Kein Zaubermittel

Das politische Zauberwort der Stunde heisst Transparenz. Transparenz hilft, so scheint es, gegen alles Übel. Und hat man auch Transparenz, muss man nicht einmal mehr ein Gesetz machen. Leider hat die viel gelobte Transparenz nicht immer die Wirkung, die man sich von ihr erhofft. Zum Beispiel Managerlöhne. Die Entlöhnungen von Managern sorgen immer wieder für Empörungen. Das Rezept: Transparenz! Wären die Löhne ausgewiesen, dann würden sie sinken. Dachte man sich. Die AktionärInnen würden dann den überrissenen Entlöhnungen wegen öffentlichem Druck nicht mehr zustimmen. Geschehen ist das Gegenteil: Die Offenlegung der Spitzenlöhne hat dazu geführt, dass die Löhne explodierten. Dies zeigte beispielsweise eine Studie von Yun W. Park, Toni Nelsen und Mark Huson von 2014 über Spitzenlöhne in Kanada. Mit der Offenlegung der Entlöhnungen wurde in einem kompetitiven Arbeitsmarkt der Preiswettbewerb angeheizt. Denn die ManagerInnen wussten neu, wieviel man bei der Konkurrenz verdient, und verlangten mindestens dasselbe. Auch dieser Effekt ist bekannt: Man vergleicht sich in erster Linie mit seinen KollegInnen und nicht mit dem gesamten Lohngefüge. Einer der Gründe warum selbst massiv ungleich verteiltes Einkommen nur auf mässigen Protest stösst.

 

Ungeniert abzocken: Dieses Phänomen begleitet auch unsere Politik, in der man stolz darauf ist, als einzige westliche Demokratie keinerlei Regeln zur Parteien- und Wahlkampffinanzierung zu besitzen. Und ebenso lasche bis nicht vorhandene Regeln zur Vermeidung von Interessenskonflikten kennt. Es wird immer wieder abschätzig über LobbyistInnen berichtet. Weniger ein Thema ist, dass bei uns die grössten Lobbyisten nicht in der Wandelhalle, sondern im Parlamentssaal sitzen. Das alles ist aber gar kein Problem. Warum? Sie ahnen es. Es ist ja transparent. Hier ist es nicht nur ein Zauberwort, sondern ein Zaubersatz, der alle Probleme zur Seite wischt: «Ich gebe Ihnen meine Interessensbindung bekannt». Hat man am Anfang von seinem Votum dieses Sätzli von sich gegeben, ist man von allen Interessenskonflikten offenbar befreit. Der wohl billigste Ablass aller Zeiten. In der katholischen Kirche muss man immerhin zahlen oder eine Reihe von Gebeten sprechen, um von seinen Sünden befreit zu werden.

 

Nun setzen sich eine Reihe von Parteien (unter anderem die SP) für mehr Transparenz bei der Politikfinanzierung ein. Und wer dies tut, müsse ja auch konsequenterweise selber Transparenz vorleben, heisst es jeweils. Gegenüber dieser Form der einseitigen Abrüstung war ich immer skeptisch. Ein Artikel in der NZZ von der sonst von mir sehr geschätzten Christina Neuhaus gibt mir Recht. Unter dem Titel «Wieviel kostet ein Sitz im Ständerat» wird spekuliert, wieviel einzelne StänderatskandidatInnen für ihren Wahlkampf ausgeben. Spekuliert deshalb, weil etliche KandidatInnen keine Auskunft geben, und sich Neuhaus vor allem auf «Insider» oder «Eingeweihte» beruft. Vorbildlich transparent sind hier vor allem die Kandidaten der SP: Cédric Wermuth meint gegenüber der ‹Aargauer Zeitung›, sein Wahlkampfbudget betrage 150 000 Franken. Davon zahle die Partei 60 000, den Rest will er mit Spenden finanzieren. Der Berner Ständerat Hans Stöckli sagt gegenüber der ‹Berner Zeitung›, dass sein Budget ähnlich hoch sei wie 2015. Damals habe er 90 000 Franken von der Partei erhalten, 153 000 Franken Spenden eingenommen und 35 000 Franken selber beigesteuert. Obwohl Wermuth Neuhaus – im Gegensatz zu seinen bürgerlichen Kontrahenten – bereitwillig Auskunft gab, kam sie zu folgendem Schluss: «Offizielle Angaben über Wahlkampfbudgets zu erhalten, ist schwierig. Die bürgerlichen Parteien geben in der Regel nur ungern oder gar keine Auskunft. Die Linke verspricht gern Transparenz, hadert dann aber oft mit den Details.» Zu diesem Schluss kommt sie, weil eben die eingangs erwähnten «Insider» von einem grösseren Budget ausgehen. Am Schluss bleibt: Es lügen alle und die Linken haben ja viel mehr Geld als die Bürgerlichen.

 

Das Problem an der ganzen Geschichte: Die Höhe des Budgets ist eigentlich irrelevant. Die Art der Spenden hingegen nicht. Wer vor allem Einnahmen von KleinspenderInnen hat, ist unabhängiger, als wer vor allem auf GrossspenderInnen zurückgreift. Wer also 200 000 Franken Spenden einnimmt mit geringen durchschnittlichen Spenden, kann es sich leisten, einen einzelnen Spender zu vergrämen. Wer 100 000 Franken von drei Personen einnimmt, viel weniger. Transparenz allein hilft also nicht. Es braucht vielmehr eine Diskussion über Effekte, die man sich wünscht oder nicht.

 

Eine falsche Vorstellung von Transparenz hat auch Wikileaks-Gründer Julian Assange, der in den vergangenen Tagen in der equadorianischen Botschaft verhaftet wurde. Während sich jetzt gerade alle aus antiimperalistischen Gründen auf seine Seite schlagen, lohnt es sich vielleicht auch ein wenig, Julian Assange und sein Werk etwas näher zu betrachten. Zum einen verschanzte sich Assange in der Botschaft in Equador, weil er sich einem Gerichtsverfahren in Schweden entziehen wollte. Zwei Frauen hatten ihn der sexuellen Übergriffe beschuldigt. Assange hat dabei seine Unschuld festgehalten. Überprüft werden konnten die Vorwürfe nicht. Mittlerweile sind die Verfahren wegen Verjährung eingestellt.

 

Ebenfalls gravierend ist Assanges Vorstellung von Transparenz und Privatsphäre. Denn Anrecht auf Letzteres hat seiner Ansicht nach keiner. Assange veröffentlichte auf Wikileaks nicht nur amerikanische Kriegsverbrechen und die E-mails von Hillary Clintons Wahlkampfleiter John Podesta (wobei auch jener ein Recht auf Privatsphäre hat), sondern auch die Namen von Vergewaltigungsopfern und Homosexuellen in Saudi-Arabien oder die Namen und privaten Adressen von Millionen von türkischen WählerInnen oder die privaten Combox-Nachrichten von Mitarbeitenden der demokratischen Partei. Wer aber keine Privatsphäre mehr hat, wer seine Gedanken nicht mehr privat teilen kann, verliert damit sein Recht auf politische Teilhabe, meint die türkisch-amerikanische Soziologin Zeynep Tufekci in der ‹New York Times›. Widerspruch in einer Demokratie brauche Privatsphäre. Gruppen und Kampagnen brauchen die Möglichkeit zur internen Diskussion, ohne Angst haben zu müssen, dass alles veröffentlicht wird. Wikileaks hat den Journalismus zweifellos verändert. Informationen sind nicht mehr knapp, sondern im Überfluss vorhanden. Umso mehr ist Einordnung gefragt. Triviales muss von Wichtigem unterschieden werden. Und Veröffentlichung heisst immer noch Verantwortung. Heute mehr denn je.

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