Anti-Staat

Bei mir ist es ja so, dass ich zum Staat stehe. Bürgerin sein, Rechte und Pflichten haben. Das entspricht mir. 

Aber so einfach ist das natürlich nie, schon gar nicht, wenn es um den Staat geht, und deshalb gibt es noch ganz andere, wie ich jetzt weiss. Die Staatsverweigerer. Der Mann aus Bern beispielsweise. Der Arzt und Multimillionär stellt sich auf den Standpunkt, er sei nie eine Abmachung mit dem Staat eingegangen und sehe deshalb keine Verpflichtung, Steuern oder generell irgendwelche Abgaben zahlen zu müssen. Seither, konsequenterweise, zahlt er einfach nicht mehr. Er ist nicht allein, so als Staatsverweigerer. Es gebe von ihnen etwa 10 000 in der Schweiz, Tendenz steigend, die Zahl ist aber unsicher, weil keine Statistiken geführt werden, und ebenso unsicher, was deren Motivation ist, die Schnittmenge mit Verschwörungstheoretiker:innen aus Coronazeiten scheint relativ gross. Sicher ist aber, dass man sich in diesen Kreisen gegenseitig unterstützt, etwa mit Musterbriefen, wie man sie derzeit ans Steueramt schicken kann:  «Nachdem ich feststellen musste, dass Behörden und Ämter keine öffentlich-rechtlichen Institutionen mehr sind, bin ich auch nicht mehr verpflichtet, Ihnen die Steuererklärung einzureichen.» 

Ich finde das ein interessantes Phänomen. Denn was passiert eigentlich, wenn man seinen Pflichten in einem Staat nicht mehr nachkommen will? Wenn man sich ausklinkt? Der Berner Arzt aus obigem Beispiel verweigert jede Rechnung und sammelt nun einfach Betreibungen, die zuhauf ins Haus flattern. Damit kann er offenbar gut leben, aber was ist mit dem Widerspruch? Wie lebt es sich damit? In der Schweiz konsumiert man den Staat doch auf Schritt und Tritt. Mit dem Auto auf Strassen fahren, die durch Steuergelder finanziert sind, an der Uni studieren, die eben nicht privat finanziert ist, die Kinder in die öffentlichen Schulen schicken, das Tram, der Zug, ja sogar das Trottoir – überall ist da Staat, von der Wiege bis zum Bestattungsamt. Man kann sich dem kaum entziehen, solange man nicht ganz aus allem aussteigt und sehr, sehr weit wegzieht, wobei ich jetzt nicht mal wüsste, wie weit oder wohin, auch abgelegene Alpwiesen sind durch Subventionen ja erst recht kein staatenloses Gebiet. Es ist allerdings zu befürchten, dass eine logische Argumentation nur bei wenigen dieser Sorte Staatsverweigerer ankommt. 

Das verbindet sie übrigens mit der anderen Ausgabe der Staatsverweigerer. Die kennt ihr auch, oder? Das sind nicht die, die ihre Pflichten wie beispielsweise Steuern zahlen nicht mehr erfüllen wollen, sondern die, die die Rechte anderer beschneiden. 

Genau betrachtet ist nämlich die Anti-Chaoten-Initiative, über die wir am 3. März abstimmen, auch eine Staatsverweigerungsangelegenheit. Also ein Versuch, anderen die Ausübung ihrer Grundrechte zu verunmöglichen. Vordergründig will sie einfach mal aufräumen. Nur noch bewilligte Demonstrationen sollen stattfinden dürfen, ansonsten die Kosten für den Polizeieinsatz von den Verursacher:innen zu zahlen seien, ebenso Sachbeschädigungen bei bewilligten Demos (und wo wir schon dabei sind auch noch alle anfallenden Kosten bei Hausbesetzungen). Das Problem an der ganzen Sache: Das geht nicht (abgesehen von der Sache mit den Sachbeschädigungen, weil das ist ja heute schon strafbar, aber eben, das mit der Logik…). 

Erstens ist es in der Kompetenz der Gemeinde zu entscheiden, ob und wie Demonstrationen bewilligungspflichtig sind. Aktuell sind sie das fast überall, die Stadt Zürich prüft eine Lockerung und das ist ihr gutes Recht. Zweitens und wichtiger: Die Festschreibung einer absoluten Bewilligungspflicht widerspricht dem Recht auf Versammlungsfreiheit. Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte schützt nämlich auch unbewilligte Demonstrationen und das finden wir gut, weil auch als Staatsversteherin weiss ich, dass der nicht immer nett ist und gegen ihn zu demonstrieren umso wichtiger. Und zu guter Letzt haben wir ein grosses Problem mit der Kostenüberwälzung, die viele in der Ausübung ihrer Grundrechte hemmen würde. Das ist anti-demokratisch. 

Wer sich also nicht zu den Staatsverweigerer:innen gesellen möchte, der und die sage am 3. März Nein zur Initiative und Nein zum Gegenvorschlag. 

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