«Schiffspersonal zu finden wird immer schwieriger»

Nach 28 Jahren bei der Zürichsee-Schifffahrtsgesellschaft (ZSG) geht Thomas Hartmann, Leiter Betrieb, in Pension. Im Interview mit Arthur Schäppi gibt ZSG-Geschäftsleitungsmitglied und Gewerkschafter Hartmann Auskunft über Veränderungen in seinem Job und bei der Schifffahrt und über Probleme bei der Personalrekrutierung. Und er erinnert sich an seine Zeit als SP-Fraktionschef im Wädenswiler Parlament und sagt, welche Erfolge der Linken ihn besonders freuen.

 

Thomas Hartmann, den letzten Arbeitstag und die Verabschiedung bei der ZSG haben Sie bereits hinter sich. Nun ziehen Sie noch Ferien ein und gehen dann Ende August in Pension. Mit was für einem Gefühl?

Thomas Hartmann: Ich schaue mit grosser Befriedigung auf mein Berufsleben zurück. Gleichzeitig freue ich mich, dass ich nun mit fast 62 Jahren munter und bei guter Gesundheit, genauso wie ich mir das immer gewünscht habe, in Pension gehen kann. Der Zeitpunkt ist ideal. Meine Abteilung Betrieb ist gut aufgestellt, der Fahrplan, für den ich zuständig war, ist für die Jahre 2016 und 2017 aufgegleist. Und nachdem dieses Jahr schon der langjährige Direktor der ZSG, Hans Dietrich, pensioniert und durch Roman Knecht abgelöst wurde, kann es sicher nicht schaden, wenn es nach über 20 Jahren auch bei der Leitung Betrieb zu einem Führungswechsel kommt.

 

Sie standen fast die Hälfte Ihres Lebens im Dienste der Zürichsee-Schifffahrt. Da müssen doch nun auch wehmütige und nostalgische Gefühle aufkommen?

Da bin ich nicht der Typ dafür. Lieber schaue ich vorwärts. Das war schon so, als ich nach rund 15 Jahren 1987 von der Sihltal-Zürich-Üetliberg-Bahn (SZU) zur ZSG wechselte. Ich bin im tiefsten Innern immer auch ‹Isebähnler› geblieben, habe meinen beruflichen Wechsel aber nie bereut, sondern mich stets auf Kommendes gefreut. Das Gleiche galt für mich nach dem Rücktritt von meinen politischen Ämtern als SP-Gemeinderat, Fraktions- und Ratspräsident in Wädenswil und gilt jetzt auch für meine Pensionierung.

 

Was genau war Ihre Aufgabe bei der ZSG?

Etwas vereinfacht gesagt, musste ich als Leiter Betrieb dafür sorgen, dass jeweils das richtige Schiff mit dem richtigen Personal zur richtigen Zeit am richtigen Ort im Einsatz war.

 

Und was braucht es alles dafür?

Dazu gehört etwa die kurz-, mittel- und langfristige Planung des Leistungsangebots der ZSG. Und dazu gehören auch das Ausarbeiten der entsprechenden Fahrpläne sowie die Sicherstellung der internen Ausbildung des Personals. Damit beispielsweise bei der Pensionierung eines Kapitäns genügend ausgebildete und mit unseren Schiffen vertraute Anwärter für den Posten zur Verfügung stehen. Als Leiter Betriebe waren mir das Kader, also etwa das Personal der Leitstelle sowie der Chefkapitän und Chefmaschinist direkt unterstellt. Zur nautischen Abteilung  des Betriebs aber gehören insgesamt rund 100 Voll- oder Teilzeitangestellte.

 

Matrose oder gar Kapitän auf dem Zürichsee – sicher für viele ein Traumjob?

Die Arbeit als Matrose ist durchaus interessant und spannend und jene als Kapitän mit entsprechend grosser Verantwortung erst recht. Manche Bewerber haben aber ein verklärtes Berufsbild im Hinterkopf und sehen im Matrosen vor allem den verwegenen Typen aus Seefahrtsfilmen, der nach Salz und Teer riecht.

 

Wie aber sieht die Realität aus?

Wer an Bord eines ZSG-Schiffes arbeiten will, steht während der Saison oft spät am Abend sowie an Wochenenden im Einsatz – und das ist offensichtlich je länger je mehr nicht jedermanns Sache. Kommt dazu, dass für die Schiffscrew praktisch nur gut ausgebildete Handwerker oder Handwerkerinnen, die über den Winter für Revisions- und Reparaturarbeiten in unserer Werft eingesetzt werden können, in Frage kommen. Auf dem Schiff wiederum braucht es Personal, das sich als Gastgeber und Dienstleister versteht und versiert im Umgang mit unseren Kunden ist. Angesichts dieses anspruchsvollen Jobprofils und vor allem wegen den unregelmässigen Arbeitszeiten wird es immer schwieriger, genügend geeignetes Personal zu finden. Momentan ist das Problem gerade besonders akut.

 

Haben Sie selber nie davon geträumt, statt in Ihrem Büro in Zürich-Wollishofen zu sitzen, als Kapitän an Bord eines Kursschiffes über die Zürichseewellen zu gleiten? 

Ich interessiere mich nicht nur beruflich, sondern auch privat sehr für den öffentlichen Verkehr und insbesondere für den Schiffsverkehr, die Schiff- und Seefahrt und mache etwa auch im Shanty-Chor Horgen mit, wo wir Seemannslieder singen. Nautik ist meine grosse Leidenschaft.

Als ich vor 28 Jahren von der SZU zur ZSG wechselte und dort vorerst stellvertretender und später Leiter Betriebe wurde, konnte ich gewissermassen mein Hobby ein Stück weit zum Beruf machen. Schon damals fuhr ich als Freizeitkapitän mit einem Segelschiff auf dem Zürichsee herum. Und das begeistert mich auch heute noch. Wohl darum hatte ich nicht unbedingt den Drang, selber am Steuer eines Kursschiffes zu stehen.

 

Was hat Sie an Ihrem Job besonders gereizt?

Vor allem die Vielseitigkeit der Aufgaben. Ich war nicht nur für die Entwicklung des Fahrplanes, sondern eben auch für dessen praktische Umsetzung und die entsprechende Personalplanung verantwortlich. Spannend fand ich auch, bei besonderen Anlässen, wie etwa dem Zürifäscht oder der Streetparade, zusammen mit der Wasserschutzpolizei jeweils ein spezielles Schifffahrtsregime auszuarbeiten. Als in gewissem Sinne durchaus reizvolle Herausforderung habe ich an sich unliebsame und ärgerliche Betriebsstörungen, wie etwa den Ausfall eines Schiffes, erlebt. Da gilt es, innert nützlicher Frist den Betrieb umzuorganisieren. Da konnte ich mit meiner grossen Erfahrung improvisieren, was mich jeweils ganz besonders angespornt hat.

 

An Gelegenheiten dazu hat es in den letzten Jahren freilich nicht gemangelt. Ich erinnere nur an das Debakel mit der Panta Rhei.

Die Panta Rhei war zweifelsohne eine Fehlkonstruktion, die für teures Geld umgebaut werden musste – nun aber als eines der zuverlässigsten Schiffe unserer Flotte gilt. Und dies, obwohl sie auch im Winter – und damit während rund 11 Monaten im Jahr – im Dauereinsatz steht. Zwar ist die Zahl der Schiffe bei der ZSG über die Jahre konstant bei 17 geblieben, nämlich bei 12 Motorschiffen, 2 Dampfschiffen und 3 Limmatbooten. Die neueren Schiffe aber bieten Platz für mehr Fahrgäste, sind daher auch schwerer und zudem komfortabler und damit technisch komplexer. Somit sind sie etwas anfälliger für Pannen als ihre Vorgängerschiffe. Deshalb hat die Zahl der Betriebsstörungen in den letzten Jahren tendenziell eher zugenommen. Das Ganze ist aber ein Stück weit auch eine Frage der Wahrnehmung.

 

Wie meinen Sie das?

Weil der Ausfall eines Schiffes in der Regel grössere Konsequenzen hat als etwa eine defekte Lokomotive oder ein defektes Tram, ist auch das Medienecho einiges grösser.

 

Hat darunter das Image der Zürichsee-Schifffahrt gelitten?

Umfragen zeigen nach wie vor eine grosse Zufriedenheit der Kundschaft. Klar ist aber, dass eigentlich jede Neuerung bei der Schifffahrt fast zwangsläufig Diskussionen in der Bevölkerung auslöst und die Schifffahrtsgesellschaft die Balance zwischen der Wahrung von alten, liebgewordenen Traditionen und neuen Publikumsbedürfnissen finden muss. Das zeigte sich etwa exemplarisch, als wir vor vielen Jahren zwischen Wädenswil, Richterswil, Stäfa und Männedorf die kleinen Rundfahrten abschafften und stattdessen Querverbindungen im Taktfahrplan zwischen Wädenswil, Stäfa und Männedorf einführten. Das löste einen Proteststurm aus. Seither ist dort das Passagieraufkommen aber merklich gestiegen. Persönlich hoffe ich, dass das bewährte Schifffahrtsangebot auf dem Zürichsee für breite Bevölkerungskreise auch in Zukunft erhalten bleibt und nicht, wie die Schifffahrt in einigen andern Kantonen, womöglich massiv unter politischen Spardruck gerät und dann geschmälert werden muss.

 

Wie haben sich die Passagierzahlen entwickelt?

2014 hat die ZSG rund 1,686 Millionen  Passagiere transportiert und für dieses Jahr wird angesichts des günstigen Wetters ein Rekordergebnis erwartet. Generell lässt sich sagen, dass die Passagierzahlen mit der Einführung des Taktfahrplanes im Jahre 1997 massiv gestiegen sind und sich seither fast verdoppelt haben. Ein Stück weit ist die ZSG damit allerdings auch Opfer ihres eigenen Erfolges geworden. Weil immer mehr Fahrgäste ein- und aussteigen, mussten die Schiffe an den Stationen länger halten, so dass wir 2014 den Taktfahrplan zwangsläufig etwas verlangsamen mussten. Die Fahrt von Zürich nach Rapperswil und zurück dauert darum heute rund 10 Minuten länger.

 

Sie gehörten zur ZSG-Geschäftsleitung und sind gleichzeitig Mitglied des Schweizerischen Eisenbahn- und Verkehrspersonal-Verbands (SEV). Führte das nie zu Konflikten?

Nein. Als Geschäftsleitungsmitglied war es selbstverständlich meine Aufgabe, die Arbeitgeberinteressen der ZSG wahrzunehmen. Als ich 1998 Mitglied der Geschäftsleitung wurde, habe ich mich deshalb vom Besuch von Gewerkschaftsveranstaltungen des SEV abgemeldet, um mögliche Interessenkonflikte zu vermeiden. Ich bin aber stets Mitglied des SEV geblieben, weil ich Gewerkschaften für unentbehrlich halte und auch froh war, in ihnen einen verlässlichen Sozialpartner und eine Personalvertretung zu haben. Auch habe ich die Gründung einer Personalkommission vor 15 Jahren aktiv unterstützt.

 

Auf Anfang 2015 haben die ZSG und der SEV einen Firmenarbeitsvertrag abgeschlossen. Was ändert sich damit?

Vor allem, dass das bisher schon gut funktionierende sozialpartnerschaftliche Verhältnis nun verbindlich vertraglich geregelt ist. Im Vergleich zum bisherigen Personalreglement bringt der Vertrag zwei zusätzliche Feiertage für das Personal. Und die relativ wenigen Angestellten, die nicht Mitglied bei der Gewerkschaft sind, müssen neu ebenfalls einen Solidaritätsbeitrag an die Gewerkschaft leisten.

Persönlich bin ich der Meinung, dass die Zeit eigentlich reif wäre für einen ZVV-Gesamtarbeitsvertrag…

 

…und auch für längst fällige Lohnerhöhungen bei der ZSG, wie man beim SEV beklagt?

Ich habe durchaus ein gewisses Verständnis für diese Forderung, zumal es tatsächlich seit längerer Zeit keine richtigen Lohnerhöhungen mehr gab. Will die ZSG weiterhin gutes und motiviertes Handwerkspersonal finden, das bereit ist, spätabends und an Wochenenden auf den Schiffen zu arbeiten, muss die Lohnfrage angegangen werden. Letztlich aber bestimmt nicht die ZSG selber über die Höhe der Lohnsummen, sondern der ZVV und der Verkehrsrat und somit der Kanton, der auch entscheidet, wie viele Mittel der ZSG zur Verfügung stehen.

 

Wie sehen Ihre Zukunftspläne als Rentner aus?

Ich habe sicher mehr Zeit zum Segeln, Skifahren und Fotografieren und werde vielleicht sogar Klavierspielen lernen. Da meine Frau noch einige Jahre als Lehrerin arbeitet, möchte ich sie viel stärker als bisher von der Hausarbeit entlasten und endlich richtig gut kochen lernen.

 

Und eine Rückkehr in die Politik? Sie waren ja zwischen 1999 und 2012 SP-Gemeinderat im Wädenswiler Stadtparlament, führten von 2006 bis 2009 die Fraktion und präsidierten im Amtsjahr 2009/2010 den Gemeinderat.

Ein politisches Amt nehme ich nicht mehr an. Ich bleibe aber natürlich ein politischer Mensch und nehme weiterhing gerne am Parteileben der SP teil.

Ich habe seinerzeit mit Herzblut im Gemeinderat und verschiedenen Kommissionen für ökologische und soziale Anliegen gekämpft. Weil diese Anliegen immer mal wieder von aufgeschlossenen Gemeinderäten ausserhalb von SP und GP mitgetragen wurden, waren knappe Mehrheiten damals noch möglich. Heute erzielt die Linke in Wädenswil eher bei Volksabstimmungen immer mal wieder schöne Erfolge.

 

Zum Beispiel?

Vor Jahren ist es uns dank dem politischen Druck mit einer Initiative gelungen, das Gebiet «Stoffel» als grüne Lunge im Siedlungsgebiet vor einer Überbauung mit einer Klinik oder mit Villen zu bewahren. Und zusammen mit den Grünen und der bäuerlichen IG Kulturland Zimmerberg haben wir Ende November 2014 das Grossprojekt der Migros für einen 18-Loch-Golfplatz mitten im Kulturland und Erholungsgebiet im Wädenswiler Berg an der Urne versenkt.

Ich bin auch zuversichtlich, dass die SP in Wädenswil mit ihrer aktuellen Initiative «Wohnen für alle» gute Erfolgschancen hat. Demnach soll die Stadt dafür sorgen, dass der Anteil von gemeinnützigen Mietwohnungen mit Kostenmieten längerfristig auf 20 Prozent steigt.

 

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