Feminismus – Prequel

Kürzlich hat mich auf Facebook einer gefragt, ob ich eigentlich «die Frauen» an und für sich sei oder warum ich mir anmasse, für sie zu sprechen. Das möchte ich gerne hier coram publico beantworten.

 

Ich rede nun mal mit vielen Frauen und höre ihnen auch zu. Schon mit 16, da wollte ich den Gymi-Typus wechseln und repetierte freiwillig. Als Dienstältere hätte ich in meiner neuen Klasse eine Drauskomm-Funktion zu erfüllen gehabt. Aber ich kam aus einer anderen Ecke des Kantons und war somit eine Fremde. Ausserdem gab es ein paar, die vom Auslandjahr zurückkamen und daher die hipperen Repetentinnen waren als ich. Um sie scharte sich alles, sie lagen in der Pause gerne mit den Jungs kreuz und quer auf einem Haufen; es entstanden Codes und Insider-Witze. In der sozialen Hackordnung zuunterst standen jene Mädchen, die man zu Mauerblümchen erklärt hatte, und die am anderen Ende des Pult-Hufeisens beisammen sassen. Ich beschloss, gegen jedes Stigma immun zu sein und setzte mich zu ihnen. Ich hatte nie das Gefühl, etwas zu verpassen. Mit meinen Sitznachbarinnen pflegte ich sehr ehrliche, gleichwürdige und alltägliche Gespräche unter Mädchen. Von da aus beobachtete ich die soziale Norm am anderen Ende des Klassenzimmers – was tun die genau, um dazuzugehören? – und zog meine Schlüsse über die ungeschriebenen Regeln zwischen den Geschlechtern. Ich finde sie in praktisch jedem sozialen Gefüge bis heute wieder.

 

Bis etwa 25 diskutierte ich auch aber auch noch viel mit Männern – Mitstudenten, WG-Besuchern, Zugreisenden – eigentlich mit jedem. Diskussionen über die Geschlechter aber endeten immer gleich: Mein Gesprächspartner versuchte Ungerechtigkeiten herrisch, ausfällig, wütend oder weinerlich zu widerlegen oder zu rechtfertigen. Eines Tages beschloss ich, nur noch mit Frauen über die Lage der Frauen zu sprechen. Fast jedes Mal bereue ich es, wenn ich davon abweiche. Natürlich gibt es auch nicht nur nette Gesprächspartnerinnen. Aber selbst was die arroganten, selbstverliebten, eitlen oder bünzligen unter ihnen sagen, hat für mich einen unmittelbareren Wert als alles, was Männer zum Thema zu sagen hätten …

 

Darüber hinaus konnte ich an vielen verschiedenen Arbeitsstellen geschlechtertypisches Fortkommen oder Stagnieren beobachten. Etwa so, wie andere Leute jährlich neue Länder bereisen, um ihren Horizont zu erweitern, fluktuierte ich in meiner Jugend zwei Jahrzehnte lang von Stelle zu Stelle. Das war nicht immer nur einem Veränderungs- und Aufstiegswillen geschuldet; als Kind der 68er-Generation schmeichelte ich mir mit der Auffassung, ich hätte halt ein Autoritätsproblem. Oder spielte es beim unversöhnlichen Ende einiger Arbeitsverhältnisse evtl. eine Rolle, dass ich in rund 25 Jobs nur zwei Mal eine Chefin hatte?

 

Seit 2012 hat mein persönlicher Feminismus, der mich zwischenzeitlich als Genderdebatte kalt liess, einen neuen Schub erfahren – nämlich durch den Besuch des Frauen-Leseseminars, das die VPOD-Frauen organisieren und das von Tove Soiland geleitet wird. Alljährlich kommen hier zwanzig bis vierzig Frauen jeden Alters, jeden gesellschaftlichen Hintergrunds zusammen und analysieren ihre Lage und ihre Handlungsmöglichkeiten anhand der punktgenau ausgewählten Texte aktueller oder historischer AutorInnen zu den brennenden Fragen des Feminismus heute. Ja, so kommt es wohl, dass mich tatsächlich bisweilen Allüren einer Feministin vom Dienst anwandeln …

 

Ina Müller

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