Ärger über Windkraft

Eine beachtliche Zahl an sichtlich unzufriedenen Menschen hatte sich am Mittwochabend im Gasthof Hirschen in Hinwil eingefunden. Rund um ähnlich emotionsgeladene und teils etwas polemische Vorträge galt der Ärger der anwesenden Oberländer:innen hauptsächlich einem: Regierungsrat Martin Neukom und dessen Windkraftplänen. 

Der Verein Freie Landschaft Zürich hatte zur ersten Infoveranstaltung in einer geplanten Reihe von Veranstaltungen geladen. «Sachliche Informationen zu den geplanten Windenergiezonen» stand in der Medienmitteilung von letzter Woche, wo auch zur Veranstaltung eingeladen wurde. Es gab zwei Vorträge zu hören: Vom mittlerweile schon einige Male im P.S. zitierten, lautstarken Windkraftgegner Martin Maletinsky und vom Biologen John Spillmann. Beide sind Mitglieder des Vereins, Martin Maletinsky ist Präsident.

So sachlich, wie die Veranstaltung hätte sein sollen, war sie aber nicht unbedingt: Wie hässlich die Windräder doch seien, was für eine Verschandelung die Baudirektion hier vorhabe, welche katastrophalen Folgen für die Umwelt solche Projekte hätten und wie unglaubwürdig die Grünen doch seien – so zumindest der Tonfall. Generell schlug der SVP an den Rändern von einigen Argumenten auffällig viel Lob entgegen. Dennoch: Die Veranstaltung wirkte zumindest auf den ersten Blick so unpolitisch, wie eine Debatte über Energiepolitik sein kann.

Manchmal konstruktiv …

Einige Einwände, die Martin Maletinsky und John Spillmann anbrachten, waren durchaus kon­struktiv: Lohnt sich Windenergie in Zürich? In einem Regierungsratsprotokoll vom 16. März 2016 stand noch, es gebe im Kanton Zürich keine grösseren zusammenhängenden Gebiete zur Windenergienutzung und es sei davon auszugehen, dass im Kanton Zürich auch künftig nur vereinzelte Windkraftanlagen erstellt würden. Dennoch definierte die Baudirektion im Oktober vergangenen Jahres 46 potenzielle Eignungsgebiete (siehe P.S. vom 14. Oktober 2022). Ziel: Eine Produktion von 800 GWh. Die Baudirektion hat definitiv ambitionierte Ziele. An der Infoveranstaltung klang es allerdings so, als wäre die Planung von 120 Windrädern schon abgeschlossen. Tatsächlich steht man allerdings noch ganz am Anfang eines grossen Projekts. Die Standortfestlegung im Richtplan ist voraussichtlich 2025 abgeschlossen, und erst ab 2026 wird über die Nutzungsplanung und die Baubewilligungen diskutiert. 

Weiter fraglich befanden die Redner von Freie Landschaft Zürich die Leistungshochrechnung der Baudirektion, die das Potenzial der Stromproduktion auf 800 GWh schätzte. Respektive: Sie zweifelten stark daran, dass eine solche Leistung möglich sei. Im Kanton St. Gallen plane man nur 92 statt 120 Windräder, die 300 GWh produzieren könnten. Im Erläuterungsbericht zu den Eignungsgebieten der Windenergie im Kanton
St. Gallen ist jedoch nirgends von 92 Windrädern die Rede – lediglich von 17 Gebieten mit Eignungspotenzial. Damit würde die Rechnung der Baudirektion eher aufgehen. Auch in einer Studie von 2014, auf die sich der Regierungsrat im obengenannten Protokoll von 2016 berief, steht, dass im Kanton Zürich theoretisch ein ansprechendes Windenergiepotenzial von 450-1750 GWh vorhanden sei – bei 130 bis 480 Windenergieanlagen in den Szenarien mit den grössten Einschränkungen. Damit könnten 5-20 Prozent des kantonalen Strombedarfs gedeckt werden. Die Baudirektion plant mit 7 Prozent im Jahr 2050.

… manchmal weniger

Weiter äusserten Martin Maletinsky und insbesondere John Spielmann grosse Bedenken bezüglich des Effektes auf die Umwelt: Vogelschlag, ein dicker Belag an Insektenteilen auf den Rotoren, beachtliche Mengen an Beton, die unter einem Windrad verbaut werden müssen. Im Jura sei gar ein Steinadler geköpft geworden, und die von den Windkraftbefürworter:innen so oft proklamierte Hauptgefahr für Vögel – Katzen – sei überdimensioniert. Wenn eine Katze einen Steinadler nach Hause bringe, müsse man vielleicht schauen, ob es wirklich eine Katze sei, kanzelte Martin Maletinsky dieses Argument ab.

Fragt sich nur, wieso sich John Spillmann eine halbe Stunde später einige Minuten mit dem Bestand des bedrohten Baumpiepers – definitiv keinem Raubvogel, sondern offensichtlich einem kleinen Singvogel, also genau die Beute der Katzen – auseinandersetzte. Der Verkehr und sein Effekt auf Tierbestände wurde ebenfalls nicht angesprochen. Aber das eigentlich laienpsychologisch interessanteste und zugleich lustigste Argument war ein ganz anderes. Martin Maletinsky fragte: Warum werden hierzulande Windturbinen gebaut? Die Antwort seitens Freie Landschaft Zürich: Damit setze man ein ökologisches Zeichen – Windräder seien Symbole der Nachhaltigkeit und die Politiker:innen könnten zeigen, dass sie etwas tun. Den meisten Menschen sei weiter nicht klar, wie gering das Stromproduktionspotenzial sei.

Aber: Vorher hatte Martin Maletinsky noch erklärt, in Österreich sei man die Windkraft intelligenter angegangen – es gebe einen Hauptwindkanal im Osten des Landes, wo auch alle Windräder stehen würden. Nur am Rande: Die österreichischen Windkraftwerke sind über vier Bundesländer verteilt. Sie produzieren heute Strom für rund 50 Prozent der österreichischen Haushalte. Vor 20 Jahren hatten Meteorolog:innen noch gemeint, in Österreich würde sich ein Ausbau nicht lohnen – es sei zu windarm. «Private Pioniere»  konstruierten erste Anlagen, heisst es bei der IG Windkraft Österreich. In Zürich scheint es umgekehrt zu sein. 

Aber zurück zum Argument: Bedenkt man, wo die Windräder im Kanton Zürich stehen würden, hoch oben auf den Kreten, wo – in den Worten Martin Maletinskys – der Wind «noch einigermassen bläst», erscheinen sie auf den Visualisierungen von Freie Landschaft Zürich tatsächlich etwas wie Monumente. Und gross sind sie mit ihren 200 Metern durchaus. Aber angesichts der breiten Unterstützung der Revision des Energiegesetzes von 2017 hätte es grundsätzlich auch klar sein müssen, dass Windräder auf dem Pfannenstiel oder beim Bachtel in Zukunft eine Möglichkeit sind.

Und auch wenn sie kein Augenschmaus sind, dieser öko-konservative, an diesem Abend meist polemische Widerstand kommt etwas spät. Verständlich, dass man in Hinwil keine Freude da­ran hat, dass einige Windräder die Hügelketten im Oberland schmücken könnten, ist es dennoch. Trotzdem: Die Infoveranstaltung wollte eigentlich Pro und Contra aufzeigen. Es gab abgesehen von vereinzelten, mager applaudierten Publikumsvoten ausschliesslich Kontrastimmen zu hören. Was der Glaubwürdigkeit ebenfalls nicht half, war, dass alle Kontrastimmen auffällig weniger stark unterbrochen wurden als die der Pro-Wind-Stimmen – oder jene, die zumindest die Ausführungen der zwei Freie Landschaft Zürich-Mitglieder relativierten.   

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