Bessermachen

 

Letzthin war ich an einer interessanten Veranstaltung zum Thema Medien und Social Media. Ich konnte da den Fall P.S. präsentieren und berichten, was wir bezüglich Social Media so machen. Also quasi nichts. Oder wenigstens nicht allzu viel. Ob es sich lohnen würde, hier mehr Ressourcen zu investieren, weiss ich nicht. Das habe ich auch offen kundgetan. Denn ob man mit Social-Media-Präsenz auch bezahlte Abos generiert, ist mindestens fragwürdig. An der Veranstaltung waren viele VerlagsleiterInnen von kleineren Landzeitungen aus der ganzen Schweiz. Die meisten hatten wenig bis keine Ahnung von Social Media. Und noch weniger davon, wie man Social Media kapitalisieren könnte. Da ist auch nichts Schlimmes dabei. Denn wenn es jemand wüsste, würden es ja alle machen. Das hinderte allerdings verschiedene KursteilnehmerInnen nicht daran, mir Tipps zu geben, was ich jetzt machen müsste. Darunter waren durchaus auch interessante dabei, ich will hier nicht bloss schnöden. Bezeichnend war allerdings für mich eine Frau, die mir zuerst sagte, dass sie meine Ehrlichkeit erfrischend fände, aber gleichzeitig fand, als Unternehmerin könne ich nicht so auftreten. Wir wüssten zwar alle nicht, wohin die Reise geht, aber ich müsste doch mindestens den Anschein erwecken.

 

Unsere Kolumnistin Andrea Sprecher nennt das das SABTA-Prinzip. SABTA steht für Sicheres Auftreten bei Totaler Ahnungslosigkeit. Dieses Prinzip haben wir schon alle mal angewendet, sei es bei Vorstellungsgesprächen, Vorträgen oder beim Small-Talk am Apéro. Dass man sich klüger, geistreicher oder kompetenter darstellen will, als man es eigentlich ist, ist normal. Nur frage ich mich manchmal, ob die ganze Show, die Selbstinszenierung nicht überhandnimmt und die Form wichtiger wird als die Substanz. Warum sollte man nicht zugeben können, dass man etwas nicht weiss? Keine Ahnung hat. Keine Lösung sieht. Noch über etwas nachdenken müsste. Auch und gerade als PolitikerInnen. «Ich weiss, dass ich nichts weiss», soll Sokrates gesagt haben. Das wird häufig zu: Ich weiss, dass ich nichts weiss, tue aber trotzdem so, als ob ich es wüsste, bis ich mich selber davon überzeugt habe.

 

Viele Leute, die ich kenne, mich eingeschlossen, haben zuweilen diese Angst davor, plötzlich als Hochstaplerin enttarnt zu werden, als eine, die nur so tut, als ob sie etwas wisse. Bei mir äussert sich das in einem wiederkehrenden Traum, in dem mir beschieden wird, dass meine Matur mir aberkannt wird und ich sie wiederholen muss. Und ich an der Wandtafel eine Integralrechnung lösen sollte und mir dann bewusst wird, dass ich mich da nun beim besten Willen nicht rausreden kann.

 

Ich war also an dieser Veranstaltung und dachte, ihr seid doch alles blöde Besserwisser. Wer von euch macht es denn wirklich besser? Dieses Gefühl kennt vermutlich jeder, der für etwas Verantwortung übernommen hat. Vielleicht, wenn es nicht ganz rund läuft und einem verschiedene Leute Tipps geben oder Kritik äussern. Und man sich dann eben denkt, wenn ihr es doch so viel besser wisst, warum macht ihr es dann nicht selber? Das Problem an der ganzen Geschichte: Ich bin selber eine furchtbare Besserwisserin.  Und tendiere auch dazu, ungefragt meinen Senf dazuzugeben.

 

Warum gibt es viel mehr Besserwisser als Bessermacher? Die Antwort liegt meines Erachtens darin, dass wir – mindestens in der Schweiz – nur eine geringe Toleranz gegenüber Fehlern, Unwissen und Scheitern haben. Fehlerkultur wird zwar in Management-Seminaren gepredigt, aber kaum gelebt. Im Gegenteil, Fehler zu machen und einzugestehen, wird kaum akzeptiert und selten gewürdigt. Gerade als Politikerin oder Politiker sollte man eigentlich unfehlbar sein.

 

Ein gutes Beispiel dazu ist der Fall Carlos. Oder das Verhalten von Martin Graf während der Geschichte. Nun finden alle unisono (inklusive Martin Graf), dass sich Martin Graf in dieser Sache nicht mit Ruhm bekleckert hat. Hier zur Erinnerung nochmals die Ausgangslage: Ein Jugendanwalt zeigt in einem Porträt über ihn im Schweizer Fernsehen einen Fall, den er als Erfolg wertet. Ein junger Gewalttäter, bisher ein hoffnungsloser Fall, zeigt durch intensive Betreuung und dank Kampfsporttraining erste Anzeichen von Besserung. Er ist motivierter, disziplinierter, hält sich zum ersten Mal an Abmachungen. Ein Journalist sieht die Reportage und hat ein ganz anderes Bild vor Augen: Der selbstverliebte Hippie-Jugendanwalt hat verquere und naive Ideen, wie folgender Fall zeigt: Ein junger Gewalttäter erhält vom Staat eine Kampfsportausbildung durch einen zweifelhaften und vorbestraften Lehrer und wird in einem teuren Sondersetting von Sozialpädagoginnen verhätschelt. Ein gefundenes Fressen für Boulevardmedien und -politiker. So wird der Fall öffentlich. Martin Graf reagiert – zusammengefasst – wie folgt: Er bricht das Sondersetting ab, steckt Carlos in eine Massnahme, verbietet dem Jugendanwalt weitere öffentliche Auftritte. Er kriegt vom Obergericht Recht und wird vom Bundesgericht zurückgepfiffen, was er öffentlich kritisiert. Seine Handlungen und seine Kommunikation waren nicht in allen Fällen richtig. Doch ehrlicherweise ist es in diesem Fall auch nicht so einfach. Mathias Ninck rollt im ‹Magazin› einige Zeit später den Fall wieder auf und skizziert, wie man es hätte richtig machen und kommunizieren sollen. Graf hätte den Jugendanwalt und das Sondersetting von Anfang an klar verteidigen und in Schutz nehmen sollen. In vielem teile ich die Aussagen des Artikels. Allerdings: Im Nachhinein ist man immer klüger. Und vor allem: Der Artikel geht von einer idealen Welt aus, in der Medien vernünftig auf Kritik reagieren, politische Gegner solche Fälle nicht ausschlachten und die Bevölkerung ein differenziertes Wissen und Urteil über unser Jugendstrafrecht hat. Alle Voraussetzungen waren während des Falls nicht gegeben. Mathias Ninck hat mittlerweile die Seiten gewechselt und ist Kommunikationsbeauftragter von Stadtrat Richard Wolff geworden. Vielleicht – ohne Schadenfreude – kommt er einmal selber in die Situation, wo er in einem umstrittenen, laufenden Fall die richtige Kommunikation vorschlagen muss. Und vielleicht wird er es wirklich besser machen.

 

Ich selber weiss nicht, ob ich es richtig oder besser gemacht hätte. Die Qualifizierung des Bundesgerichtsurteils fand ich falsch. Den ‹Maulkorb› an Gürber, den Jugendanwalt, hingegen richtig. Aus zwei Gründen: Bei Problemen muss der oder die politische Verantwortliche selbst hinstehen – und die Entscheide eines Departementsvorstehers müssen von dessen Untergebenen in der Öffentlichkeit (nicht intern!) mitgetragen werden. Zweitens: Manchmal muss man jemanden auch vor sich selber schützen. Wie leicht ein verdienstvolles Lebenswerk im medialen Kreuzfeuer auf einen umstrittenen Fall reduziert werden kann, musste die ehemalige Sozialvorsteherin Monika Stocker erfahren, deren politisches Vermächtnis in den Flammen eines BMWs aufging.

 

Ich habe Martin Graf gewählt und hoffe, dass er die Wiederwahl schafft. Carlos war der Ausreisser und nicht die Regel seiner Amtsführung. Ich empfinde ihn als lernfähig, als offen und ehrlich. Er wird vermutlich auch in Zukunft Dinge sagen, die er nicht hätte sagen sollen. Aber nur wer nichts kommuniziert, kommuniziert fehlerfrei. Fehler können immer und allen passieren. Wichtig ist, dass die Bereitschaft da ist, aus Fehlern zu lernen. Nur wer etwas macht, kann auch etwas besser machen.

 

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