Digitalisiertes Stadtleben

An der Podiumsdiskussion mit dem Titel «Veröden unsere Innenstädte?» vom Montagabend im Architekturforum Zürich widmete sich eine Runde von Fachleuten den Fragen, welche Bedürfnisse ein Stadtkern in der Zukunft zu erfüllen hat und wie er sich Entwicklungen der Gesellschaft anpassen muss.

 

 

 

Leonie Staubli

 

 

 

In einer Zeit, in der die Digitalisierung voranschreitet und Online-Shopping immer beliebter wird, verändert sich auch der Zweck unserer Innenstadt. Können wir etwas tun gegen die Homogenisierung des Angebots, sodass neben Markengeschäften von globalen Ausmassen auch kleinere, individuelle Läden bestehen können? Oder werden zukünftig Einkaufsmöglichkeiten im Stadtkern sowieso unerwünscht sein? Dieser und anderen Fragen widmete sich eine Podiumsdiskussion am Montagabend im Architekturforum Zürich. Organisiert wurde die Veranstaltung von der Paulus Akademie und dem Unternehmerforum Stiftung Lilienberg. «Veröden unsere Innenstädte?» lautete die etwas pessimistische Fragestellung des Anlasses, und: «Wie erhalten wir die Qualität der Stadt im digitalen Zeitalter?»

 

Klumpen und Frequenzen

Den Anfang macht Rahel Marti, Architektin und stellvertretende Chefredaktorin des Magazins ‹Hochparterre›, mit einem Einführungsreferat zum Thema Stadtplanung. Sie legt dar, dass die Frage, wo wir uns aufhalten und verweilen, viel damit zu tun hat, wie ein Ort gestaltet ist. «Der öffentliche Raum soll Kontaktmöglichkeiten bieten, das ist unser ureigenes Bedürfnis», sagt Marti und betont, dass die Gestaltung eines Quartiers damit eben eng verknüpft ist. Es sei zwar auch ein Faktor, dass Möglichkeiten und Geschehnisse häufig an Orten zunehmen, wo ohnehin schon viel passiert, denn «das Leben zwischen den Häusern ist ein sich selbst verstärkender Prozess», dennoch gebe es Mittel und Wege, um eine Gegend einladend oder abweisend wirken zu lassen. Als Negativbeispiel dafür nennt Marti den «Klumpen», ein klotziger Gebäudetyp, der oft isoliert für sich steht und die Stadt um sich herum ignoriert, statt mit dem Aussenraum zusammenzuspielen. Die heutige Stadtplanung müsse auf viele Bedürfnisse gleichzeitig eingehen, daher sei ein Leitsatz «versammeln statt zerstreuen» – und das bezieht sich nicht nur auf Häuser, sondern auch auf Menschen und Ereignisse. Denn im Endeffekt ist es dieses Zusammenspiel von Innen- und Aussenräumen, Menschen und Ereignissen, das einen Ort lebendig macht.

 

Auf diesen Punkt geht auch Joëlle Zimmerli, Soziologin und Planerin beim Fachverband Schweizer Raumplaner (FSU), näher ein. Sie spricht ausserdem von Frequenzen oder Nutzungsdichte, die ein Quartier strukturieren; also den unterschiedlichen Angeboten und Bedürfnissen, die an einem Ort herrschen, und der Menge an Menschen, die sich zu verschiedenen Tages- und Wochenzeiten dort aufhalten. Zum Beispiel seien der Detailhandel und die Gastronomie dort am Blühen, wo die stärksten Frequenzen auftreten, und: «Attraktive Quartiere entstehen dann, wenn Frequenzen realistisch genutzt werden.» Das bedeute eben auch, dass in einer monotonen Neubausiedlung, die sich einzig aus «klumpenartigen» Wohnhäusern zusammensetzt, nicht viel Neues entstehen kann. Ein neueres Phänomen in der Stadtentwicklung sei denn auch, dass die Industrie, die wegen Lärm und Dreck aus der Innenstadt weggezogen sei, nun zurückkehre. Dass es jetzt wieder «Bier von hier» oder etwa Honig von Zürcher Flachdächern gibt, ist ein neueres Bedürfnis, dem die Stadtplanung ebenfalls gerecht werden muss. Die Industrie mit dem Detailhandel, Wohn- und Erholungszonen unter einen Hut zu bringen, ist keine leichte Aufgabe.

 

Insgesamt, findet Zimmerli aber, sei der Mensch resistent. Sie habe keine Angst vor der Verödung der Innenstädte, meint sie, und nimmt als Beispiel die Europaallee: Das Quartier lädt nicht gerade zum Verweilen ein, aber trotz den aus städtebaulicher Sicht widrigen Umständen hat es mit der Zeit angefangen zu leben.

 

Detailhandel in der Krise

Ein düstereres Bild zeichnet Andreas Zürcher, der Geschäftsführer der City Vereinigung Zürich, im nächsten Referat. Die Detailhandelsumsätze in Zürich sind seit 2010 rückläufig, besonders im Non-Food-Bereich. Grund dafür sei unter anderem der wachsende Online-Handel. «In meinen Augen ist der Treiber des digitalen Detailhandels ganz klar der Konsument», sagt Zürcher, und beschreibt, wie durch die Digitalisierung heute beispielsweise Preise und Produktequalität online verglichen werden und dann eben die billigere Variante bestellt statt die teurere im Laden gekauft wird. Die Digitalisierung habe zwar auch Vorteile – so geben etwa 30 Prozent der Konsumenten an, dass sie mit höheren Ausgaben rechnen, wenn sie digital bezahlen – doch das sei bloss ein kleiner Lichtblick. Der Zürcher Detailhandel brauche Planungssicherheit, die rasche Erteilung von Sonderbewilligungen und man könne auch ruhig einmal den Sonntag als Ruhetag, an dem alle Läden geschlossen sein müssen, überdenken.

 

So schwierig die Lage des Gewerbes in der Stadt auch ist: Man kann sich trotzdem fragen, ob sie direkt zu einer Verödung der Innenstadt führen muss. Zimmerli betont später in der Diskussion den Unterschied zwischen der Entwicklung der Handelsbranche und der Stadtentwicklung. Sie hält es für gut möglich, dass der Detailhandel zurückgehen wird, aber das müsse nicht heissen, dass deswegen die Bewohner-Innen aufhören, den Stadtkern als Aufenthaltsort zu nutzen. Auch Marti findet, dass man gerade in diesen schönen Tagen zum Sommeranfang merke, dass die Menschen die Stadt rege nutzen; andererseits leide durch die schwierige Lage der kleineren Geschäfte nun mal die Vielfalt. Sie vergleicht die Lage des Gewerbes mit der des Wohnungsmarktes: Nachdem zu viele Vermieter extrem hohe Preise für Wohnraum verlangt haben, hätten sich Genossenschaften bilden und zusammenschliessen müssen, um auch bezahlbare Angebote zu schaffen – vielleicht brauche auch das Gewerbe eine Art genossenschaftliche Verbindung, in der sich Investoren verbünden könnten, um statt des maximalen Mietpreisgewinns für eine nachhaltige Belebung des Quartiers zu sorgen. Der öffentliche Druck, der auch dafür gesorgt hatte, dass die SBB in der Europaallee die Erdgeschosse für eine bessere Belebung anpassten, sei hier entscheidend.

 

Worüber schliesslich kaum gesprochen wurde, waren die Chancen, die Digitalisierung auch in der Stadtentwicklung bietet. Das entsprach auch nicht ganz dem Thema der Veranstaltung, ist aber durchaus einen Gedanken wert – besonders angesichts der fortschreitenden Diskussion um die Smart City. Dennoch sind die Aussichten vielleicht nicht ganz so düster, wie es im Veranstaltungstitel klang. Veranstalter Christoph Vollenweider von der Stiftung Lilienberg schliesst die Diskussion mit den Worten: «Ich gehe mit einem verhalten optimistischen Gefühl nach Hause.»

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