Friedenspolitik braucht mehr internationale Zusammenarbeit

Schweizer Aussenpolitik ist immer auch Friedenspolitik. Dieser Grundsatz bedarf einer Revitalisierung – auch und gerade angesichts des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine. Plädoyer für eine aktive Neutralitätspolitik.

Am Tag, als 1989 die Mauer fiel, beschied das Schweizer Aussendepartement den Medien, man könne das Ereignis nicht kommentieren. Es sei unmöglich, sich zu allem zu äussern, was sich gerade auf der Welt abspiele. Vielen gilt die Episode als Sinnbild dafür, wie sehr die Schweiz stets darum bemüht war, sich herauszuhalten, wo immer es ging – gern mit Verweis auf die Neutralität. Die Sorge scheint nicht unbegründet, dass sich die Muster wiederholen. Dies auch deshalb, weil Aussenminister Cassis kürzlich verkündet hat, dass er Zeitungslesen als Zeitverschwendung empfinde, und man so nur hoffen kann, dass er anderweitig genügend auf dem Stand der weltweiten Ereignisse gehalten wird. 

Neutralität aktiv verstehen

Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine führt uns vor Augen, dass die Friedensordnung auch in Europa nicht in Stein gemeisselt ist, sondern als eine der grössten zivilisatorischen Errungenschaften der Nachkriegszeit immer wieder neu institutionell gesichert werden muss. Was bedeutet es für die Schweiz in diesem Kontext, Aussenpolitik nicht allein als Interessenpolitik, sondern im Gegenteil aktiv als Friedenspolitik zu betreiben? Im Fokus steht hierbei die Frage, was zeitgemäss unter Neutralität zu verstehen ist und wie sich diese mit einem internationalen Engagement unseres Landes vereinen lässt. 

Isolationismus und eine Aufrüstung, wie sie heute von der Armee verlangt wird, können aus linker Sicht nicht die Antwort sein. Sie sind kein Beitrag zur europäischen Sicherheit. Zugleich würden sie die friedenspolitische Rolle der Schweiz in der Welt schwächen und so gerade auch der Neutralität einen Bärendienst leisten. Denn: Wenig wurde in den letzten zwei Jahren so deutlich wie der Umstand, dass es die Option, keine Position zu beziehen, nicht gibt. Der Schweiz weht denn auch bis heute in manchen Kreisen steifer Wind entgegen, weil fehlendes Engagement zugunsten der Ukraine eben nicht als nobles Sich-Heraushalten, sondern als Parteinahme für den Aggressor angesehen wird. 

Neutralitäts- und friedenspolitisch zielführend kann vor diesem Hintergrund nur eine modern verstandene aktive Neutralität sein. Sie verlangt, so hält es die SP Schweiz in ihrem Positionspapier vom letzten September fest, dass unser Land aktiv mitbaut an der europäischen geteilten Souveränität und sich mit aller Kraft für die regelbasierte Weltordnung und den Multilateralismus mit seinen Institutionen einsetzt. Denn nur das kann jene Friedensordnung – die multilaterale (Welt-)Rechtsordnung – sichern, innerhalb deren eine neutrale, vermittelnde Rolle der Schweiz überhaupt ihre Wirkung entfalten kann. 

Blockfreiheit und internationale Solidarität

Deshalb ist den allzu oft hörbaren Forderungen nach einer weiteren Annäherung der Schweiz an die Nato deutlich zu widersprechen. Blockfreiheit ist eine der kaum diskutierbaren Konsequenzen des Neutralitätsrechts, und Blockfreiheit gibt der Schweiz auch Möglichkeiten, sich verstärkt friedenspolitisch zu engagieren, nicht zuletzt aufgrund einer möglicherweise höheren Glaubwürdigkeit, die sie bei Nato-kritischen Staaten geniessen kann. 

Blockfreiheit aber, verstanden als Bündnisfreiheit, ist eine Aussage über die militärische Neutralität der Schweiz, gewiss nicht darüber, dass sie sich nicht als Teil der internationalen Wertegemeinschaft verstehen und sich mit Nachdruck zur Einhaltung der völkerrechtlichen Grundsätze bekennen soll. Auch aus diesem Grund verlangt eine aktive Neutralität, klar gegen Völkerrechtsverletzungen Stellung zu beziehen, Sanktionen mitzutragen, wo Völkerrecht gebrochen und dieser Bruch von der UNO auch anerkannt wird, und umso entschiedener für humanitäre Hilfe, eine gerechte Weltwirtschaftsordnung und internationale Solidarität einzustehen. 

Gerade hier aber macht die Schweiz derzeit eine schlechte Falle. Dass sie noch immer zu wenig unternimmt, um den Rohstoffhandel mit Russland und die Verfügbarkeit russischer Vermögen in der Schweiz zu unterbinden, ist leider hinlänglich bekannt. Die diesbezüglichen Forderungen der Linken sind unmissverständlich und sie behalten ihre Dringlichkeit. Immer wieder ist aber auch darauf hinzuweisen, dass die Schweiz im internationalen Vergleich bestenfalls im Mittelfeld liegt, was ihre Unterstützung für die Ukraine angeht. Andere Staaten tun wesentlich mehr – dabei würde die aktive Neutralität verlangen, dass die Schweiz sich stärker engagiert, nicht nur für die aktuelle Unterstützung und den Wiederaufbau in der Ukraine, sondern weltweit gegen Hunger, Armut und Elend. 

Ukraine-Hilfe und  Entwicklungszusammenarbeit

Tatsache aber ist, dass die Schweiz den gegenteiligen Weg zu gehen droht: Statt die wirtschaftliche internationale Hilfe auszubauen, schlägt das Aussendepartement vor, die Ukraine-Hilfe mit der Entwicklungszusammenarbeit zu verrechnen und so den Betrag, der für letztere zur Verfügung steht, massiv zu beschränken. 13 Prozent der eingestellten Mittel sollen nämlich künftig für Wiederaufbau und humanitäre Hilfe in der Ukraine reserviert werden.  

Zu Recht schlagen Kreise rund um eine Gruppe ehemaliger EDA-Mitarbeiter:innen daher vor, ein eigenes Ukrainehilfegesetz zu erlassen, das – nach dem Vorbild des damaligen Osthilfegesetzes – eine Rechtsgrundlage schaffen würde für die langfristige gesonderte Unterstützung der Ukraine (humanitäre Hilfe, Wiederaufbau, Minenräumung etc.), ohne dass diese Hilfe zulasten der internationalen Zusammenarbeit geht. Wenn es auf diesem Weg gelingt davon abzukommen, das eine gegen das andere auszuspielen, verdient der Ansatz gewiss volle Unterstützung. Das jetzt geplante Vorgehen schwächt nämlich nicht zuletzt die Schweizer Neutralität, die nur dann glaubwürdig aufrechterhalten kann, wenn sie die internationale Zusammenarbeit, die oft auch Instrumente der zivilen Friedensförderung beinhaltet, ausbaut – und nicht etwa untergräbt. 

Bleibt zu hoffen, dass sich Aussenminister Cassis doch noch dazu aufrafft, wieder ab und zu einen Blick in die Zeitung werfen. Dann nämlich bekäme er mit, dass das Verhalten unseres Landes von unseren Partner:innen im Ausland nicht etwa gleichgültig quittiert, sondern durchaus mit Unverständnis zur Kenntnis genommen wird.

* Fabian Molina ist Nationalrat der SP; Jean-­Daniel Strub ist Nationalratskandidat der SP

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