Bild: Franca Candrian

Höchst stiefmütterlich

Vierzig Jahre nach der letzten grossen Ausstellung über Ferdinand Hodler stellt das Kunsthaus Zürich sein Werk in Relation zu den «aktuellen Diskursen» und bringt ihn dahinter annähernd zum verschwinden.

Als 2015 das damalige Museum Oskar Reinhart am Stadtgarten die Sammlung von Christoph Blocher ausstellte, war in der medialen Rezeption fast überhaupt nicht die Rede von den Werken, geschweige denn von den Künstlern. Die Reibung fand hauptsächlich über die öffentliche Person des Sammlers und dessen politische Haltung statt. Die beiden massgeblich für «Apropos Hodler» verantwortlichen Hauskuratorinnen und Kunsthistorikerinnen am Kunsthaus Zürich Sandra Gianfreda und Cathérine Hug setzen mit Absicht die «streng formalästhetische Rezeption» aus und rücken an die Stelle eine sehr heutige Kontextualisierung, was nachgerade in eine Abgrenzung mündet. Jetzt fehlt mir offensichtlich ein Patriotismusgen, um über einen gemalten Blick über den Genfersee so etwas wie Nationalstolz überhaupt entwickeln zu vermögen. Die Grundannahme der Ausstellung indes geht exakt von einer dergestaltigen posthumen Instrumentalisierung Hodlers als Symbol für Schweiztümeltum aus, die soweit geht, dies als im kollektiven Gedächtnis für allgemeingültig zu erklären. 

Obwohl Hodler seinerzeit entgegen des geltenden common sense beispielweise öffentlich Partei für Alfred Dreyfus ergriff und die Beschiessung der Kathedrale von Reims in einer Protestnote als Akt der Barbarei verurteilte, wiegt demgegenüber in der heutigen Rezeption seine vielmehr dem damaligen Zeitgeist entsprechende, chauvinistische Weigerung, Frauen in die Gesellschaft Schweizerischer Maler, Bildhauer und Architekten aufzunehmen offenbar um ein Vielfaches schwerer, um ihm darüber sogar eine «rechtskonservative» Haltung zu unterstellen. Mit Verlaub: Chauvinisten, die sich politisch dezidiert links verorten, sitzen noch heute in unseren Räten. Matthias Frehner beschreibt in seiner Abhandlung über die Rezeptionsgeschichte Hodlers im Katalog, dass sein Werk bereits zu seinen Lebzeiten und noch verstärkt posthum für beinahe sämtliche erdenklichen Parikularinteressen instrumentalisiert worden ist. Wenn jetzt das Kunsthaus ihn wiederum allein als Stichwortgeber verwendet, um darüber zeitgenössische Diskurse zu verhandeln, fügt es genau genommen einfach ein weiteres solches Kapitel hinzu. Auf die Spitze getrieben zu Ende gedacht, müsste Ferdinand Hodlers Werk demzufolge heute in den Giftschrank alias Depot verbannt werden. Weil er für die internationale Ausleihe sowieso nicht von Belang ist, wäre das aus dieser Warte kein nennenswerter Verlust.

Kuratorisches Kollektiv

In der Ausstellung und im Katalog entsteht der Eindruck, unter allen Umständen vermeiden zu müssen, in die anscheinend vorhandene Falle zu tappen, einem Schweiztümteltum allein mit dem Ausstellen von Hodler den Mund zu reden. Dafür wird in Kauf genommen, dass Hodler selbst und sein Werk höchst stiefmütterlich und höchstens mit der Schürzange angerührt werden kann. Der Versuch einer eigenständigen und neuen Narrativschreibung ist das nicht. Erst ganz zuhinterst im Katalog – im Gespräch mit Sabian Baumann und im Gespräch mit Siri Hustvedt – entsteht dem annähernden Tunnelblick vonseiten Kunsthaus so etwas wie ein Korrektiv respektive Gegenwind. Insbesondere weil beide Gesprächspartner:innen die doch sehr akademische Herangehensweise des Kunstzirkus spiegeln und darüber zu sehr pragmatischen Einschätzungen gelangen, die im Mindesten sehr bedenkenswert sind. Das Bewusstsein im Kunsthaus Zürich über die eigene institutionelle Schräglage scheint indes zu wachsen. Erstmals überhaupt zogen die beiden Hauskuratorinnen ein Team von vier externen Künstler:innen und -kollektiven für den gesamten Planungs- und Einladungsprozess, also des eigentlichen Kuratierens mit ein und eine fünfte Künstler:innenperson für die Ausstellungsarchitektur. Entlang der vier Themenfelder Landschaft, Körperlichkeit, Zugehörigkeit, Transzendenz vermögen ungefähr dreissig internationale Künstler:innen ihrer jeweiligen Hodlerrezeption respektive -assoziation mit den ihnen angestammten Mitteln der Kunst Ausdruck zu verleihen. In Summe ergibt das keinen Chor, sondern eine Vielstimmigkeit, die von naheliegend bis weit hergeholt, von sehr privat bis universell alles abdeckt, im Kern aber für das gemeine Publikum die sehr viel ausführlichere Auseinandersetzung einfordert, als es den dazugestellten Hodlerwerken zugebilligt wird. Es wirkt ein wenig wie der Versuch einer Zerschlagung sämtlicher bisherigen Zuschreibungen, die das Werk Hodler stumm über sich ergehen lassen musste. Und ist zeitgleich die Probe einer Demokratisierung von Deutungshoheit.

«Apropos Hodler – Aktuelle Blicke auf eine Ikone», bis 30.6., Kunsthaus, Zürich. Katalog.