Die Sonne bringts

Auch in der diese Woche angelaufenen Herbstsession beugen sich die Parlamentarier:innen wieder über das Gesetz für eine «sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien», besser bekannt als «Mantelerlass». Dem Kanton Zürich attestiert eine neue Studie ein grosses Potenzial für Solarstrom, und zwar auch im Winter.

Am Montag ging im Nationalrat die erste Differenzbereinigungsrunde zum Gesetz für eine «sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien», dem sogenannten Mantelerlass (P.S. berichtete) über die Bühne. Die Debatte drehte sich unter anderem um Restwassermengen und um die Frage, ob die Solarpflicht für Neu- und erhebliche Umbauten generell gelten soll oder, wie es der Ständerat möchte, nur für Gebäude mit mehr als 300 m2 Grundfläche. Auch über eine Solarpflicht für Parkplätze wurde gestritten.

Einen speziellen Dreh bekam die Debatte wegen zweier aktueller Ereignisse, die verschiedene Redner:innen in ihre Beiträge einbauten: zum einen die Abstimmung vom Sonntag im Wallis, die den «Solarexpress» abbremste, zum anderen die Einschätzung der Internationalen Energieagentur IEA, die sich dahingehend äusserte, dass es in der Schweiz bezüglich Energieeffizienz noch viel Luft nach oben gebe. Zur späteren Erinnerung: Im Kanton Wallis lehnten die Abstimmenden einzig das beschleunigte Bewilligungsverfahren für alpine Solaranlagen ab, sie sprachen sich also nicht generell gegen alpine Solaranlagen aus.

Stefan Müller-Altermatt (Die Mitte/SO) befand, man könne «nicht nur dem Walliser Volk, sondern dem ganzen Schweizer Volk nicht erklären, warum man die Alpen verbauen soll, solange nicht die Energieeffizienz voll ausgeschöpft wird, und erst recht nicht, wenn uns die IEA auch noch darauf hinweist». Bastien Girod (Grüne/ZH) führte aus, es sei nun mal so, dass die Schweiz «bezüglich Solarstrom, Windstrom, Energieeffizienz und Stromeffizienz ins Hintertreffen geraten ist und andere Länder, umliegende Länder deutlich mehr machen. Wir müssen also vorwärtsmachen.» Und weiter: «Eine naturnahe Energiewende setzt stark darauf, die Stromeffizienz zu fördern – das ist die günstigste Form, um Energie zu sparen und unsere Energiesicherheit zu verbessern. Das ist auch die umweltfreundlichste Art, die Stromversorgung sicherzustellen. Sie setzt auf Solarstrom insbesondere auf bestehenden Gebäuden, auf Parkplätzen, auf Flachdächern. Dort haben wir die Natur sozusagen schon verbaut, dort können wir die Sonne nutzen, dort können wir gratis den Sonnenstrom nutzen. Deshalb muss das Ziel sein, dass möglichst auf jedem Dach eine solche Anlage steht.»

Christian Wasserfallen (FDP/BE) zeigte sich unbeeindruckt: Die Grünen wollten keine alpinen Grossanlagen im Bereich Photovoltaik, keine Vergrösserung des Grimselsees, keine «CO2-freien Kernkraftwerke» etc. Er frage sich, wie genau die Grünen Strom produzieren wollten, «damit wir nicht im Dunkeln sitzen». Bastien Girod erinnerte ihn daran, dass das Potenzial der Stromeffizienz bei über 20 Terawattstunden liege: «Wenn man dann noch das Potenzial für Solarstrom auf bestehenden Flächen dazunimmt, kommt man nur schon auf den Gebäuden ohne Infrastruktur auf 50 Terawattstunden. Natürlich kann man das nicht über Nacht zubauen, aber hier gibt es ein Riesenpotenzial, und da müssen wir mehr machen.»

So ging es munter hin und her, beschlossen wurde schliesslich folgendes, wie der SDA-Meldung vom Montagabend zu entnehmen ist: Der Nationalrat sprach sich für eine Solarpflicht für Dächer und Fassaden von neuen Gebäuden mit mehr als 300 Quadratmetern anrechenbarer Fläche aus und entschied damit gleich wie der Ständerat. Anders als der Ständerat stimmte der Nationalrat einer Solarpflicht für Parkplätze im Freien ab einer gewissen Grösse zu. Ebenfalls uneins sind sich die beiden Kammern nach wie vor bei den Restwassermengen. Der Nationalrat will die Restwassermenge bei Wasserkraftwerken nur dann reduzieren, wenn eine Strommangellage droht, der Ständerat wollte das Restwasser bereits dann befristet reduzieren können, wenn es ‹nur› darum geht, die Produktions- und Importziele zu erreichen. Zudem wollten beide Räte neue Wasserkraftanlagen nicht von vornherein ausschliessen, schreibt die SDA, «wenn die entstehende Restwasserstrecke durch ein Schutzgebiet von nationaler Bedeutung verlaufen würde». Weil somit noch nicht alle Differenzen bereinigt sind, geht die Vorlage nun wieder an den Ständerat.

Grosses Potenzial im Kanton Zürich

Ebenfalls am Montag veröffentlichte die Baudirektion des Kantons Zürich eine Studie, die sie bei der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften ZHAW in Auftrag gegeben hatte. Sie trägt den Titel «Photovoltaik-Potenzial auf Infrastrukturbauten und bei weiteren sehr grossen Anlagen im Kanton Zürich». Gemäss Medienmitteilung kommt die Studie zum Schluss, dass sich «mit Photovoltaik (PV) auf Dächern, an Fassaden, über Parkplätzen, Abwasserreinigungsanlagen und landwirtschaftlichen Flächen sowie entlang von Strassen im Kanton Zürich insgesamt über 9000 Gigawattstunden (GWh) Strom pro Jahr erzeugen lassen».

Das ist ziemlich viel: Der Kanton Wallis produziert heute mit Wasserkraft rund 10 300 GWh pro Jahr, der Kanton Graubünden rund 8000 GWh. «Würden auf allen geeigneten Dächern im Kanton PV-Anlagen installiert, könnten damit jährlich fast 6000 GWh Strom produziert werden», schreibt die Baudirektion weiter. An Fassaden liessen sich nochmals rund 2200 GWh produzieren, während das Potenzial auf landwirtschaftlichen Nutzflächen «deutlich geringer» sei. Auch Solaranlagen über Parkplätzen und Abwasserreinigungsanlagen schenken weniger ein – mit den dort erzielbaren rund 230 GWh pro Jahr liessen sich aber immer noch rund 50 000 Haushalte ein Jahr lang versorgen. Nicht zuletzt könnten die Anlagen gemäss Studie auch im Winter einen «substanziellen Beitrag» leisten, nämlich rund einen Drittel des Stroms, den der Kanton heute zwischen Dezember und Februar verbraucht.

«Wir haben in der Schweiz 2022 beim Zubau von PV-Anlagen auf Dächern einen neuen Rekord erreicht», erklärt Baudirektor Martin Neukom auf Anfrage. «Dies ist erfreulich – doch um das Netto-Null-Ziel bis 2040 beziehungsweise spätestens 2050 zu erreichen, müssen wir diesen Rekord nochmals verdoppeln.»

Die aktuelle Statistik zeige, dass der Kanton Zürich sowohl bei der Solarstrommenge pro Kopf als auch pro Fläche anderen Kantonen hinterherhinke. Der nötige Zubau sei nicht zuletzt deshalb schwierig, weil «viele Menschen den Anspruch haben, dass die Stromproduktion unsichtbar erfolgt». Mit Verweis auf den Entscheid im Wallis fügt Martin Neukom an, PV-Anlagen auf Dächern seien immerhin einfacher zu realisieren als solche in der freien Natur, denn sie stiessen auf weniger Widerstand: «Doch der Vorteil der alpinen Solaranlagen liegt darin, dass sie viel Strom im Winter produzieren. Und die Stromversorgung im Winter ist die grosse Herausforderung der Schweizer Energiepolitik.»

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