«‹Du schwule Sau› ist strafbar, ‹alle Schwulen sind Schweine› nicht»

Am 9. Februar 2020 haben die Stimmberechtigten darüber zu befinden, ob die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung verboten werden soll. Weshalb es diese Erweiterung der Antirassismus-Strafnorm braucht, erklärt Tobias Urech, Stv. Kampagnenleiter des Komitees «Ja zum Schutz vor Hass», im Gespräch mit Nicole Soland.

 

Die Abstimmungsfrage lautet, «Wollen Sie die Änderung vom 14. Dezember 2018 des Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes (Diskriminierung und Aufruf zu Hass aufgrund der sexuellen Orientierung) annehmen?» Was genau beinhaltet diese Änderung?

 

Tobias Urech: Wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion zu Hass oder Diskriminierung aufruft, wird laut Artikel 261bis des Strafgesetzbuches seit Mitte der 1990er-Jahre mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. Ebenfalls unter Strafe gestellt werden im selben Artikel unter anderem das öffentliche Verbreiten von Ideologien, die diese Personen herabsetzen, oder das Vorenthalten einer Leistung, die für die Allgemeinheit bestimmt ist. Die Änderung besteht darin, dass die Aufzählung von Rasse, Ethnie und Religion neu um den Begriff «sexuelle Orientierung» erweitert wird. Ein öffentlicher Aufruf zur Diskriminierung von Lesben oder Schwulen soll damit künftig genauso bestraft werden können, wie es heute schon der Fall ist, wenn jemand öffentlich zur Diskriminierung von Jüdinnen und Juden aufruft.

 

Für Trans-Menschen gilt die Änderung somit nicht?

 

Die Rechtskommission des Nationalrats schlug im Rahmen der parlamentarischen Initiative von Nationalrat Mathias Reynard (siehe Kasten/Red.) als neues Kriterium neben der sexuellen Orientierung auch die Geschlechtsidentität vor. Der Nationalrat stimmte dem zu, der Ständerat jedoch nahm letzteren Punkt wieder aus der Vorlage heraus. Ich persönlich hätte die Geschlechtsidentität gern dringehabt. Doch nun kämpfen wir halt umso engagierter dafür, mindestens die sexuelle Orientierung in den Artikel 261bis des Strafgesetzbuches sowie analog in den Artikel 171c Abs. 1 des Militärstrafgesetzes hineinzubringen.

 

Ist diese Änderung nicht längst überfällig?

 

Doch! Wie der morgendliche Blick in die Zeitung zeigt, gibt es immer wieder Fälle, in denen Schwule und Lesben eigentlich auf einen Gesetzesartikel zum Sachverhalt der Diskriminierung zurückgreifen können müssten. Dass die Änderung überfällig ist, zeigt uns aber auch ein Blick in viele andere Länder, die einen solchen Artikel längst in ihren Gesetzen haben. Der Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde ist zentral, und dazu gehört auch der Schutz vor Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung.

 

Dass bei uns über die Änderung überhaupt abgestimmt wird, liegt daran, dass ein Komitee aus konservativen Kreisen, unter anderem von EDU und Junger SVP, das Referendum ergriffen hat. Eine Gegnerschaft, vor der man sich fürchten muss?

 

Wie diesen Frühling bekannt wurde, hat das Komitee UnterschriftensammlerInnen angestellt, von denen einige die Menschen zum Unterschreiben bewegten, indem sie ihnen erklärten, es handle sich um eine Unterschriftensammlung gegen Homophobie. Wie viele Menschen unter falscher Prämisse unterschrieben, lässt sich im Nachhinein kaum eruieren. Das Referendum kam dann im Mai zustande. Nicht mitgesammelt hat übrigens die SVP, auch wenn mehrere SVP-NationalrätInnen auf der Website als Komiteemitglieder aufgeführt sind. Die SVP Schweiz lehnt die Änderung denn auch ab, während die SVP Waadt Stimmfreigabe beschlossen hat. Wir setzen auf jeden Fall alles daran, die Abstimmung zu gewinnen.

 

Ein Argument der GegnerInnen lautet, eine Gesetzesänderung sei gar nicht nötig. Lesben und Schwule sollten Ehrverletzungsklagen einreichen müssen wie alle anderen auch.

 

Verschiedene Fälle zeigen, wie wichtig die Änderung ist: Als beispielsweise ein Pnos-Funktionär eine Hetzschrift gegen Homosexuelle verbreitete, in der er «schwul» praktisch mit «pädophil» gleichsetzte, nahm sich die Schwulenorganisation Pink Cross der Sache an. Sie reichte im Kanton Appenzell Innerrhoden, wo die Hetzschrift herausgekommen war, eine Einzelklage wegen Ehrverletzung ein. Die Staatsanwaltschaft lehnte die Klage ab, wäre aber darauf eingetreten, wenn es die Änderung der Strafnorm bereits gegeben hätte. Im Klartext heisst das: Bezeichnet mich jemand als «schwule Sau», kann ich mich mit einer Ehrverletzungsklage dagegen wehren. Die öffentlich geäusserte Aussage, «alle Schwulen sind Schweine», ist hingegen aus strafrechtlicher Sicht nicht relevant. Das ist doch absurd! Hier offenbart sich eine Gesetzeslücke, die wir am 9. Februar hoffentlich schliessen können.

 

Bei einem Ja wird laut den GegnerInnen allerdings die Meinungsäusserungsfreiheit beschnitten.

 

Das ist eine falsche Behauptung, die durch stetiges Wiederholen nicht wahrer wird: Die Meinungsäusserungsfreiheit wird nicht eingeschränkt. Kontroverse Diskussionen sind nach wie vor möglich. Was eine angeheiterte Runde am Stammtisch von sich gibt, fällt nicht unter die neue Strafnorm. Auch kritische Stellen aus der Bibel zu zitieren wird selbstverständlich nicht verboten. 

 

Wo liegt denn das Problem?

 

Den Kern des Problems sehe ich darin, dass die GegnerInnen die Begriffe «Meinung» und «Hass» vermischen. Wer Liebe zwischen Mann und Mann mit Verweis auf die Bibel ablehnt, tut seine persönliche Meinung kund. Das war noch nie verboten und wird es auch künftig nicht sein. Wer jedoch öffentlich fordert, alle Schwulen zu steinigen, beginge nach neuem Gesetz eine strafbare Handlung. Mit «Meinungsäusserungsfreiheit» hat das rein gar nichts zu tun.

 

Dennoch werden bei einem Ja Äusserungen bestraft, die bisher unter dem Radar des Gesetzbuches durchgingen.

 

Die Meinungsfreiheit ist ein Grundrecht, die Menschenwürde auch. Entsprechend werden die RichterInnen immer genau abwägen – so, wie sie es heute schon tun, wenn es beispielsweise um antisemitische Hetze geht. Die Anti-Rassismusstrafnorm existiert seit Mitte der 1990er-Jahre, und sie hat sich bewährt. Wenn wir sie jetzt um die sexuelle Orientierung erweitern, schützen wir künftig eine Minderheit besser, die sich schlecht wehren kann. Das ist Demokratie: Auch Minderheiten sollen die gleichen Voraussetzungen für ein gutes Leben haben. Eine Klagewelle ist ebenfalls nicht zu erwarten: Bisher endeten zwei Drittel der Fälle gemäss Art. 261bis mit einer Verurteilung. Bei den Ehrverletzungsklagen sind es viel mehr.

 

Ein besonders schlagendes Argument ist normalerweise jenes, dass die Betroffenen selbst die angestrebte Gesetzesänderung gar nicht wollten. Die Unabhängigkeitspartei Up! Schweiz wirbt denn auch mit dem Slogan «Wir wollen Gleichstellung, keine Sonderrechte» für ein Nein.

 

Das Komitee sonderrecht-nein.ch besteht hauptsächlich aus drei libertären Schwulen aus Junger SVP und Up!. Sie stammen aus der rechten Ecke und bedienen vor allem ihre eigene Peer Group. Das LGB-Komitee «Ja zum Schutz vor Hass» hingegen vertritt über 80 Organisationen mit über 1000 Mitgliedern. Es mutet deshalb seltsam an, wenn in gewissen Medienberichten davon die Rede ist, die Community sei in dieser Frage «gespalten». Ich mag es den Libertären von Up! und den anderen Rechten natürlich gönnen, dass sie sich nicht betroffen fühlen und den Schutz des Gesetzes nicht nötig haben. Nichtsdestotroz ist auch klar, wo die Mehrheit der Community steht.

 

In einem Artikel in der NZZ vom 7. Dezember steht, es wäre klug, auf die schrittweise Ausweitung der Rassismusstrafnorm zu verzichten, denn sie bringe für die tatsächliche Gleichstellung von Schwulen und Lesben wenig: «Sie ist symbolträchtig, hat aber wenig direkte Folgen.» Haben Sie eine These, weshalb jemand eine Gesetzesänderung bekämpft, die angeblich kaum etwas bringt?

 

Schwer zu sagen: Die Meinungsäusserungsfreiheit ist ein heisses Eisen, darüber wird schon seit längerem debattiert. Eine gezielte Technik von rechts besteht darin, in bürgerlichem Kontext Äusserungen vom rechten Rand einzubringen, die dort früher unsagbar gewesen wären. Wenn dann die Linken darauf reagieren und protestieren, wirft man ihnen Intoleranz vor.

 

Schaffen es die BefürworterInnen der Gesetzesänderung am 9. Februar, sich durchzusetzen?

 

Ich denke, es ist nicht nur Zweckoptimismus, wenn ich mit «Ja» antworte: Ich glaube daran, dass die meisten Menschen den Unterschied zwischen Hass und eigener Meinung kennen. Zudem haben BDP, GLP, Junge FDP, CVP, SP und Grüne, aber auch der Gewerkschaftsbund und Amnesty International bereits die Ja-Parole gefasst. Auch die Reformierte Kirche ist mehrheitlich dafür, und Michel Müller, der Kirchenratspräsident der Reformierten Kanton Zürich, hat öffentlich die Verantwortung betont, die die Kirche in dieser Frage trage.

 

Abstimmung vom 9. Februar

Zur Debatte steht am 9. Februar die Änderung des Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes, die das Parlament am 14. Dezember 2018 gutgeheissen hat. Sie beinhaltet das Verbot von Diskriminierung und Aufruf zu Hass aufgrund der sexuellen Orientierung und geht auf eine parlamentarische Initiative von Nationalrat Mathias Reynard (SP, Wallis) vom 7. März 2013 zurück. Der Nationalrat stimmte der Änderung mit 121 Ja zu 67 Nein bei 8 Enthaltungen zu, im Ständerat lautete das Resultat 30 Ja, 12 Nein und eine Enthaltung. Weil ein Komitee aus Mitgliedern von u.a. EDU, Junger SVP und Stiftung Zukunft CH dagegen das Referendum ergriffen hat, kommt es nun zur Volksabstimmung.

Bundesrat und Parlament empfehlen die Annahme der Vorlage. Im Abstimmungsbüchlein heisst es dazu: «Nach Meinung von Bundesrat und Parlament darf niemand wegen seiner Homo-, Hetero- oder Bisexualität diskriminiert werden. Das gehört zu den von der Bundesverfassung garantierten Grundrechten. Die Erweiterung des Strafrechts verbessert den Schutz vor Diskriminierung. Die Meinungsäusserungsfreiheit wird dadurch nicht verletzt.» Das gegnerische Komitee wird im Abstimmungsbüchlein wie folgt zitiert: «Laut dem Komitee geht es bei dem Gesetz, das als Diskriminierungsschutz verkauft wird, in Wahrheit um ein Zensurgesetz. Dieses bedrohe die Meinungsfreiheit sowie die Gewissens- und Gewerbefreiheit. Zudem sei das Gesetz unnötig: Wer Menschen öffentlich beleidige oder herabwürdige, werde bereits heute bestraft.»

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