Eine eigentlich unpolitische Wahl

Der zweite Wahlgang der Ständeratswahlen und auch die anstehende Bundesratswahl überschatten die Wahl anderer Ämter, die noch zu vergeben sind – zum Beispiel die Wahl der Exekutive der Reformierten Kirche im Kanton Zürich. Überraschungen soll es da aber keine geben. Oder?

Esther Straub wäre die erste Frau, die im Präsidium des Kirchenrats der Reformierten Kirche sitzt. Die ehemalige SP-Kantonsrätin und Pfarrerin in Schwamendingen ist mittlerweile die einzige Kandidatin für das Amt. Respektive: Von drei Kandidaturen wurden zwei zurückgezogen. Der bisherige Kirchenratspräsident Michel Müller tritt nicht für eine weitere Amtszeit an, Namensvetterin Sabrina Müller hat ihre Kandidatur zurückgezogen, weil sie eine Stelle an einer Universität antritt. Für die sechs Sitze im Kirchenrat kandidieren sieben Personen – die beiden Wahlen klingen also nicht unbedingt nach Knüller. Das «Portal der Reformierten» ‹ref.ch› schreibt aber, spannend werden dürfte es trotzdem. Wieso?

Repräsentation statt Dominanz

Eigentlich ist die Kirchenratswahl eine eher unpolitische Sache. Das ist primär der Organisationsform der Reformierten Kirche zuzuschreiben: In der Kirchensynode, dem Parlament, sowie der Exekutive, dem Kirchenrat, sind verschiedene Fraktionen vertreten. Ein gewähltes Mitglied des Parlaments tritt aber nicht für eine Fraktion an, sondern entscheidet sich erst nach der Wahl für eine Fraktion. Heisst: Keine Basisorganisation wie bei Parteien und somit wenig Wahlkampf. Infolge der bereits erfolgten Wahl des neuen Parlaments – es hat nun eine Sitzung hinter sich – sind die Fraktionen näher zusammengerutscht und besetzen nun ähnlich viele Sitze. Auch hier gibt es eine Zauberformel in der Exekutive, damit Ansprüche und Wünsche, aber offensichtlich weniger Streitigkeiten darüber. Manuel Joachim Amstutz, Präsident der Religiös-sozialen Fraktion (RSF), der auch Esther Straub angehört, relativiert deshalb auch die Frage nach ideologischer Dominanz in der Kirchenpolitik: «Konkordanz ist immer auch etwas Machtpolitisches, aber uns ist wichtig, dass alle repräsentiert sind und damit auch in die Verantwortung genommen werden können – dass eben keine Opposition betrieben werden kann.»

Das hat einen einfachen Grund. Opposition macht im kirchlichen Kontext wenig Sinn – aufgrund der Organisationsform der Kirche ist man zur Zusammenarbeit gezwungen. Anders wie zum Beispiel bei einem Staat, wo man bei Abgabe des Passes zwar das politische Mitspracherecht verliert, aber dennoch steuerpflichtig bleibt. Bei der Kirche hingegen ist das nicht so – wer austritt, zahlt nichts mehr, ist von ihr losgelöst – weshalb man sich auch in den Gremien nicht zerstreiten sollte: «Die Frage nach funktionierender Zusammenarbeit und Kohäsion, wie wir uns dagegen wehren, auseinanderzudriften, ist viel zentraler. Wir müssen uns deshalb auch mehr zusammenraufen», so Manuel Joachim Amstutz.

Das hat auch zur Folge, dass politische Differenzen auch mal auf die Seite gelegt werden. Zum Beispiel bei der anderen Kandidatur der RSF für den Kirchenrat: Eva Schwendimann wäre die erste offen homosexuelle Kirchenrätin. Damit müssen alle Fraktionen klarkommen. Die Frage, ob es auch hier seit jeher bürgerliche Dominanz im Politischen gibt, weist der RSF-Präsident zurück: Die Kirche spiele zum Beispiel eine wichtige Rolle in Bezug auf die Soziale Frage – für viele Bürgerliche etwa auch in Bereichen, in denen dem Staat keine Zuständigkeit attestiert wird. Deswegen ist aber nicht irrelevant, wer diese Ämter besetzt. Wer Mehrheiten hat, beeinflusst, für wen man sich einsetzt – für die Religiös-soziale Fraktion wäre es, «sich für die Schwächeren in der Gesellschaft einzusetzen.»

Heraufbeschwörte Spannung

Es ist auch nicht so, dass Präsidiumskandidatin Esther Straub sehr polarisierend wäre, ihre Vorstellung einer modernen Kirche ist nicht unbedingt revolutionär: «Die Kirchgemeinden haben viel zu bieten: Räume zur vielfältigen Nutzung, Gesprächspartner:innen, Unterstützung für Menschen in finanziellen Notsituationen, rituelle Begleitung bei Geburt, Partnerschaft und Tod, Kirchenräume, in denen für Frieden gebetet wird, Chöre und Werkstätten, die Menschen integrieren, Begegnung über Generationen hinweg, offene Räume für Jugendliche.» Den Einbezug einer jüngeren Generation, für die die Kirche vielleicht eher ein Kulturgut der älteren Generationen ist, betont Esther Straub besonders: «Berührungspunkte zu einer jungen Generation, die die Kirche nicht von innen kennt, sind da überall vorhanden. Diese Berührungspunkte müssen wir im Blick haben und sie aktiv bewirtschaften. Ich will eine offene Kirche. Aber auch eine Kirche, die über ihren Glauben offen spricht und die über den Glauben mit anderen Religionsgemeinschaften im Dialog ist und mit ihnen gemeinsam den religiösen Frieden im Land sichert.»

Dass die Wahl weiterhin als spannend bezeichnet wird, deutet vielleicht auf die Rolle der Präsidiumskandidatin hin. Wäre eine «feministische Theologin», wie Esther Straub ab und zu beschrieben wird, als erste Frau in diesem Amt vielleicht doch zu polarisierend für eine patriarchal geprägte Kultur? Und grün soll sie auch noch sein? Tatsächlich bringt Esther Straub Ideen ein, die für das kirchliche Umfeld nicht gerade typisch sind: Zusammen mit der «Frauenlesegruppe» hat sie vor 20 Jahren die Übersetzung der Zürcher Bibel feministisch kritisch begleitet. Oder auch ein Umweltmanagementsystem, den «Grünen Güggel», vorangetrieben – der nicht top-down, sondern aus den Gemeinden heraus mittels sogenannten Umweltgruppen organisiert ist, die «gemeinsam, tatkräftig und nachhaltig die Schöpfung Gottes beackern» wollen. In nicht kirchlicher Sprache heisst das etwa: Auf Gemeindeebene organisierte Aktionsgruppen, die Umweltkonzepte erarbeiten. Esther Straub will «keine Kirche, die wie eine Firma funktioniert, sondern eine Körperschaft, die tatsächlich wie ein Körper konstituiert ist: Jedes Glied ist auf die anderen Glieder angewiesen – und das Haupt ist nicht der Kirchenratspräsident, sondern Christus», ein biblisches Bild, das ihr viel bedeute.

Angesichts der zurückgezogenen Kandidaturen müsste es also eigentlich klar sein, wie diese Geschichte ausgeht. Esther Straub musste sich diese Woche den Anhörungen bei den verschiedenen Fraktionen stellen, wo sie, ähnlich wie angehende Bundesratsmitglieder, auf Herz und Nieren geprüft wurde. Die heraufgeschworene Spannung ist also eigentlich keine – wenn sie ja die einzige ist, die zur Wahl steht. Lediglich Protestwahlen oder ein Aufbau eines kurzfristigen Sprengkandidaten könnten die Wahl kippen. In einem eigentlich unpolitischen Wahlkampf würde es definitiv auch nicht zum guten Ton in einem grundsätzlich etwas friedfertigeren Gremium als die anderweitig im P.S. vorkommenden, gehören, wenn plötzlich Verhinderungspolitik betrieben würde. Und vielleicht wäre dann auch noch nicht ganz alles gesagt bezüglich reaktionärer Kräfte in der Refomierten Kirche. Etwas mehr feministische Kritik und bottom-up-Strukturen würden ihr ohnehin guttun.

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