Ablenkungsmanöver

Zurzeit verkünden die Bürgerlichen auf allen Kanälen, dass die Energiestrategie 2050 gescheitert sei. Was steckt dahinter?

 

Am letzten Freitag, dem 8. Juli, endete die Vernehmlassungsfrist zur Umsetzung der Änderung vom 1. Oktober 2021 des Energiegesetzes auf Verordnungsstufe. Die Vorlage geht auf eine parlamentarische Initiative von Nationalrat Bastien Girod (Grüne, Zürich) zurück, mit der eine «Förderlücke» geschlossen werden sollte: «Weil für gewisse erneuerbare Energien eine Einmalvergütung eingeführt wurde und später die kostendeckende Einspeisevergütung auf 2023 und die Einmalvergütung auf 2031 befristet wurde, besteht ab 2023 eine Ungleichbehandlung der erneuerbaren Energien (…).» Beim Schliessen dieser Lücke handelt es sich zwar lediglich um eine Übergangslösung, sie wird dereinst durch einen Mantelerlass abgelöst, doch davon später mehr.

 

Die Schweizerische Energiestiftung SES hält auf ihrer Website fest, welche Empfehlungen sie als Vernehmlassungsteilnehmerin abgegeben hat. Ein Punkt sticht besonders hervor: «Die angepassten Vergütungssätze in der Energieförderungsverordnung zeigen: Die Photovoltaik erhält am wenigsten Geld pro zusätzliche Kilowattstunde.»

 

Das sei schwer verständlich: «Statt billige Photovoltaik-Anlagen zu fördern, werden diese Kilowattstunden durch Förderungen anderer Technologien mit teils deutlich höheren externen Kosten, z.B. durch Schäden an Natur und Landschaft, verdrängt. Dies entspricht nicht dem Willen des Parlaments. Insbesondere die teure Förderung der Wasserkraft ohne Winterstromkomponente bindet zu viel Mittel.» Doch diese Antwort ist natürlich nur eine von vielen: Albert Rösti beispielsweise, SVP-Nationalrat und Präsident des Schweizerischen Wasserwirtschaftsverbands, dürfte die Sache ziemlich anders sehen…

 

Mantelerlass in Arbeit

Bereits am 28. Januar hat die Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie (UREK) des Ständerats in einer Medienmitteilung bekanntgegeben, dass sie einstimmig auf den Mantelerlass, also das Bundesgesetz «für eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien», eingetreten sei. Die Kommission werde sich an ihren nächsten Sitzungen eingehend mit der Vorlage befassen und erst nach Abschluss ihrer Beratungen über ihre Beschlüsse informieren. So weit, so normal.

 

Interessant ist in diesem Zusammenhang etwas anderes (siehe P.S. vom 18. Fe­bruar): Gemäss ‹NZZ am Sonntag› vom 6. Fe­bruar haben sich im Januar VertreterInnen von BKW, Axpo, des EWZ, des TCS, von Swissmem etc. zu einem von der PR-Agentur Furrerhugi organisierten «explorativen Treffen» zusammengefunden. Sie glaubten, die Versorgungssicherheit sei heute nicht gewährleistet, schrieb die ‹NZZ am Sonntag›: «Abhilfe schaffen soll eine ‹Allianz für Versorgungssicherheit›, bestehend aus den Anwesenden sowie weiteren Akteuren.» Diese Allianz solle «die Dominanz der Linken in der Energie- und Klimapolitik brechen».

 

Wie das geht, schrieb die ‹NZZ am Sonntag› natürlich auch: Diese breite Allianz sollte erstens auf den Ständerat Einfluss nehmen, also wohl auf dessen Behandlung des Mantelerlasses. Und zweitens wolle die Allianz in der Bevölkerung eine Debatte über die Prioriäten anstossen, die «so noch nie mit der breiten Öffentlichkeit geführt wurde».

 

Und ja, die «Debatte über Prioritäten» läuft offensichtlich: Gefühlt alle zwei Tage ist in der einen oder anderen Zeitung zu lesen, die Energiestrategie 2050 sei gescheitert. Der Absender ist bekannt: Im «Positionspapier der Schweizerischen Volkspartei für eine vernünftige Energiepolitik mit klimafreundlicher Kern- und Wasserkraft sowie marktfähigen Erneuerbaren» vom November 2021 heisst es einleitend zwar noch, «die Energiestrategie 2050 ist untauglich und droht zu scheitern». Unterdessen ist die Rede von der angeblich «gescheiterten Energiestrategie» bereits allgegenwärtig. Und wer sich davon nicht beeindrucken lässt, dem zieht man, im übertragenen Sinne zum Glück!, flugs die «kalt duschen!»-Keule oder den «im Winter frieren!»-Totschläger über den Kopf.

 

Mehr als «kä Luscht»

Nun ist es bekanntlich so, dass meist nicht «die Strategie» scheitert, sondern deren Umsetzung. Wer nach «Strategie» und «Umsetzung» googelt, findet massenhaft Artikel dazu, von der simplen Warnung, die Umsetzung sei «mindestens so wichtig wie die Strategie» bis zur nüchternen Feststellung, «eine Strategie zu entwickeln, ist sexy, sie umzusetzen, ist Arbeit». Wahrscheinlich haben die einen oder anderen Vertreter der Stromwirtschaft und bürgerlicher Parteien «kä Luscht», an der Umsetzung einer Energiestrategie mitzuarbeiten, die ihnen von Anfang an nicht in den Kram gepasst hat. Halb so schlimm, könnte man meinen, dann machen es halt die anderen – aber das ist natürlich ein grober Trugschluss. Denn es geht dieser Allianz ja nicht nur darum, die Umsetzung der Energiestrategie zu verzögern oder zu verhindern: Sie will eine neue Strategie, sie will neue AKW.

 

Denn was würde geschehen, wenn es endlich im grossen Stil losginge mit der Umsetzung, wenn die Dächer mit Solarpanels gedeckt und Windräder installiert würden? Es könnte sich herausstellen, dass es funktionieren kann mit der Energiewende, sofern man endlich die dafür nötigen Massnahmen ergreift und Schritt für Schritt tut, was zu tun ist. Und davon könnten all die Wasserkraft-, Atom- und Erdöllobbyisten unter den bürgerlichen Politikern halt eher nicht profitieren.

 

Im Positionspapier der SVP steht übrigens auch noch, «die Stromproduktion muss sich an den Prinzipien der Wirtschaftlichkeit, Umweltfreundlichkeit und Unabhängigkeit vom Ausland orientieren». Dem einzigen, was tatsächlich gescheitert ist, dem Stromabkommen mit der EU, scheint hier niemand nachzutrauern. Und was machte die SVP am Montag im Zürcher Kantonsrat? Sie reichte – zusammen mit SP, Mitte und EVP notabene – ein Postulat ein, in dem sie unter anderem fordert, die einheimische Stromproduktion sei zu stärken. In einer Fraktionserklärung hielt sie ausserdem fest, die wichtigste Rolle spielten dabei die stromproduzierenden Unternehmen: «Statt Milliarden in Windparks und Solaranlagen im Ausland zu investieren, deren Strom in der Mangellage kaum zu uns gelangt, muss der Ausbau technologieoffen in der Schweiz geschehen.»

 

Fazit: Das Gebot der Stunde lautet, sich von der aktuellen Flut von Hinweisen, dass die Energiestrategie gescheitert sei, nicht aus dem Konzept bringen zu lassen. Es ist keine wissenschaftlich erwiesene Tatsache, dass irgend etwas an dieser Strategie «gescheitert» ist. Es ist bloss so, dass die Bürgerlichen zurzeit soviel Wirbel machen wie nur möglich. Je weniger man darauf eingeht, desto eher nimmt diese Kampagne (hoffentlich!) ein einigermassen rasches Ende.

 

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