Frauenforderungen haben keine Nationalität

In der Schweiz war lange Zeit nur von Migranten die Rede. Migrantinnen blieben in der Wahrnehmung oftmals unsichtbar. Dies hat sich in den letzten Jahrzehnten zwar geändert. Jedoch leiden Migrantinnen noch heute unter Mehrfachdiskriminierungen.

 

Sibel Arslan*

 

Der Kampf der Schweizer Frauen für die Gleichstellung in allen Belangen währte lange und band enorme Kräfte. Er rückte, je länger er dauerte, in den Fokus der Medien und der Öffentlichkeit. Im Verborgenen spielte sich parallel dazu ein weiterer Kampf ab, sozusagen einer Minderheit in der Minderheit, jener der Migrantinnen in der Schweiz.

Während langer Zeit war in der Schweiz nur immer von Migranten die Rede. Die Ausländerszene war männlich geprägt. Dies hatte viel mit der Berufswelt, mit strukturellen Bedingungen des globalen Arbeitsmarktes und der internationalen Arbeitsteilung zu tun. Wurde von Ausländern oder Migranten geredet, dachte man an die in der Öffentlichkeit sichtbaren Bauarbeiter, die Erntehelfer bei den Bauern oder die Kellner in den Restaurants und später an die Topmanager. Migrantinnen blieben lange praktisch unbeachtet, auch in den Geschichtsbüchern. Meist wurden sie, wenn überhaupt, beim Einkaufen oder in der Kirche wahrgenommen.

 

Geflüchtete und migrierte Frauen bleiben bis heute auch in der Wahrnehmung häufig unsichtbar. In der Migrationsgeschichte wurden sie lange schlicht vergessen oder verschwiegen, weil sich Studien hauptsächlich auf die männlichen Akteure im Wanderungsgeschehen konzentrierten. Ebenso wurden Frauen in westlichen Gesellschaften jahrhundertelang kaum als Akteurinnen am Arbeitsmarkt wahrgenommen, obwohl Migrantinnen bei der Bildung und beim Zugang zur Hochschulbildung eine prägende Rolle gespielt hatten. Die Schweiz gewährte als einer der ersten Länder Europas den Frauen den Zugang zu Universitäten. Es waren vor allem Studentinnen aus Russland, die sich den Zugang zur höheren Bildung erkämpften oder geflüchtete deutsche Professoren, die sich für das Studium der Frauen stark machten. Die damaligen Akademikerinnen standen oft an der Spitze des feministischen Denkens. Einige der ersten Studentinnen in der Schweiz wurden später zu Schlüsselfiguren im politischen Kampf.
Ein grosser Teil der Beschäftigten in der Schweiz sind Migrantinnen. Eine besondere Aufmerksamkeit muss den diskriminierenden Strukturen geschenkt werden, in denen sie gefangen sind und die oft die sozialen Beziehungen der Gesellschaft verdecken: Migrantinnen sind mehrfach diskriminiert. Sie verlassen ihre Heimatländer, weil eine globalisierte Wirtschaft Armut gebracht hat, weil Kriege herrschen oder sie Gewalt erfahren haben oder weil sie als Ehefrauen in die Schweiz nachreisen. Die Diplome und Ausbildungen von Migrantinnen aus Drittstaaten sind in der Schweiz oft nicht anerkannt, was dazu führt, dass sich ihre berufliche Tätigkeit oft auf Haushaltsarbeiten und Pflegeberufe beschränkt. Sie kümmern sich um Kinder, um alte Menschen, um Haushalte oder sind Sexarbeiterinnen – unsichtbare Arbeiten, schlecht bezahlt, nicht anerkannt und nicht wertgeschätzt. In manchen Fällen wird eine Verfügbarkeit an 24 Stunden pro Tag verlangt, manchmal haben sie keinen legalen Aufenthaltsstatus. In einer globalen Versorgungskette des internationalen Systems übernehmen Frauen des Südens oder des Ostens die Haus- und Betreuungsarbeiten von erwerbstätigen Frauen des Nordens und des Westens.

 

Migrantinnen ermöglichen also anderen Frauen, arbeiten zu gehen und Karriere zu machen, indem sie ihre Familienangehörigen pflegen und ihren Haushalt führen. Wenn wir am 14. Juni auf die Strasse gehen, dürfen wir die doppelte Diskriminierung der Migrantinnen nicht vergessen.
Migrantinnen brauchen Zugang zum Rechtssystem, ohne Angst haben zu müssen, ausgewiesen zu werden. Ihr Status muss – unabhängig von einer Ehe – regularisiert, ihre Diplome müssen anerkannt werden. Migrantinnen sind mehr als Ehefrauen von Migranten. Mi­grantinnen wollen und sollen am gesellschaftlichen Leben teilhaben und Teil davon sein. Das zeigt sich beispielsweise bereits bei den Einbürgerungen. Im letzten Jahr haben 22 400 Migrantinnen das Bürgerrecht erhalten, im Gegensatz zu nur 20 400 Migranten. Migrantinnen möchten sich beruflich qualifizieren und weiterbilden, insbesondere nach einer Familienpause. Trotzdem sind sie in den Wiedereinsteigerinnenkursen nur schwach vertreten. Dies rührt daher, dass es viel zu wenige solcher Kurse gibt und die bestehenden Kurse für viele finanziell oft unerschwinglich sind.

 

Trotz der geschilderten Unterschiede sind Migrantinnen Frauen, welche die gleichen Ziele anstreben, wie Schweizerinnen: die rechtliche und tatsächliche Gleichstellung in allen Bereichen, so wie bei der Bildung, im Beruf, in der Politik, in der Familie und in der Wirtschaft. Daran soll der Frauenstreik erinnern. Schliesslich gehen Frauen für alle Frauen auf die Strasse.

 

* Sibel Arslan ist Nationalrätin der Grünen aus Basel.

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