Hohe Hürden? Mangelnder Wille?

Letzte Woche hat der Zürcher Stadtrat einen Bericht zum Thema Photovoltaik verabschiedet, der aus Sicht der Grünen «völlig unzureichend» ist, ja mehr noch: Sie werfen dem Stadtrat «Arbeitsverweigerung» vor. Was ist da los?

 

In der NZZ vom 9. Februar fand sich ein knackiger Titel: «Zürcher Stadtrat schiesst links-grüne Solarpläne ab.» Laut der Stadtregierung sei es «unmöglich, bis 2030 einen Photovoltaikanteil von 10 Prozent am städtischen Stromverbrauch zu erreichen», heisst es weiter. Das gehe aus einem Bericht hervor, den der Stadtrat am 8. Februar veröffentlicht habe. Bei diesem Bericht handelt es sich um die Antwort des Stadtrats auf eine dringliche Motion der SP-, Grüne- und GLP-Fraktionen und der Parlamentsgruppe EVP «betreffend Anpassung der Verordnungen sowie der Bau- und Zonenordnung für einen massiven Zubau an Photovoltaik-Anlagen». Diese Motion, die das Parlament am 25. September 2019 überwiesen hatte, wollte der Stadtrat bereits früher abschreiben lassen, da unterdessen seine im September 2021 vorgestellte Photovoltaik-Strategie (PV-Strategie) verabschiedet worden war (siehe P.S. vom 24. September 2021). Das lehnte die Ratsmehrheit jedoch ab. Gemäss städtischer PV-Strategie wird eine «starke Beschleunigung» des PV-Zubaus angestrebt: Ziel ist eine Produktion von 120 Gigawattstunden (GWh) bis 2030. Die MotionärInnen hatten jedoch einen stärkeren Zubau gefordert: Bis 2030 sollten mindestens zehn Prozent des städtischen Strombedarfs mittels PV-Anlagen erzeugt werden. Dieser lag 2022 bei rund 3000 Gigawattstunden pro Jahr (GWh/a), die Rede ist somit von rund 300 GWh. Im aktuellen Bericht heisst es nun mit Verweis auf eine Studie, «dass die Solarstromproduktion von 300 GWh auf Stadtgebiet bis 2030 statistisch und theoretisch grundsätzlich möglich, in der praktischen Umsetzung jedoch sehr anspruchsvoll» sei, weshalb der Zeithorizont auf das Jahr 2040 erweitert werden soll.

 

In ihrer Medienmitteilung vom 10. Februar schreiben die Grünen der Stadt Zürich, der Bericht sei «völlig unzureichend» und missachte den Willen des Parlaments und der Bevölkerung: «Die Grünen werfen dem Stadtrat Arbeitsverweigerung vor.» Auf Anfrage präzisiert Grünen-Gemeinderat Dominik Waser, der Stadtrat argumentiere ja selbst mit einer Studie, die belege, «dass das von uns geforderte Ziel von 300 GWh möglich ist». Dass es schwierig zu erreichen sei, lässt er nicht gelten: «Wenn es schwierig ist, muss die Stadt halt kreativ werden und sich etwas einfallen lassen, um die Leute dazu zu bewegen, mehr PV-Anlagen zu bauen.»

 

«Die Stadt macht ihre Arbeit»

Den Vorwürfen der Grünen widerspricht der Vorsteher des Departements der Industriellen Betriebe, Stadtrat Michael Baumer. Die Stadt schöpfe ihren Handlungsspielraum aus: «Auf stadteigenen Bauten werden bei Umbauten standardmässig PV-Anlagen vorgesehen, und die Fördermöglichkeiten wurden soeben erhöht. 2022 konnte die PV-Produktion auf Stadtgebiet gegenüber dem Vorjahr um 20 Prozent erhöht werden. Die PV-Strategie sieht verschiedene Massnahmen vor, um einen schnellen PV-Zubau zu ermöglichen. Gewisse Massnahmen benötigen allerdings die Unterstützung von anderen Akteuren wie beispielsweise den Kanton bei der Steuerung durch Bauvorgaben.»

 

Von «Arbeitsverweigerung» könne keine Rede sein, im Gegenteil: «Auch wir wollen zehn Prozent der städtischen Energie aus der Solarproduktion erhalten. Wir haben uns intensiv mit dem möglichen Zubau befasst und vertiefte Studien dazu in Auftrag gegeben. Diese zeigen, dass wir mehr Zeit brauchen.  Der PV-Zubau ist von verschiedenen Faktoren abhängig, und diese liegen mehrheitlich ausserhalb des Spielraums der Stadt Zürich. Hier müssen wir eine ehrliche Betrachtungsweise einnehmen.»

 

Die Stadt mache ihre Arbeit, betont Michael Baumer: «Wir unterstützen Eigentümerinnen und Eigentümer mit der Energieberatung umfassend beim Bau von PV-Anlagen. Gleichzeitig hat die Stadt die Förderung der PV-Anlagen auf Beginn dieses Jahres deutlich erhöht. Zudem bietet EWZ mit Contracting- oder Beteiligungsmodellen attraktive Angebote für die Photovoltaik.» Letztlich sei es aber der Entscheid der EigentümerInnen, ob sie eine Anlage bauten oder nicht. Auch mache es keinen Sinn, den PV-Zubau «auf Teufel komm raus ohne Rücksicht auf die Renovationszyklen der Dächer zu forcieren. Hier ginge viel graue Energie verloren».

 

Wirklich nicht mehr möglich?

Die Liste der Schwierigkeiten, die der Stadtrat im Bericht auflistet, ist lang: Sie reicht von zu wenig Fachkräften über Lieferschwierigkeiten bis hin zur Notwendigkeit, Sanierungszyklen einzuhalten. Fragt sich nur, wie unlösbar diese Probleme tatsächlich sind. Der Geschäftsleiter des Fachverbands Swissolar, David Stickelberger, ordnet ein: «Was den Fachkräftebedarf betrifft, ist das Jammern heute sehr viel leiser als noch vor ein paar Monaten.» Die Branche bewältige seit einiger Zeit ein grosses Wachstum und werde das auch in Zukunft schaffen. Es würden viel mehr Aus- und Weiterbildungskurse angeboten, und ab dem Schuljahr 2024/25 starteten die neue Attestlehre als SolarmonteurIn und die Ausbildung zur SolarinstallateurIn mit Fähigkeitszeugnis. Auch bezüglich Lieferschwierigkeiten sieht David Stickelberger bessere Zeiten kommen: «Die Panels sind zurzeit kein grosses Thema mehr, die Wechselrichter schon eher. Doch auch hier wird sich in nächster Zeit einiges bewegen.» Zudem machten Lieferschwierigkeiten nicht nur der Solarbranche zu schaffen, sondern dem ganzen Baubereich.

 

A propos bauen: Es sei keineswegs nötig, wegen einer Solaranlage das ganze Dach zu erneuern, betont David Stickelberger. Zu den Massnahmen, die bezüglich Energieeffizienz den grössten Nutzen im Verhältnis zu den Kosten brächten, gehörten die Isolation von Keller, Decken und Dach sowie die Fenstererneuerung, fügt er an: «Hat das Dach noch eine Lebensdauer von 20 Jahren, sind eine Isolation und die anschliessende Montage einer Photovoltaikanlage normalerweise energetisch wie wirtschaftlich empfehlenswert.» Dass die Gemeinden in der Schweiz keine Solarpflicht auf Bestandesbauten einführen könnten, obwohl sie eigentlich mehr Befugnisse hätten als Kommunen in Deutschland, wo das möglich ist, findet er «schade». Immerhin berate die Umweltkommission des Nationalrats zurzeit eine Solarpflicht auf Bestandes-Industriebauten ab 300 m2 Fläche, und in einigen Kantonen seien Bestrebungen für eine Solarpflicht auf allen Bestandesbauten in Gang.

 

Fazit: Wie hoch jemand die Hürden einschätzt, hängt offensichtlich auch beim Thema Photovoltaik davon ab, wie gross seine/ihre Lust – oder zumindest Bereitschaft – ist, diese Hürden auch tatsächlich zu nehmen.

 

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