Ersatz statt Reproduktion

Der Fallätschegarten in Zürich-Leimbach steht im Fokus eines Rechtsstreits, der nach dem Baurekursgericht nun weiter im Verwaltungsgericht ausgehandelt wird. Er wirft gleichzeitig auch grundlegende bodenpolitische Fragen auf.

Ein Streit in Zürich-Leimbach geht in die nächste Runde. Es geht um den Fallätschegarten (P.S. berichtete) – ein privates Grundstück, das während Jahrzehnten unbebaut war, und heute deshalb ein wichtiges Habitat für viele Pflanzen- und Tierarten darstellt. Vor zwei Jahren wurde es an einen Zuger Investmentfonds verkauft, der 54 Eigentumswohnungen bauen will. Dafür müsste das Grundstück gerodet werden – das hat sich allerdings verzögert. Grund: Der Fallätschegarten ist im Inventar des kommunalen Natur- und Landschaftsschutzes eingetragen. Gleichzeitig aber in der Wohnzone. Prisca Büchi, Präsidentin der «IG Stopp Zerstörung Naturlandschaft in Zürich-Leimbach» meldete die Rodungspläne der Stadt. Während der Brutzeit war das aber ohnehin nicht erlaubt und die IG stellte daraufhin einen Antrag auf Schutzabklärung beim Stadtrat.

In der Folge erliess die Stadt ein eineinhalbjähriges Veränderungsverbot. Die Schutzabklärung befand, das Grundstück sei zwar grundsätzlich schutzwürdig, aber nicht unersetzbar. Die Rekurrent:innen wehrten sich im Verbund mit zwei Stiftungen und Anwohner:innen beim Baurekursgericht. Der Rekurs wurde abgewiesen und die IG und ‹Helvetia Nostra›, Schwesterstiftung der ‹Fondation Franz Weber›, reichten eine Beschwerde beim Verwaltungsgericht ein. 

Ein Blick über den Zaun reicht, um festzustellen, dass es sich hier um ein spezielles, seltenes Stück Natur auf Stadtgebiet handelt. 50 Jahre relative Ungestörtheit führte zu komplexen natürlichen Strukturen. Der Fallätschegarten birgt somit Lebensräume für eine ausserordentlich hohe Artenvielfalt und liegt auf der Kreuzung zweier wichtigen ökologischen Vernetzungskorridore beim Rütschlibach, der vom Schutzgebiet «Fallätsche» ins Sihltal fliesst. Die Stadt will als Ersatz eine maschinell bewirtschaftete Wiese in der Freihaltezone anreichern  – mit Blumen und Obstbäumen sowie kleineren Strukturen. Nur ist das nicht dasselbe wie ein grüner Fleck, der seit 40 Jahren in Ruhe vor sich hinwächst. Circa 10-25 Jahre wären laut Rekurrent:innen nötig, um auch nur die einfachsten Lebensräume des Fallätschegartens zu reproduzieren – das Bauvorhaben würde kaum für eine solche Zeitspanne auf Eis gelegt. Prisca Büchi erläutert: «Der Ersatz sollte die ökologischen Lebensräume des alten Orts repräsentieren. Die geplanten Lebensräume auf der Ersatzwiese würden das nicht. Im Entscheid des Stadtrats steht: Die mobilen Arten können umziehen – ihre bisherigen Lebensraumtypen wären aber gar nicht vorhanden. Sie sind weder geplant noch wäre genug Zeit für deren natürliche Entwicklung vergangen.» Monika Wasenegger von der Stiftung Helvetia Nostra knüpft an: «Diese Wiese stellt für uns klar keine Alternative dar. Wir kritisieren nicht, dass es eine Bemühung gibt für Ersatzmassnahmen, sondern, dass wir es uns nicht leisten können in der heutigen Zeit, solche Lebensräume zu zerstören. Müssten wir nicht eigentlich einen Ersatz für das Vorhaben finden?»

Verdichtung nach aussen

Die Causa Fallätsche zeigt damit vielleicht auch einen fehlenden Fokus auf den Makrokosmos. Denn direkt oberhalb der Ersatzwiese beginnt das nationale Schutzgebiet «Fallätsche». Dieses würde trotz Ersatzmassnahme stärker unter Druck geraten, wenn die natürlichen Grenzen zum Siedlungsgebiet fallen – und der Fallätschegarten ist genau eine solche natürliche Grenze. Für Monika Wasenegger ist klar: «Im Zeitalter des verdichteten Bauens gibt es bessere Alternativen, als eine seit Jahrzehnten entwickelte Naturoase auf Stadtgebiet zu zerstören. Diese sind selten und aus ökologischer Sicht unbedingt zu erhalten und zu schützen.»

Verständnis für die Pläne der Immobilienfirma, dass sie das gekaufte Land nutzen will, haben die Rekurrent:innen durchaus, «aber angesichts der dramatischen Biodiversitätskrise darf es nicht sein, dass ein als schützenswert eingestuftes Grundstück einfach zerstört wird. Die wenigen noch verbleibenden wertvollen Naturflächen müssen unbedingt erhalten und somit Lösungen gefunden werden», so Prisca Büchi. Das zeigt die politische Dimension: Das Eigentum steht nunmal hierzulande über fast allem – aber damit einhergehend nicht unbedingt die Verantwortung über den Effekt, den das Eigentum auf die Nutzfläche hat. Gewissermassen sind somit der Stadt auch die Hände gebunden – eine Unterschutzstellung käme wohl einer faktischen Enteignung gleich, was einen grösseren Rechtsstreit als mit den Anwohner:innen, eine finanziell teure Geschichte und wohl auch politischen Widerstand zur Folge hätte. So muss man also nach einem Ersatz suchen – und obwohl die grössere Fläche weiter oben am Berg in Richtung Fallätsche-Schutzgebiet vielleicht nach einer geeigneten Alternative klingt, ist hier dennoch ein Grundsatzkonflikt vorhanden. Die Natur wird belastet, Verdrängung – wenn auch von Tier statt Mensch – befeuert, und die Kasse der Eigentümerin nicht allzu stark belastet, weil sie nur für Ersatzmassnahmen aufkommen muss, die deutlich weniger anstreben als eine Reproduktion der zerstörten Lebensräume. Denn auch dem Laien erschliesst sich beim Blick in den Fallätschegarten, dass eine im Vergleich kahle Wiese nicht dasselbe ist wie ein weitgehend unberührter Naturkomplex.

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