Betrüger, Bullshit und Bilanzen

Von den Mails, die einem eine grosse Spende oder Erbschaft versprechen, den Telefonbetrügern, bis zu den etwas raffinierteren Schneeballsystemen wie etwa von Bernie Madoff oder Sam Bankman-Fried. Betrüger- und Abzockereien sind allgegenwärtig. Die Vorstellung, ohne grossen Aufwand reich zu werden, ist schliesslich auch sehr verlockend. Die beliebte Unterart davon: Abnehmen ohne weniger zu essen. Aber so wie Diätpillen und Diäten ihre Versprechen meist nicht halten, werden bei diesen Anleitungen, wie man ganz einfach reich werden kann, meist nur diejenigen reich, die die Rezepte dafür verkaufen. Bereits im Goldrausch gab es das Bonmot, dass man in einem Goldrausch nicht durchs Goldschürfen reich wird, sondern durch das Verkaufen von Schaufeln. 

Nun sind diese geschilderten Betrügereien klar illegal oder mindestens halbseiden. Der Polit-Youtuber und Philosoph Tom Nicholas vertritt die These, dass mittlerweile wichtige Teile der Wirtschaft, insbesondere die grossen Internetplattformen, nach derselben Logik operieren. Er nennt dies «Griftonomics», was man vielleicht mit Gauner-Ökonomie oder Betrüger-Ökonomie übersetzten könnte. Denn die Plattformökonomie baue auf das gleiche Prinzip: Reich werden mit wenig Aufwand. Respektive damit, dass man andere die Arbeit machen lässt. Die sogenannte Sharing Economy begann mit dem Versprechen, dass man – unter gleichen – Ressourcen auch teilen könnte. Jemand hat ein unternutztes Gästezimmer und vermietet es ab und an Reisende, die damit weniger ausgeben müssen als für ein Hotel. Nur wurden diese Dienstleistungen sehr schnell professionalisiert und monetarisiert. Und so wurde aus der Sharing Economy eine Gig Economy, in der die wirtschaftlichen Beziehungen eben nicht mehr unter Gleichen stattfindet. Und man könnte die Geschichte eben genau Gleichen erklären wie eines dieser Betrüger-Online-Seminare, wie man einfach reich wird:  Zuerst sucht man sich einen Wirtschaftsbereich aus, der ein bisschen zu kompliziert und zu teuer ist und der noch nicht wirklich digitalisiert ist. Der Taxibereich ist da ein recht prototypisches Beispiel. Dann baut man eine App, die etwas Ordnung in das Chaos bringt, gut aussieht und ansprechend wirkt. Man sucht anschliessend Leute, die etwas Zusatzeinkommen brauchen oder die Dienstleistungen benötigen. Der Clou daran ist, dass alle zu erbringende Arbeit von den Nutzern selber mit ihrem eigenen Equipment übernommen wird. Youtube produziert selber keine Videos, Uber hat selber keine Taxiflotte, AirBnB keine Immobilien. Aber damit fallen eben auch keine Unterhalts- oder Lohnkosten an. Mithilfe von viel Geld von Investoren und Kapitalgebern lassen sich die Preise so tief halten, dass die Konkurrenz nicht mehr Schritt halten kann. Hat man die Konkurrenz weitgehend ausgeschaltet, kann die Kasse richtig klingeln. Das Produkt ist dann zum einen so attraktiv und so alternativlos, dass man sowohl Preise erhöhen wie Kosten drücken kann. Und voilà: Die anderen arbeiten, man selber wird reich. 

Der berühmte Spruch der Berner Adligen Madame de Meuron, ««Sit dir öpper oder nähmet dir Lohn?», gilt heute als etwas aus der Zeit gefallen. Der Rentier, also jener, der aufgrund seines Besitzes und nicht seiner Arbeit Geld verdient – also «Renten» bezieht, scheint dem kapitalistischen Ethos zu widersprechen, wonach Reichtum durch Arbeit und Leistung erwirtschaftet wird. Nur: Ausgestorben sind die Rentiers natürlich nicht – sie vermarkten sich bloss etwas anders. Wer beispielsweise Immobilien besitzt und diese vermietet, um damit einen Profit zu erzielen, bezieht genauso eine Form der «Rente», also des weitgehend leistungsfreien Einkommens. Denn viel mehr als besitzen muss die Eigentümerin nicht. Natürlich ist Vermieten mit Administration verbunden, mit Unterhalt. Aber das lässt sich nicht nur auslagern, sondern ist im letzteren Fall wertsteigernd oder werterhaltend, also in erster Linie im eigenen Interesse. In das gleiche Kapitel geht, dass grosse Vermögen meist vererbt und kaum erarbeitet werden. Viele jener, die als grosse Business-Genies gehandelt werden, sind keine Tellerwäscher, die sich hochgearbeitet, sondern Söhne von Millionären, die nachher zu Milliardären wurden. 

Der verstorbene Anthropologe David Graeber schuf den Begriff «Bullshit-Job». Damit sind Jobs gemeint – häufig gut bezahlte Stellen mit klingenden Titeln in einem wachsenden Management – die völlig sinnlos sind. Wer einen Bullshit-Job hat, verbringt das grösste Teil der Zeit damit, sich selber zu beschäftigen, ohne real etwas Sinnvolles zu tun. Bullshit-Jobs würden laut Tom Nichols dazu beitragen, dass die Menschen derart auf die Phantasie fliegen, einfach reich zu werden. Denn so könnten sie ihren sinnlosen Jobs entfliehen. Mir scheint eher, dass die Bullshit-Jobs mit der Betrüger-Wirtschaft einhergehen, eine Art gemeinsame Bullshit-Ökonomie bilden. Denn auch die Bullshiterin ist eine Art Betrügerin – und sei es nur der Selbstbetrug. 

Eine Freundin nennt es jeweils SABTA – ein Akronym für sicheres Auftreten bei totaler Ahnungslosigkeit. Was gerade in der Politik, aber nicht nur da, ein recht häufiges Phänomen ist. Wenn sich SABTA und Bullshit zusammentun, dann florieren ganze Wirtschaftszweige. Gerade auch in der Kombination von Politik und Wirtschaft. Die Ökonomin Mariana Mazzucato veröffentlichte dieses Jahr ihr neues Buch «The Big Con» (Der grosse Betrug). Im Zentrum stehen die grossen Beratungsfirmen und Revisionsfirmen wie Mc Kinsey und Co, die gerade auch vom Staat oft zu Rate gezogen werden. Dabei zeige sich – so Mazzucato – dass diese Firmen oft weniger können und wissen, als sie versprächen und am Ende weit teurer als versprochen sind. Und diese Firmen würden den Staat davon abhalten, eigene Kompetenzen aufzubauen. Der «Betrug», den Mazzucato anprangert, ist nicht illegal, sondern es ist klassischer SABTA-Bullshit. Ihr Paradebeispiel ist der Brexit, wo die britische Regierung Beratungsfirmen mit rund einer Milliarde Pfund alimentierte, ohne dass diese der Lösung in irgendeiner Form näher gekommen sind. 

Graeber ist überzeugt davon, dass jene mit den Bullshit-Jobs selber wissen, dass sie einen solchen hätten. Ich bin mir da nicht so sicher. Es kann auch Quacksalber geben, die selber von ihrem Wunderheilmittel überzeugt sind. Und macht es überhaupt einen Unterschied? Denn schliesslich – um es mit Helmut Kohl zu sagen – zählt ja, was am Ende hinten rauskommt. Und das scheint immer mehr Bullshit zu sein.  

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