Faire Chance auf ein rares Gut

Mittels eines «fairen und transparenten» Vergabeprozesses eine der begehrten Alterswohnungen in der Stadt Zürich ergattern? Das soll künftig möglich sein – wie, war am Montag zu erfahren.

Stadtrat Andreas Hauri präsentierte am Montagmorgen zusammen mit Nina Schneider, Projektleiterin Stiftung Alterswohnungen der Stadt Zürich (SAW) sowie SAW-Direktorin Andrea Martin-Fischer an einer Medienkonferenz in Zürich den neuen Vergabeprozess für Alterswohnungen. Genau genommen handelt es sich dabei um den zweiten Anlauf in dieser Sache: Bereits vor über zwei Jahren, am 5. Mai 2021, hatte die SAW mitgeteilt, sie richte per Oktober 2021 ein Vermietungsportal ein und schreibe freie Alterswohnungen fortan laufend online aus. «Der elektronische Bewerbungsprozess garantiert mittels Zufallsgenerator, dass alle Interessierten dieselben Chancen haben, zur Wohnungsbesichtigung eingeladen zu werden. Ein fixes Kontingent der freiwerdenden Alterswohnungen bleibt weiterhin Personen in Wohnnotlagen vorbehalten», schrieb die SAW damals.

Das kam bei den Betroffenen jedoch gar nicht gut an. SP-, Grüne- und AL-Fraktion reichten eine dringliche Interpellation betreffend Aufhebung der Warteliste der Stiftung Alterswohnungen ein. Am 14. Juli 2021 wurde sie im Zürcher Gemeinderat behandelt, gemeinsam mit einem Postulat der Fraktionen von SP und AL sowie der Parlamentarischen Gruppe EVP: Sie forderten den Stadtrat auf, zu prüfen, ob die Löschung der Warteliste sistiert werden könne, und ersuchten ihn, auf die geplante Onlineanmeldung und die Auswahl mittels Zufallsgenerator zu verzichten. Zudem sollte die Wohndelegation des Stadtrats prüfen, wie das Wohnungsangebot der Stiftung Alterswohnungen rasch erweitert werden könnte. Vor besagter Ratssitzung fand sich eine grosse Gruppe wütender und besorgter älterer Menschen vor der Halle 9 in Oerlkon ein, wo der Gemeinderat damals tagte, und suchte lautstark das Gespräch mit Andreas Hauri (siehe P.S. vom 16. Juli 2021).

Prozess neu aufgegleist

Der Stiftungsrat der SAW habe eine Delegation jener Seniorengruppe empfangen und den Prozess neu aufgegleist, führte Andreas Hauri am Montag aus. Fachleute waren beteiligt, es gab verschiedene Echoräume, und das Ziel lautete, einen möglichst fairen und gleichzeitig transparenten Vergabeprozess auszuhecken. Er gilt voraussichtlich ab Herbst 2024. Dann werden alle Wohnungen der SAW öffentlich ausgeschrieben, sowohl im ‹Tagblatt der Stadt Zürich› als auch online, wo man sich einmalig registrieren muss. Die SAW schafft gleichzeitig Anlaufstellen, die Mietinteressent:innen bei der Registrierung und/oder Wohnungsbewerbung unterstützen, und sie richtet eine telefonische Hotline ein: Niemand wird ausgeschlossen, nur weil er:sie kein Compi-Fan ist.

Für eine Alterswohnung infrage kommen Menschen über 60, die seit mindestens zwei Jahren in der Stadt wohnen und ein «schmales Budget» haben, wie Nina Schneider es ausdrückte. Rund 80 Prozent der Wohnungen der SAW sind von der Wohnbauförderung unterstützt, also landläufig subventionierte Wohnungen – nur wer ein bestimmtes steuerbares Jahreseinkommen und -vermögen nicht überschreitet, kommt als Mieter:in infrage. Auch für die freitragenden Wohnungen gelten Einkommens- und Vermögensobergrenzen: Diese liegen beim Eineinhalbfachen des Einkommensmaximums für subventionierte Wohnungen, und die Freibeträge beim Vermögen sind etwas höher.

Die bisherigen Wartelisten werden abgeschafft. Wer allerdings bereits seit vielen Jahren auf der Warteliste steht, muss trotzdem nicht wieder «bei Null» anfangen, denn im neuen System können die Bewerber:innen Punkte sammeln und so in der virtuellen Schlange nach vorne rücken. Zu den Kriterien, für die es Punkte gibt, gehören vorab die Dringlichkeit und die Mobilität: Wer in maximal drei Monaten auf der Strasse stünde, bekommt sechs Punkte gutgeschrieben, wer innert drei bis zwölf Monaten eine neue Wohnung braucht, deren fünf. Ebenfalls je fünf Punkte bekommen jene älteren Menschen, die entweder nicht mehr mobil genug sind für ihre jetzige Wohnung, oder die sich diese schlicht nicht (mehr) leisten können. Wer speziell in seinem bzw. ihrem Quartier verankert ist und deshalb dort bleiben möchte, kann einen Punkt geltend machen, und zudem gibt es einen Viertelpunkt pro Jahr auf der Warteliste (maximal möglich sind hier vier Punkte).

Wer online oder im ‹Tagblatt› eine Wohnung gesehen und sich registriert hat, bekundet erst mal sein:ihr Interesse an dieser Wohnung. In einem gewichteten Auswahlverfahren werden aus allen Interessent:innen zehn ältere Menschen zur Wohnungsbesichtigung eingeladen, sieben aus der Gruppe jener, die am meisten Punkte haben, und drei weitere. Danach können sie sich für die Wohnung bewerben. Ihre Bewerbungsunterlagen werden geprüft, drei Interessent:innen werden zu einem Gespräch eingeladen, und zu guter Letzt erhält eine:r von ihnen den Vertrag.

Nina Schneider sagte, das System habe unter anderem den Vorzug, dass sich die Menschen aktiv melden können, wenn sie es möchten. Niemand müsse mehr «prophylaktisch» jahrelang auf der Warteliste stehen wie früher. Auch die Entscheidung, in welcher von maximal drei auszuwählenden Siedlungen man dereinst wohnen möchte, fällt weg, man kann sich nun auf alle freien Wohnungen in der ganzen Stadt bewerben. Zudem hätten dank des transparenten Systems auch jene, deren Haus nicht unmittelbar vor dem Abbruch steht, eine faire Chance. Gleichzeitig erhielten die Interessent:innen dadurch, dass alle Wohnungen publiziert würden, einen «realistischen Einblick», fügte Nina Schneider an – den beispielsweise, dass durchschnittlich weniger als 300 Wohnungen pro Jahr frei werden.

Mehr Alterswohnungen nötig

SAW-Direktorin Andrea Martin-Fischer vertiefte zum Schluss, was Andreas Hauri bereits zu Beginn der Medienkonferenz angesprochen hatte: Gäbe es genügend Alterswohnungen, wäre die Vergabe einfacher. Dennoch konnte sie verkünden, dass die SAW, Stand 2022, rund 2100 Wohnungen in 34 Siedlungen hat. Allerdings stehen nie alle zur Verfügung, beispielsweise, weil die Bewohner:innen wegen eines geplanten Ersatzneubaus bereits in eine andere Siedlung umgezogen sind, die Arbeiten am Neubau jedoch noch nicht begonnen haben. Das Ziel laute, bis 2035 mehr als 3000 Wohnungen zu haben. Diese sollen entstehen, indem die SAW sich Bauland beziehungsweise Baurechte für neue Siedlungen sichert, bestehende Liegenschaften übernimmt, im eigenen Bestand nachverdichtet sowie Kooperationen eingeht, beispielsweise mit Genossenschaften. Bereis ab 2025/26 sollen die ersten neuen bzw. erneuerten Wohnungen bezugsbereit sein, und bis 2035 habe die SAW, «wenn alles gut läuft», deren 971 parat, womit sie rund 3000 bis 2035 schaffen würde.

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