Eine Lektion in Staatskunde

 

An der letzten Sitzung des Amtsjahres 2014/15 lehnte der Zürcher Gemeinderat am Mittwochabend die Überweisung zweier SVP-Postulate ab: Die Kosten des Polizeieinsatzes für die Räumung des Labitzke-Areals und die damit zusammenhängende Strassenblockade sollen die VerursacherInnen nicht übernehmen müssen.

 

Die allseits engagiert geführte Diskussion im Zürcher Gemeinderat startete mit der Begründung der zwei Labitzke-Postulate von Roland Scheck und Mauro Tuena (beide SVP) durch letztgenannten. Der SVP-Fraktionschef sagte, da die VerursacherInnen der Strassenblockade während der Räumung des Labitzke-Areals wie auch die ‹Geräumten› «namentlich bekannt» seien, könne es sich nur um einen «politischen Entscheid» des «ihnen wohl nahe stehenden» Polizeivorstehers Richard Wolff (AL) handeln, wenn dieser kein Interesse daran zeige, die Kosten der beiden Polizeieinsätze von 150 000 Franken weiterzuverrechnen. Wenn jemand vorsätzlich oder grobfahrlässig einen Polizeieinsatz verursache, was hier der Fall sei, müsse man ihn dafür zur Verantwortung ziehen. Andernfalls schaffe man damit ein Präjudiz. Sportklubs müssten die nötigen Polizeieinsätze auch mitberappen. Kurz: «Die Bevölkerung versteht nicht, weshalb Chaoten mit Samthandschuhen angefasst werden, während beispielsweise im motorisierten Strassenverkehr rigoros Bussen ausgesprochen werden.»

Richard Wolff begründete die Bereitschaft des Stadtrats, das Postulat «trotz schwerer Bedenken aus staatspolitischen und rechtlichen Gründen» entgegenzunehmen. Unter Protest aus den Reihen der SVP wies er darauf hin, diese «müssige Diskussion» im Rat koste auch Geld; die Postulate warteten aber mit «interessanten Ergänzungen zum Katalog der möglichen Fragen auf, die man prüfen kann». Er wäre aber auch «nicht betrübt, falls das Postulat nicht überwiesen wird».

 

«Sicher keine finsteren Chaoten»

Den Ablehnungsantrag der AL begründete Niggi Scherr. Es gehe nicht an, wegen eines einzelnen Ereignisses eine Regelung zu treffen, die im «fundamentalen Widerspruch zum Auftrag der Polizei steht», hob er an. Die Polizei sei zum Beispiel für die Sicherheit und des Schutz des Eigentums zuständig oder auch, um Störungen des Verkehrs zu beseitigen. Aber wenn Mauro Tuena damit argumentiere, die Bevölkerung verstehe nicht, dass «diese Chaoten weniger hart bestraft werden als gewöhnliche Bürger», dann habe er im Fach Staatskunde nicht aufgepasst: «Strafen ist immer noch Sache der Richter, nicht der Polizei.» Die Labitzke-BesetzerInnen und -BlockiererInnen hätten allesamt innert eines Monats einen Strafbefehl erhalten und Gebühren aufgebrummt bekommen. Doch die Polizei sei in diesem Fall, wie üblich, lediglich dafür zuständig gewesen, potenzielle Täter der Bestrafung zuzuführen: «Einem Bankräuber wird der Einsatz der Spezialtruppe der Polizei ja auch nicht verrechnet.» Zudem habe es sich beim Labitzke keineswegs um die «finsteren Chaoten» gehandelt, von denen Tuena gesprochen habe, oder um Vermummte, die nächtens Scheiben einschlügen, sondern um «Überzeugungstäter, die unvermummt hingestanden sind und sich dafür vor dem Richter verantworten müssen». Ob es sinnvoll sei, ausgerechnet diese Menschen zu bestrafen, zumal sie friedlich demonstriert hätten? «Was hätten Sie denn gewollt? Drei Wasserwerfer, tonnenweise Tränengas und ein Gemetzel erster Güte?» Dann kam Niggi Scherr auf den Paragraphen 58 zu sprechen, den die Postulanten zur Begründung herangezogen hatten: Als «grobfahrlässig» gelte beispielsweise das Verursachen eines Fehlalarms. Einsätze etwa bei Sportveranstaltungen, die teilweise verrechnet würden, hätten den Hauptzweck, die Durchführung der Veranstaltung und damit auch «den Profit des Veranstalters» zu gewährleisten. Und als «vorsätzliche oder grobfahrlässig verursachte» Einsätze, die weiterverrechnet werden könnten, gälten «die Suche nach Personen oder Tieren, beispielsweise nach einer entwischten giftigen Schlange» – von Kosten eines Demo-Einsatzes sei weit und breit keine Rede.

 

Von Migros-Säcken…

Mit Niggi Scherrs Votum sei eigentlich alles klar, befand Marco Denoth (SP) und fügte an, die SP stehe zum Rechtsstaat, zum Demonstrationsrecht und zur Gewaltentrennung. Einfach Polizeikosten zu überwälzen ohne Richterspruch gehe nicht. Die Mehrheit der SP-Fraktion lehne das Postulat ab. Die Minderheit bestand aus Alan David Sangines, der sich fürs Überwälzen der Kosten der Blockadenräumung, aber gegen das Überwälzen der Kosten der Areal-Räumung aussprach. Er fand es zwar «lustig», dass die SVP dafür sei, die Blockadenräumung zu verrechnen: «Als die Bevölkerung von Bettwil mit Traktoren die Strasse blockierte, um gegen ein geplantes Asylzentrum zu protestieren, hat die SVP diese Menschen als Helden gefeiert.» Andererseits habe auch der polizeiliche Grundauftrag Grenzen – «jemanden befreien, der sich in Beton eingegossen hat, fällt wohl kaum darunter».

Ein munteres Votum hielt Adrian Gautschi (GLP): Er könne unbefangen reden, sagte er, denn «die Hausbesetzerszene gehört nicht zu unserer aktiv bewirtschafteten Wählergruppe». Es stehe in keinem Gesetz geschrieben, dass der Stadtrat über die Weiterverrechnung solcher Kosten entscheiden müsse, hielt er fest. Laut dem Bundesgericht könne eine Strassenblockade zudem eine «politische Meinungsäusserung» sein. Und grundsätzlich: «Wo fängts an, wo hörts auf? Was ist, wenn mir auf dem Weg zur Glassammlung mitten auf der Strasse der Migros-Sack reisst, ich also eine Blockade verursache?» Die GLP sei für das Recht auf Meinungsäusserung und lehne das Postulat ab.

 

… und Blockadegelüsten

Für Markus Hungerbühler (CVP) hingegen ist es «unverständlich, weshalb die Kosten nicht weiterverrechnet werden». Das sei ja direkt «eine Einladung an Nachahmungstäter, und die Allgemeinheit zahlts». Auch Marc Bourgeois (FDP) sprach sich für die Überweisung der Postulate aus: Werde an einer bewilligten Demo gegen Auflagen verstossen, dann werde der Veranstalter auch zur Kasse gebeten. Werde dieser «Präzedenzfall» jedoch im Sinne der Linken entschieden, dann könnte die FDP ja künftig «stundenlang die Strasse blockieren». «Nur zu!», tönte es unter Gelächter von deren Seite her… Für die Grünen erklärte Matthias Probst, wenn nicht mehr die Allgemeinheit für Polizeieinsätze bezahle, halte die «Willkür» Einzug. Zumal ja diejenigen, die nun zur Kasse gebeten werden sollten, nichts dazu zu sagen gehabt hätten, wieviele PolizistInnen ausrückten. Severin Pflüger (FDP) hingegen fand, Fragen nach einbetonierten Demonstranten und kaputten Migros-Säcken seien interessant, aber dem Parlament nicht zugänglich; darüber müsse die Exekutive befinden und sodann der Richter entscheiden. Florian Utz (SP) erinnerte nochmals daran, dass StraftäterInnen zwar je nachdem durchaus Verfahrenskosten zu tragen hätten, aber sicher keine Polizeikosten: «Es ist nicht einsichtig, weshalb eine bestimmte Gruppe von dieser Regel ausgenommen werden soll – eine Gruppe obendrein, die nicht gewalttätig, sondern nur illegal unterwegs war.»

Die Überweisung des Strassenblockadenpostulats lehnte der Rat unter Namensaufruf mit 71:49 Stimmen bei einer Enthaltung ab, und die Überweisung des Areal-Räumungspostulats wurde ebenfalls unter Namensaufruf mit 75:47 Stimmen abgelehnt.

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