«Eine geht noch rein…»

Nach Schlusswortrunde und Steuerfussdebatte hat der Zürcher Gemeinderat das Budget 2024 unter Dach und Fach gebracht.

Der Zürcher Gemeinderat befasste sich am Mittwoch zuerst mit einem Verdikt des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte: Dieser hatte Beschwerden gegen den Einsatz von Kantons- und Stadtpolizei am 1. Mai 2011 in der Stadt Zürich gutgeheissen. In ihrer Stellungnahme verwies Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart auf die «Nachbearbeitung» von Einsätzen der Stapo, die es auch 2011 schon gegeben habe, und darauf, dass die Lehren aus jenem Einsatz längst gezogen seien. Die Stadt habe ihre Vorgehensweise bei grösseren Einkesselungen und Personenkontrollen angepasst, man sorge dafür, dass die Leute relativ schnell wieder aus dem Kessel rauskämen und überprüfe die Identität gleich vor Ort. Karin Rykart entschuldigte sich, auch im Namen der Stadtpolizei dafür, dass damals viele Menschen sehr lange festgehalten wurden. Sie bat aber auch, man solle das Urteil genau lesen – es richte sich nicht gegen den «Kessel» an sich.

Die Fraktionserklärung der AL zum Thema, verlesen von Moritz Bögli, trug den Titel «Konsequenzen ziehen – keine illegale Repression mehr in Zürich». Er sagte, mit diesem Urteil stehe fest, «dass auch in unserer Stadt staatliche Organe Grundrechte ihrer Bewohner:innen verletzt haben». Für die AL sei klar: «Diese Praxis muss aufhören.» Die AL erwarte von der Stadtpolizei, «dass sie sich zukünftig in ihren Einsätzen an die Bundesverfassung und die Europäische Menschenrechtskonvention hält, und zwar unabhängig davon, ob eine Demonstration bewilligt wurde oder nicht». Die Fraktionserklärung der SVP mit dem Titel «Mit Einkesselungen auch zukünftig linksextreme Gewalt verhindern» verlas Samuel Balsiger. Er erklärte, «dieses Urteil der fremden Richter ist ein Skandal, greift unberechtigt in innerstaatliche Aufgaben ein und verdreht Täter und Opfer». Einkesselungen müssten auch zukünftig angewendet werden, «um die linksextremen Gewaltchaoten im Zaun zu halten».

«Höhe- und Tiefpunkte»

In der Schlusswortrunde zum Budget 2024 sprach Florian Utz (SP) von «einigen Höhe- und Tiefpunkten»: Positiv sei, dass sich alle Fraktionen einstimmig gegen Antisemitismus ausgesprochen hätten (siehe auch Gemeinderatsbericht von letzter Woche). Als positiv wertete er weiter das Wohnbaupaket im Umfang von einer halben Milliarde Franken, während man bei der Förderung von öV und Veloverkehr nur einen «halben Schritt» nach vorne gemacht habe. An die Adresse der Freisinnigen sagte er, sie erwähnten zwar bei jeder Tempo-30-Debatte, wie wichtig der öV sei, doch das «volle Förderprogramm» wollten sie dann doch lieber für E-Autos. Ein «Tiefpunkt» war für ihn, dass es nicht gelang, die Lehrlingslöhne anzuheben, wofür er mit den Grünen, die nicht mit SP und AL gestimmt hatten, hart ins Gericht ging. Përparim Avdili (FDP) stellte dazu fest, die Grünen seien die «vernünftigeren» Linken… Auch 2024 werde wieder positiv abschliessen, ja es gebe wohl «ein fettes Plus», fuhr Avdili fort und warb schon mal für eine Steuerfusssenkung um drei Prozentpunkte. Den Tiefpunkt aus seiner Sicht bildete das angebliche «Filibustern» der Linken am Donnerstag vor einer Woche, dem zweiten Budgetdebattentag.

Selina Walgis (Grüne) sprach von einem «ausgewogenen» Budget. Die Mittel fürs Wohnbaupaket seien «zentral», um das Drittelsziel zu erreichen, und dass es dank dem Gemeinderat mehr Stellen gebe, sei «dringend nötig», etwa für mehr Chancengerechtigkeit – auch wenn es nur zehn Klassenassistent:innenstellen mehr gebe, weil SP und AL nicht mitgemacht hätten. Dafür sei mit den beiden Fraktionen Geld für 600 zusätzliche Bäume zur Hitzeminderung gesprochen worden. Erfreut zeigte sie sich auch darüber, dass sich die SP «endlich» zu weniger Stellen fürs Sozialin­spektorat «durchgerungen» habe. Sven Sobernheim (GLP) erklärte, so, wie die Debatte gelaufen sei, habe er sich vorgestellt, dass auf der Tribüne SP-Hooligans sässen, die riefen: «Eine Stelle, eine geht noch rein…» Mehr Frontpolizist:innenstellen allerdings seien nicht dringelegen. Er ärgerte sich darüber, dass man bei den Schulassistent:innen eigentlich einen Kompromiss gehabt habe, aus dem dann doch nichts geworden sei wegen des «Filibusterns» der linken Ratsseite: «Wir haben sehr viel Zeit für sehr wenig Veränderung gebraucht.» 

Samuel Balsiger (SVP) sprach vom «Bauchgefühl», dass «etwas nicht stimmt», und erklärte, angesichts der aktuellen Krise müsse man jetzt «vom hohen Ross» runter und für ein Jahr eine Steuersenkung um sieben Prozentpunkte sprechen. Wenn vier, fünf Mitglieder der linken Ratsseite im rechten Moment aufs WC gingen, klappe das auch… Christian Traber (Die Mitte) zeigte sich ebenfalls «irritiert», dass nicht mehr Frontpolizist:innenstellen geschaffen werden konnten. Die Reduktion beim Sozialinspektorat sei ein «falsches Zeichen», befand er. Tanja Maag (AL) erklärte, der bürgerliche «Steuerfussfetischismus» habe sie nicht überrascht, doch die Steuern seien nicht die grosse Sorge, vielmehr wollten alle eine anständige Wohnung und gute Behandlung, wenn sie krank seien. Mit 86 gegen 34 Stimmen (von FDP und SVP) hiess der Rat das Budget 2024 gut.

«Filibustern geht anders»

Die Steuerfussdebattte begann damit, dass Florian Utz mit Verweis auf Përparim Avdilis vorgängiges Votum erklärte, es lohne sich, das Audioprotokoll der Sitzung vom Donnerstag genau anzuhören: «Filibustern geht anders». Mit dem Steuerfuss sei die Stadt in der Vergangenheit gut gefahren, habe man doch die Steuern lange nicht mehr erhöhen müssen. «Stabilität und Verlässlichkeit» trügen dazu bei, dass die Stadt attraktiv sei. Zudem wäre auch der Zeitpunkt für eine Erhöhung falsch, da man etwa die Auswirkungen der Veränderungen bei UBS und CS noch nicht kenne. Zudem wäre eine Steuerfusssenkung keine gezielte Entlastung: Bei einem steuerbaren Einkommen von 60 000 Franken entspräche minus ein Prozent gerade mal 28 Franken pro Jahr. Përparim Avdili erklärte, eine Senkung um drei auf 116 Prozent sei «möglich, wirksam, notwendig». Drei Steuerprozente weniger würden der Stadt 60 Millionen Franken weniger Einnahmen bringen, das sei angesichts der schwarzen Null verkraftbar. Sven Sobernheim fügte an, einen Steuerfuss von 116 Prozent könnte man gut über die nächsten fünf Jahre halten, so wäre auch die Planungssicherheit gewährleistet. Felix Moser (Grüne) erklärte an die Adresse von Përparim Avdili, «wir sind für Kontinuität, nicht für ein ständiges Rauf und Runter». Florian Blättler (SP) wandte sich ebenfalls an Avdili und rechnete ihm vor, es bräuchte keine 60, sondern nur zehn Millionen, um die Tarife für den Mittagstisch in den Tagesschulen zu senken, das würde den Familien eine Entlastung um 1000 Franken pro Jahr bringen. In der Abstimmung setzten sich SP, Grüne und AL mit 62 Stimmen für 119 Prozent durch, gegenüber 58 Stimmen von FDP, SVP, GLP und Mitte-/EVP für 116 Prozent.

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