Beat Down Babylon!

Da ich mich gelegentlich als DJ betätige, habe ich in letzter Zeit immer wieder Schallplatten gekauft, darunter auch ein Reggae-Lied mit dem Titel «Beat Down Babylon». Das Stück handelt davon, wie der Sänger, ein rechtschaffener Rasta-Mann, Babylon zerschlägt und die bösen Männer auspeitscht. «Babylon» steht in der Reggae-Kultur für die verdorbene westliche Welt, die dem Hedonismus frönt und sich von Gott abgewendet hat. Das Stück ruft also dazu auf, meine Welt und mein Wertesystem zu vernichten und stattdessen einen Gottesstaat zu errichten. Und trotzdem finde ich es cool. Das ist irgendwie seltsam; religiöse Extremisten finde ich sonst grundsätzlich das Hinterletzte, deren Lieder würde ich mir nie anhören, selbst wenn sie mit noch so cooler Rock-, Disco- oder auch Reggaemusik hinterlegt sind. Anscheinend stört mich die Verehrung von Haile Selassie weniger als die von Jesus Christus, obwohl Selassie ziemlich sicher nicht der sympathischere von beiden war. Wie kommt das?

Gewiss, da ist der gesellschaftskritische Aspekt. Konsumkritik ist wichtig im Rastafarianismus, und dies kann man sympathisch finden – aber der Aufruf zur Mässigung findet sich doch bei den meisten christlichen Strömungen und auch bei den anderen grossen Religionen – je dogmatischer, desto stärker. Und bei den weiteren typischen Themen – Frauenrechte, Homosexualität – stehen die Rastas anderen religiösen Eiferern in nichts nach. Gäbe es einen Rasta-Staat, sähe der wohl ähnlich aus wie heute Afghanistan. (Auch Jamaika ist kein Rasta-Staat: gegen zwei Drittel der Bevölkerung sind Protestant:innen, die Rastas machen nur gut ein Prozent aus; sogar die Zeug:innen Jehovas sind noch zahlreicher.) An den Inhalten kann es also nicht liegen; die Reggae-Texte sind grundsätzlich gesellschaftlich rückwärtsgewandt und patriarchalisch.

Mit der Faszination für den Reggae bin ich nicht allein. Als in den 70er-Jahren die Punk-Bewegung in England entstand, verbrüderte sie sich schnell mit der Reggae-Kultur. Punk-Bands wie The Clash oder The Ruts spielten Reggae-Stücke, Punk- und Reggae-Bands gingen gemeinsam auf Tournee. Die fundamentale Gesellschaftskritik der Punks vertrug sich gut mit der Babylon-Thematik der Rastas, und das Zusammengehen von Bands aus einer typisch schwarzen und einer typisch weissen Kultur wurde als antirassistisches Statement verstanden. Dieses verstärkten im Ska-Revival der 80er-Jahre Bands wie die Specials oder Madness, bei denen Musiker (und wenige Musikerinnen) unterschiedlicher Hautfarben zusammen spielten.

In den 1990er- und 2000er-Jahren radikalisierten sich jamaikanische Künstler; Aufrufe etwa zum Mord an Homosexuellen etablierten sich im Reggae-Mainstream. Gleichzeitig wuchs in Europa das Bewusstsein für Homophobie und Frauenfeindlichkeit in der Popmusik. So kam es, dass bereits geplante Konzerte von Sängern abgesagt wurden, nachdem die Veranstalter auf die Inhalte von deren Texten aufmerksam gemacht worden waren. Die Rote Fabrik in Zürich veranstaltete nach einer solchen Absage ein Podiumsgespräch mit Vertretern (alles Männer) der Schwulen- und der Reggae-Szene; dieses habe ich leider als recht unergiebig in Erinnerung – die Reggae-Vertreter zogen sich auf die Position zurück, dass Homophobie halt eine kulturelle Besonderheit Jamaikas sei.

Das bringt mich zurück zur Ausgangsfrage: Wie kommt es, dass wir Musik hören, die unseren Werten widerspricht? Wahrscheinlich ist es ganz einfach: Die Aussagen von Popmusik haben wir ganz allgemein noch gar nie wirklich ernst genommen. Mick Jaggers Machismus? Hübsche Pose. Marilyn Mansons sexualisierte Schock-Outfits? Wow, würde ich mich nie getrauen. Schwule umbringen? Nein, das geht zu weit. Aber einen Gottesstaat errichten, ok – lasst uns einfach genug Gras da.

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