Die Hodenrente

Ein neues Wort macht seit einigen Monaten Karriere: die «Bodenrente». Für den Fall, dass es jemand noch nicht mitbekommen hat: Das ist der Anteil des Ertrags aus Liegenschaften, dem keine Leistungen wie Gebäudeunterhalt, Verwaltung usw. gegenüberstehen, also das leistungsfreie Einkommen der Grundbesitzenden. Renten sind ja tatsächlich Einkommen, denen keine aktuellen Leistungen gegenüberstehen; trotzdem stört mich etwas an dem Begriff: Eine «Rente» ist typischerweise etwas, das einem moralisch wie rechtlich zusteht, denken wir an die AHV-, IV- oder Pensionskassenrenten; solange wir arbeiten, zahlen wir in die entsprechenden Kassen ein, und wenn wir die Renten beziehen, haben wir einen begründeten Anspruch darauf. Diese Renten werden also gemeinschaftlich alimentiert und kommen allen zugute, dienen mithin dem sozialen Ausgleich. Die Bodenrente dagegen begründet sich rein aus dem Eigentum an Grund und Boden. Sie wird von den Arbeitenden alimentiert und kommt den Besitzenden zugute, dient mithin der Verstärkung sozialer Unterschiede. Die ‹Republik› hat ausgerechnet, dass damit rund 90 Milliarden Franken jährlich von unten nach oben umverteilt werden – weit mehr als die Gesamtsumme aller Einkommenssteuern («Die unsichtbare Milliardenverteilung», 1.9.2023). So gesehen empfinde ich den Begriff Bodenrente als einen Euphemismus, der das Skandalöse an der Geschichte verschleiert.

Aber denken wir den Begriff der «Rente» mal weiter in der Bedeutung «leistungsfreie Einkommen aller Art»: 

Da kommen mir als erstes die Kapitalgewinne in den Sinn, quasi das bodenlose Pendant zur Bodenrente; nennen wir sie «Geldrente». Diese begründet sich rein aus dem Besitz von Geld; und wenn «Liberale» behaupten, die Geldrente sei eine Entschädigung für Investitionsrisiken, dann ist das mit Blick auf die vergangenen Jahrzehnte läppisch. Trotz diverser Krisen sind die Kapitalmärkte über einen mittelfristigen Horizont gesehen stetig gewachsen, die Reichen stetig reicher geworden. Und wenn, wie jüngst die CS, eine grosse Firma nach jahrelangem Missmanagement und trotz moralisch verwerflicher Geschäfte pleite geht, dann werden die Aktionäre nicht etwa zur Verantwortung gezogen, sondern man mobilisiert den Staat, um deren Verluste abzufedern.

Bleiben wir bei den Besitzenden, findet sich als nächstes leistungsfreies Einkommen die Erbschaft. Hier ist es schwieriger, einen Rentenbegriff dazu zu erfinden, sind doch «Witwen‑», «Waisen‑» und «Kinderrente» bereits besetzt, und auch eine «Hinterbliebenenrente» wäre in der AHV-Rente bereits enthalten. In Anlehnung an die «It‑Girls» wäre vielleicht «It‑Rente» angemessen, jedoch fände ich einen deutschen Begriff sympathischer, und von Erbschaften profitieren ja auch nicht nur die Superreichen – die Tochter des verstorbenen Bally-Schuhmachers, die sein hart erarbeitetes Häuschen erbt, wird kaum als «It‑Girl» durchgehen. Vielleicht wäre «Herkunftsrente» ein guter Begriff, jedoch etwas langweilig; bleiben wir halt bei «Erbschaft».

Schliesslich kommen wir zum Einkommensunterschied zwischen Männern und Frauen – auch dieser ist schlussendlich ein leistungsfreies Einkommen und begründet sich rein aus dem Geschlecht, das mir zufällig zuteil geworden ist. Dieses Einkommen wird gemeinhin als «Gender-Wage-Gap» bezeichnet; mir als sprachsensiblem Wesen ist das natürlich ein Graus. Es wäre an der Zeit, auch hier einen deutschen Begriff zu prägen – wie wäre es mit «Hodenrente»?

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