«Der FDP einen Ständeratssitz abzuluchsen war grosses Kino»

Nicola Forster (GLP) und Simon Meyer (Grüne) legen im Juni ihr jeweiliges Amt als Präsident ihrer Kantonalpartei nieder. Zum Abschluss haben sie mit Tim Haag über die Klimawahl, das «Ende» der Grünen Welle und grün(liberal)e Zukunftsvisionen gesprochen.

Zum Einstieg eine Streitgesprächfrage: Wem ist eigentlich der Klimaschutz wichtiger – den Grünen oder den Grünliberalen?

Simon Meyer: Dabei bin ich eigentlich gar nicht so in Streitlaune.

Nicola Forster: Ich auch nicht.

S. M.: Ich denke, das Klima ist uns beiden ähnlich wichtig, aber wir glauben an andere Mechanismen. Wenn wir beim Klimaschutz wirklich vorwärtskommen wollen, müssen wir mehr als 50 Prozent der Bevölkerung ins Boot holen, und das schaffen wir beide nicht allein. 

N. F.: Deshalb arbeiten wir auch eng zusammen – in der Klimaallianz zum Beispiel. Ich bin super happy, was wir in der letzten Legislatur zusammen durchgebracht haben.

Nämlich? Was waren Ihre Highlights?

S. M.: Die Kreislaufinitiative, deren Gegenvorschlag am Ende mit über 89 Prozent Ja-Anteil angenommen wurde. Oder, dass wir die ZKB im Kantonalbankengesetz dazu verpflichtet haben, zur Klimaneutralität beizutragen. 

N. F.: Und die klare Zustimmung zum Energiegesetz. Das steht für mich ganz oben, da es mit dem Heizungsersatz sehr wichtig ist fürs Klima. Da konnten wir sogar Leute aus der FDP an Bord holen, und das so kurz nach der äusserst bitteren Ablehnung des CO2-Gesetzes.  

Wie holt man eine FDP- oder bürgerliche Stimme für den Klimaschutz an Bord?

N. F.: Alle Parteien haben ihre Wähler:innen, die von gewissen Themen angesprochen werden. Wenn sie erkennen, dass sie profitieren, dann unterstützen sie einen auch. Bei der FDP sind das zum Beispiel die Häuserbesitzer:innen am See, für die es spezifische Anreize brauchte.

S. M.: Oft habe ich das Gefühl, dass viele Bürgerliche mit ideologische Scheuklappen herumstolzieren. Folglich sind sie wenig interessiert an Vorschlägen, die von uns Grünen kommen. Vielleicht holt man diese Leute ab, wenn man mehr über die Wirtschaftlichkeit spricht. Die Transformation hin zu erneuerbaren Energien lohnt sich nur schon aus wirtschaftlichen Gründen: Das Geld wird in der Schweiz in Technologie, Infrastruktur, Arbeitsplätze, Energiesicherheit sowie Energieunabhängigkeit investiert. Zudem kommt es uns langfristig massiv teurer, wenn wir nicht jetzt investieren. Es scheint als haben die Bürgerlichen verlernt zu rechnen. Es geht nicht um Ideologie, sondern um den Schutz der Bevölkerung und darum, Steuergelder sinnvoll zu investieren. Und um das verständlich zu machen, braucht es je nach Publikum eine andere Botschafter:in. Um die Bürgerlichen abzuholen, ist die GLP sicher geeigneter als ich. 

N. F.: Wir sind zwar progressiv, aber nachhaltige Politik wäre ja eigentlich auch konservative Politik. Es gibt kaum etwas Konservativeres, als für die nächste Generation zu sorgen und die Natur für sie zu erhalten. Eigentlich müssten die konservativen Parteien ja auch für den Atomausstieg sein. Wenn es einen Super-GAU geben sollte, werden wir alle zu Flüchtlingen. Und das wird ja wohl nicht im Interesse der SVP sein.

S. M.: Ein weiteres konservatives Argument wäre, aus militärstrategischer Sicht zu argumentieren. Solange wir Atomkraftwerke haben, braucht es drei Bomben und die Schweiz steht nicht mehr. Ein dezentrales Stromnetz schafft Sicherheit. Wir haben es in letzter Zeit nicht geschafft, für bürgerlich-konservativ orientierte Menschen griffige Narrative zu schaffen, damit sie dem Ausstieg aus den fossilen Energien gleiche Wichtigkeit zuschreiben wie wir Grünen. 

N. F.: Ich glaube, unsere beiden Parteien sind nicht gut darin, unsere Inhalte zu emotionalisieren. Da können wir uns von der SP, die im letzten Wahlkampf oder bei der AHV-Abstimmung diesbezüglich einen beeindruckenden Job gemacht hat, eine Scheibe abschneiden.

Gemäss einer Umfrage wollen 92 Prozent der befragten Grünen und 77 Prozent der Grünliberalen ökologisch nachhaltig leben, schaffen tun es nach eigener Angabe nur 75 bzw. 49 Prozent. Warum ist es auch 2024 in der reichen Schweiz noch immer so schwierig, nachhaltig zu leben?

S. M.: Weil unser Wirtschaftssystem nicht darauf ausgelegt ist. Es gibt enorme Anreize, sich nicht ökologisch zu verhalten.

N. F.: Ich denke, die Umfrage zeigt vor allem, dass wir Grünliberalen ehrlicher sind über unseren nicht immer ganz so nachhaltigen Lebensstil! Im Ernst: Solange der Nachtzug dreimal so teuer ist wie der Flug, ist es verständlich, dass kaum jemand den Zug nimmt. Hier muss die Politik eingreifen – zum Beispiel mit einer Kerosinsteuer.

S. M.: Wir können uns auch daran orientieren, was im Ausland funktioniert: Zum Beispiel in Paris, wo das Parkieren für SUVs dreimal so teuer ist wie für andere Autos. Bei einem SUV-Verbot wäre die GLP doch auch dabei, oder?

N. F.: Bei Verboten sind wir immer skeptisch, aber Anreize setzen und notfalls besteuern fände ich gut.

S. M.: Ok, 1000 Franken pro Tag. Deal? Und jede:r Velofahrerin bekommt 300 davon. Aber mal Spass beiseite: Ich fände es schön, wenn Forderungen nach beispielweise einem autofreien Seebecken als städtischer Naherholungsort lauter werden würden – oder wenn es schon ein Auto in der Stadt sein muss, dann platzsparend und elektrisch. 

Nach fünf bzw. dreieinhalb Jahrem treten Sie beide ab. Warum? Ist der Job als Präsident einer Kantonalpartei undankbar?

S. M.: Jein. Ich finde es einen schönen Job und es war für mich eine Ehre, eine wichtige Position in unserer  Partei einzunehmen. Die letzten dreieinhalb Jahre waren für mich eine super Ausbildung in der Parteienlandschaft. Der Job ist auch anspruchsvoll und für mein Geschmack konnte ich zuwenig konkret umsetzen. In den nächsten eineinhalb Jahren möchte ich bei der aus meiner Sicht zukunftsweisenden Solarinitiative der Grünen eine treibende Kraft sein. Ich freue mich darauf, meine Stärken und erlangten Erfahrungen in dieser Rolle einsetzen zu dürfen und freue mich insbesondere darüber, dass unser Einsatz direkt messbar sein wird. 

N. F.: Ich habe in den letzten Jahren sehr viel Zeit und Herzblut in meine Rolle als Präsident der GLP investiert. Jetzt stehe ich an einem Punkt, wo ich mich ehrlich fragen muss, ob ich die nötige Energie habe, um diese intensive Aufgabe für weitere vier Jahre zu übernehmen – und dies neben Beruf und Privatleben. Die politischen Zyklen erfordern, dass jemand am Ruder ist, der/die sowohl die ersten zwei Jahre Aufbauarbeit wie auch anschliessend zwei Jahre Dauerwahlkampf leisten kann. Darum denke ich, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, den Stab an jemanden zu übergeben, der bereit ist, den gesamten Zyklus zu begleiten. Und ich bin mir sicher, dass unser neues Co-Präsidium mit Nora Ernst und Beat Rüfenacht rocken wird!

Was macht den Posten so intensiv?

N. F.: Als (Co-)Präsident hat man kaum formale Macht, sondern nur Überzeugungskraft. Man ist mit dutzenden Personen laufend im Gespräch und sucht nach Wegen und Lösungen. Das hat menschlich etwas Schönes, ist aber auch sehr zeitintensiv. Und am Schluss ist eine Partei wie jeder andere Verein etwas Soziales, wo man sich engagiert, weil man gerne mit den Leuten Zeit verbringt. Da schaut man besser, dass man auch in der richtigen Partei ist.

Was ist die wichtigste Fähigkeit, die ein:e Präsident:in einer grün(liberalen) Partei mitbringen muss?

N. F.: Die Fähigkeit, Wertschätzung zu zeigen. Etwa 90 Prozent der Arbeit als Parteipräsident besteht darin, anderen Menschen Anerkennung entgegenzubringen. Es ist entscheidend, ein Klima zu schaffen, in dem auch honoriert wird, wenn jemand auf der Strasse aktiv ist, sich in einer Schulpflege engagiert oder einen Sitz in der Rechnungsprüfungskommission übernimmt. Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, sich in der Partei einzubringen – nicht nur die klassische politische Karriere über gewählte Ämter.

S.M: Ich stimme Nicola voll zu. Zudem muss die Person ein Gespür für Macht haben und diese nicht eigennützig für sich in Anspruch nehmen und Personen fördern, welche die Partei weiterbringen.

Wäre es Ihnen lieber gewesen, wenn die grüne Welle noch etwas länger angedauert hätte – zum Beispiel bis im Juni?

S. M.: Es wäre mir nicht nur lieber gewesen, sondern ich sehe es als notwendig an, dass die grüne Welle noch weit über Juni hinaus anhält, um ein Leben, wie wir es jetzt kennen, auch in Zukunft leben zur dürfen. Die Klimakrise hat die Kraft, die Menschheit auszurotten. Es geht somit um alles oder nichts.

N. F.: Ich fand es schon auch brutal. Wir haben alle Wahlen gewonnen, vier Jahre lang, bis auf die letzten Nationalratswahlen. Und dann trotz des prozentual eher kleinen Verlusts gleich zwei Nationalratssitze weg – autsch. Aber dafür haben wir einen Ständeratssitz bekommen, und da muss ich sagen: Dass wir es mit Tiana Moser geschafft haben, im Kanton Zürich einer FDP einen Ständeratssitz abzuluchsen, das war schon grosses Kino und hat aufgewogen, was wir im Nationalrat verloren haben.

S. M.: Ich möchte ein bisschen vor dieser Fokussierung auf Wahlresultate wegkommen. Natürlich sind Wahlen entscheidend, da sie es uns ermöglichen, Vertreter:innen in Positionen zu bringen, Gesetzgebung aktiv zu gestalten. Aber es geht uns auch darum, die Energie und das Engagement der Menschen zu mobilisieren. Wir möchten, dass die Leute sich für Lösungen einsetzen, wie beispielsweise beim Klimastreik. Dort haben wir gesehen, wie solches Engagement den politischen Druck auf alle Parteien erhöhen kann. Und ich sehe es auch als Aufgabe der Grünen, wie nach den Wahlen 2019, vorauszudenken und die anderen Parteien auf Trab zu halten.

Ich hake trotzdem nochmal nach: Was müssen die Grünen und Grünliberalen besser machen, um bei den nächsten Wahlen besser abzuschneiden?

S. M.: Vielleicht müssen wir in der Kommunikation besser werden. Unsere politischen Lösungen sind fundiert, wissenschaftlich geprüft und führen langfristig zu mehr Lebensqualität. Sie werden aber häufig von akademisierten Menschen erzählt und somit bleibt die Geschichte etwas fad. Sobald die breite Bevölkerung unsere Vision einer grünen Zukunft fühlt, wird sie uns auch wieder wählen. 

N. F.: Ich denke, wir haben bei den letzten Wahlen unter unserem Potenzial abgeschnitten. Die Themenkonjunktur lief absolut gegen uns – weder grüne noch liberale Parteien waren gefragt, und die Schnittmenge natürlich auch nicht. Die Ständeratswahlen haben gezeigt, dass mehr möglich ist. Unsere Hauptthemen, Klimawandel und Europa, sind in Zukunft weiterhin wichtig, und ich bin zuversichtlich, dass es wieder aufwärts gehen wird.

S. M.: Jetzt habe ich mal eine Frage.

Also gut.

S. M.: Ich habe auch keine Angst, dass es wieder aufwärts geht für unsere Parteien, aber ich habe Angst, dass wir den Ausstieg aus den fossilen Energien nicht rechtzeitig hinkriegen – du nicht, Nicola? Jede Legislaturperiode, die wir verlieren, ist eine zu viel, und eigentlich sind wir ja schon viel zu spät. Die Zeit ist extrem knapp.

N. F.: Es ist eine inhärente Schwierigkeit eines langfristigen Problems, seine Dringlichkeit aufzuzeigen. Die Leute interessieren sich für die Dinge, die gerade aktuell sind. Handeln müssen wir trotzdem, und es gibt unterschiedliche Wege, um das Ziel zu erreichen. Unserer ist eher ein Versuch, breitere Schichten in der Mitte zu erreichen, dafür etwas langsamer. Zusammen mit der aktivistischeren grünen Strategie gibt das im Optimalfall genug gesellschaftlichen Druck, dass es wirklich vorwärts geht. Wir haben beim Stromgesetz gesehen, dass es nicht so einfach geht, eine mehrheitsfähige Lösung zu finden. Natürlich hätten unsere beiden Parteien eine Solarpflicht für alle Gebäude gewollt, aber dann wäre auch die Opposition grösser gewesen und das Gesetz gefährdet. Und jetzt sieht es sehr gut aus für die Abstimmung.

Sind solche Kompromisslösungen nicht in vielen Fällen schlicht zu träge?

S. M.: Vielleicht sollten wir die Menschen nochmals mit Nachdruck und auf der emotionalen Ebene auf die Dringlichkeit der Situation hinweisen. Während der Pandemie haben die Menschen die Gravität der Situation begriffen und deshalb haben wir sehr schnell wahnsinnig viele Mittel mobilisieren können. Und die Lösungen wären ja eigentlich auf dem Tisch – man muss es nur finanzieren können. Vielleicht muss man dafür das Geld bei denen holen, die eh zu viel haben …

N. F.: Ja, an dieser Stelle kommen dann die Meinungsunterschiede.

Vielleicht wird das Gespräch doch noch zum Streitgespräch.

N. F.: Der Klimawandel ist ein Thema, das politisch, gesamtschweizerisch und international angegangen werden muss – und nicht einfach an der Einzelperson aufgehängt. Ich mag insbesondere bei so systemischen Fragen keine moralisierende Politik mit dem Zeigefinger.

S. M.: Und ich glaube, wenn es uns gelingt, eine grüne und grünliberale Zukunftsvision aufzuzeigen, können wir das schaffen. Man muss sich mal vorstellen, wie unsere Städte aussähen, wenn wir je 50 Prozent der Wähler:innen hätten: Velofreundlich, voll mit Bäumen, Kinderkrippen, Cafes, fröhlichen Menschen, zahlbaren Wohnungen, …

N. F.:  Wir Grünen und Grünliberalen haben den Ruf, Spassfeinde zu sein, dabei wäre eine klimafreundliche Utopie und ein nachhaltiges Lebensgefühl ja eigentlich das Gegenteil von spassfeindlich.  

S. M.: Nicht Utopie, sondern Vision! Für Visionen bekommt man das Geld für die notwendigen Investitionen, für Utopien wird man ausgelacht. 

N. F.: Jetzt bist du zum Abschluss deiner Amtszeit sehr schnell zum Kapitalisten mutiert!

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