Jährlich grüsst das Murmeltier

Das Budget des Stadtrats für das Jahr 2024 weist ein Defizit von 175 Mio. Franken auf. Die Rechnung, davon gehen fast alle aus, wird eher mit einem Plus abschliessen. Der Entwurf findet wie jedes Jahr bei der Linken Beifall, die Rechte schimpft über den gleichbleibenden Steuerfuss von 119 Prozent.

Der Titel mag etwas despektierlich tönen, ist aber keineswegs so gemeint. Nur: Die Ansichten von NZZ-Redaktor Michael von Ledebur teile ich fast nie. Aber seiner Bemerkung, die jährliche Budgetmedienorientierung der Stadt Zürich sei das langweiligste Medienereignis des Jahres, kann ich schwer widersprechen. Zumal es der Finanzverantwortliche Daniel Leupi ähnlich sieht und auch der Ablauf Jahr für Jahr derselbe ist. Der Stadtrat präsentiert zu Beginn die Eckwerte, dann führt der Direktor der Finanzverwaltung, Thomas Kuoni durch die Zahlendetails. Daniel Leupi ordnet noch ein und beantwortet die wenigen Fragen. Anschliessend kommen die Mails der Parteien, die sich strikte an die Parteilinie halten, wobei es immerhin witzig ist, wie man sich gegenseitig die Wörter klaut. Sprach die SVP in früheren Jahren gerne vom «Pleitegeier, der schon über der Stadt kreist», spricht sie nun vom «Casino-Kapitalismus», während die SP «Stabilität und Verlässlichkeit» lobt und die Grünen die «stabilen Finanzen» preisen. Dieses Jahr erklimmt die FDP mit der Aussage «Ausgaben ausser Rand und Band» einen neuen Gipfel der Unzufriedenheit. Was nicht gross verwundert, schliesslich ist es von Parteipräsident Përparim Avdili unterschrieben, der die grossen Worte und Gesten liebt und gerne kläfft. Und dabei ganz vergisst, dass ein Haupttreiber der «Ausgaben ausser Rand und Band» sein Stadtrat Filippo Leutenegger ist. Der, um das klarzustellen, dafür gar nichts kann. Er ist weder verantwortlich für die zunehmenden Kinderzahlen noch dafür, dass sich die abstimmenden Zürcher:innen für einen leicht luxuriöseren Ausbau der Tagesschulen entschieden. 

Zurück zur Ernsthaftigkeit. Die Budgetverantwortlichen haben die Pflicht – und daran halten sich Daniel Leupi und seine Leute strikt – alle wahrscheinlichen Ausgaben des kommenden Jahres aufzulisten. Im Wissen, dass mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht alle eintreffen werden und somit die Ausgaben in der Rechnung mit grosser Wahrscheinlichkeit tiefer sein werden. Ein Paradebeispiel dafür sind die Personalausgaben. Von den aktuell 24 107 städtischen Planstellen sind 701 nicht besetzt. Das bedeutet, dass die Personalkosten für das Jahr 2023 zwischen 50 und 100 Millionen Franken tiefer ausfallen werden, als sie budgetiert wurden. Für das kommende Jahr benötigt die Stadt in der Planung 838 Stellen mehr als dieses Jahr. Gut die Hälfte entfällt auf das Schuldepartement, weil die Kinderzahl nach wie vor gegen 1000 zunimmt und weil die Einführung der Tagesschulen mehr Betreuung verlangt. Daniel Leupi weiss selbstverständlich und spricht es auch aus, dass er die 800 neuen und die fehlenden 700 bisherigen Stellen im Lauf des Jahres 2024 beim bestehenden Fachkräftemangel nicht alle besetzen kann. Die Personalausgaben werden also mit Sicherheit tiefer als budgetiert sein. Die Schlussfolgerung da­raus: «Bevor man neue Stellen schafft, sollte man zuerst – bei Bedarf – diese Stellen besetzen und dann seriös überlegen, ob es wirklich noch mehr Stellen braucht.» Anders gesagt: Weil die Stadt eventuell keine Informatiker:innen findet, soll sie bitte keine Lehrer:innen suchen oder umgekehrt. Wenn schon könnte man, wie dies die Mehrheit des Kantonsrats beim Budget gerne macht, einen Pauschlabzug beim Personal einführen.

Bei den Einnahmen sind die Vorhersagen der Stadt in der Regel recht präzise. Das beruht darauf, dass sie jedes Jahr 250 Firmen vorzeitig nach den von ihr zu erwartenden Steuern abfragt. Da die Stadt diese so erhaltenen Daten nur für die Steuereinschätzung benutzt, geben die Firmen recht präzise Auskünfte, so dass die schwierige Schätzung der Steuern von den juristischen Personen recht genau eintrifft. Dass für 2024 trotz des Endes der CS kein Rückgang eingesetzt wurde, ist laut Daniel Leupi kein Versehen. Natürlich führe das Ende der CS zu einer kleinen Delle, aber den andern Firmen mit hoher Gewinnschöpfung gehe es in Zürich offensichtlich gut.

Streitpunkt Steuerfuss

In den letzten 14 Jahren, so Thomas Kuoni, war die Rechnung der Stadt Zürich im Durchschnitt um 160 Millionen Franken besser als das Budget. Trifft der Durchschnitt für das kommende Jahr ein, erwartet die Stadt mindestens eine schwarze Null. Diese tritt laut Daniel Leupi für 2023 bei einem budgetierten Minus von 216 Millionen Franken sicher ein. Zudem erwartet die Stadt vom Kanton noch 250 Millionen Franken, die sie für zu hohe Zahlungen bei den Kinderheimen zugute hat. Ob dieses Geld noch dieses Jahr oder erst 2024 eintrifft, ist noch offen. Aber eines ist klar: Eine der beiden Rechnungen wird um diesen Betrag besser. Das relativiert auch die beliebte Zahlenreihe mit dem Eigenkapital und den Schulden für die nächsten Jahre. Die Stadt hat derzeit ein zweckfreies Eigenkapital von 2,1 Milliarden Franken. Es spricht praktisch nichts dafür, dass sich dieses Eigenkapital in den nächsten Jahren gross vermindern wird – auch wenn die offiziellen Zahlen derzeit im Jahre 2027 von einer Schrumpfung auf 756 Millionen Franken ausgehen. 

Etwas ernsthafter zu gewichten ist der Zinsanstieg: Die Stadt kann ihre Investitionen (1,6 Milliarden für nächstes Jahr, nachher etwas weniger) nicht vollständig aus der laufenden Rechnung bezahlen. Das führt dazu, dass die Zinskosten ansteigen, aber noch lange nicht in beunruhigende Dimensionen. Der politische Streit wird sich vor allem um den Steuerfuss drehen, zumal die Mehrheiten hier sehr knapp sind. Die Finanzen der Stadt Zürich bewegen sich in einem Rahmen, der eine Diskussion über den Steuerfuss durchaus zulässt. Eine Senkung ist finanzpolitisch nicht verantwortungslos und führt auch nicht dazu, dass die Stadt ihre Aufgaben nicht mehr wie vorgesehen und von den Stimmberechtigten in vielen Abstimmungen immer wieder bekräftigt ausführen kann. Die Frage ist, ob es Sinn gibt. Die Reichen meiden die Stadt als Wohnort nicht, obwohl sie hier mehr steuern als anderswo. Aufgaben vor allem im Bereich des Klimas, der Bildung und der Infrastruktur gibt es genug. Und ein Polster für schlechtere Zeiten ist immer gut, vor allem wenn das Stopfen nicht wirklich weh tut und Zürich derzeit eher das Problem kennt, dass zu viele als zu wenige  kommen wollen.

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