaft. Ein typisches Beispiel sind die nordischen Länder, wo trotz oder gerade wegen eines starken Service public vergleichsweise viel für Journalismus bezahlt wird. Das Argument fokussiert auch zu stark auf die Schweiz. Auf dem Werbemarkt kommt die grosse Konkurrenz ja vor allem aus dem Ausland. Namentlich die grossen Tech-Konzerne Google und Meta.  

Immer weniger Menschen sind an News inte­ressiert. Gemäss Ihren Berechnungen hat sich in der Schweiz die Zahl der «News-Deprivierten» – also Menschen, die kaum noch Nachrichten lesen, hören oder sehen – in den letzten 15 Jahren mehr als verdoppelt. Kann man diesen Trend noch umkehren?

Das ist eine schwierige Frage. Unsere Untersuchung zeigt unter anderem, dass viele Menschen Interesse an einem positiven, konstruktiven Journalismus haben. Also ein Journalismus, der nicht nur Probleme ins Zentrum stellt, sondern auch mögliche Lösungen aufzeigt. Generell müssen wir die Menschen wieder mehr für Journalismus begeistern, zeigen, was er leistet und dass diese Leistung auch etwas kostet. Gerade den Zusammenhang zwischen Journalismus und dem politischen System sehe ich als zentral. Weil aber weniger Geld für professionellen Lokaljournalismus zur Verfügung steht, wird auch die Berichterstattung über Lokalpolitik reduziert oder weniger aufwändig betrieben.

Das wiederum führt dazu, dass die Wahlbeteiligung in den betroffenen Gemeinden sinkt. Eine Studie der Universität Zürich zeigt: Je weniger über Kommunalpolitik berichtet wird, desto geringer ist die politische Beteiligung.

Gerade in einem direktdemokratischen Land wie der Schweiz sind wir auf eine informierte Bevölkerung angewiesen. Viele Entscheide auf kantonaler und vor allem auf kommunaler Ebene haben direkte Auswirkungen auf die Menschen, die dort leben. Wenn es dort niemanden mehr gibt, der einerseits informiert, andererseits aber auch den Behörden kritisch auf die Finger schaut, könnte das unser demokratisches System gefährden.

Warum wenden sich eigentlich immer mehr Menschen vom Journalismus ab?

Es gibt verschiedene Thesen, aber keine eindeutige Antwort. Zum einen ist das Angebot an Medien viel grösser geworden. Die Menschen verbringen so viel Zeit mit Medien wie noch nie, aber nicht unbedingt mit Nachrichtenangeboten. Gerade in den sozialen Medien ist das der Fall. Es gibt zwar viele gute Informationsangebote auf Social Media. Die Leute lesen aber meist nicht primär Nachrichten, sondern lassen sich auf TikTok oder Instagram eher mit Unterhaltung berieseln. 

Die Medienunternehmen arbeiten in vielen Bereichen profitabel. Im Oktober haben die beiden zur TX Group gehörenden Unternehmen Tamedia und «20 Minuten» dutzende Mitarbeiter:innen entlassen. Gleichzeitig schütteten sie ihren Aktionär:innen in den letzten drei Jahren Dividenden von jährlich 45 Millionen Franken aus.

Das verstehe ich auch nicht ganz. Gerade mit Blick auf die Medienförderung, die in der Form von reduzierten Posttaxen und tieferem Mehrwertsteuersatz ja schon besteht. Es ist schwer zu vermitteln, weshalb man Unternehmen, die hohe Gewinne machen, zusätzlich subventionieren soll. Ich bin der Meinung, dass es ein gewisses Umdenken in den Medienhäusern braucht. Journalismus hat sich noch nie selbst finanziert. Schon vor 100 Jahren wurde Werbung verkauft und in die Berichterstattung investiert. 

Wie schaffen Medienhäuser in Zukunft den Spagat zwischen Sparen und journalistischer Qualität?

Das ist die Frage. Gelingt irgendwann der grosse Befreiungsschlag? Da bin ich skeptisch. Bisher gibt es noch kein nachhaltig erfolgreiches Geschäftsmodell für Journalismus online. Es braucht vermutlich verschiedene Stellschrauben: Medien müssen weiterhin mit öffentlichen Geldern subventioniert werden können. Diese Gelder sollten an einen klaren Leistungsauftrag geknüpft sein. Auch regulatorische Massnahmen, wie das Leistungsschutzrecht, können dazu beitragen, dass dem Journalismus mehr Geld zur Verfügung steht. Und natürlich muss auch die Nutzer:innen-Seite in Betracht gezogen werden. Nochmals: Wir müssen besser vermitteln, dass Journalismus wichtig ist für die Gesellschaft und auch etwas kostet.

Dieser Artikel, die Honorare und Löhne unserer MitarbeiterInnen, unsere IT-Infrastruktur, Recherchen und andere Investitionen kosten viel Geld. Unterstützen Sie die Arbeit des P.S mit einem Abo oder einer Spende – bequem via Twint oder Kreditkarte.