Ein cooler Tag mit grosser Wirkung

Der erste nationale Frauenstreik war ein Tag voller positiver Energie: Frühstückstische wurden mitten in der Strasse aufgestellt, Trams standen still, Frauen trafen sich zu Protestpausen und Transparente wurden geschwenkt. Doch so gross wie die Freude über diesen Tag auch war, so tief sass die Empörung über die immer noch andauernde Ungleichheit.

 

Dore Heim*

 

Morgens um 8 Uhr zogen wir das Absperrgitter über die Quartierstrasse und stellten die Tische und Bänke auf. Der Brunch der Quartierbewohnerinnen war um 11 Uhr angesagt. Es sah nach einem warmen Tag aus – welch ein Glück! Um 9 Uhr machte ich mich auf den Weg zur Redaktion des ‹Tages-Anzeigers›, es war abgemacht, dass ich dort bei der Redaktionskonferenz eine kurze Rede halten würde. Beim Empfang wurde ich angehalten, der Chefredaktor wolle mich sehen. Mit ausgesuchter Höflichkeit empfing mich Roger de Weck in seinem Büro. Er sei hier der Hausherr. Zwar habe er nichts dagegen, dass ich an der Redaktionskonferenz auftrete, aber es sei ja wohl angebracht, dass wir beide zuerst miteinander sprechen würden. Es folgte ein Monolog. Die Gleichstellung der Frauen sei für ihn selbstverständlich, seine Frau eine anerkannte Kinderbuchautorin usw. Dann Geleit durch den Chefredaktor in die Redaktionskonferenz, die der jungen Gewerkschafterin einen herzlichen Empfang bereitete.

 

Zurück im Quartier, es wird konkret: Brot, Käse, Kaffee, Früchte, Teller und Tassen werden auf langen Tischen in der Mitte der Strasse aufgebaut. Es kommen Frauen aus der nahen ABZ-Siedlung, aus der Alterssiedlung, Frauen mit Kleinkindern auf dem Arm, Passanten bleiben stehen, staunen. Es kommen die Lehrerinnen aus dem Schulhaus vorne und es kommt die grauhaarige Kioskfrau. Sie hat kurzerhand den Rollladen runtergezogen und ein Schild hingehängt: «Wegen Frauenstreik bis 14 Uhr geschlossen». Die Redaktorinnen der Agentur Keystone faxen am Mittag ein Gruppenbild: «on strike!». Die Trams stehen still in Zürich. Je näher ich dem Helvetiaplatz komme, desto enger wird es in den Strassen, Schulter an Schulter marschieren die Frauen, schwenken Plakate und Transpis, die violetten Ballone hüpfen über den Köpfen. Dieser Aufbruch ist handgemacht, es wurde mit grossem Spass «gelismet», gemalt, geklebt und organisiert. Da steckt viel Improvisation drin und viel Zusammengehörigkeit. Frauen stehen für einen Tag zusammen. Mit Kraft und Überzeugung: Hier kommen wir und wir zwingen euch, uns endlich zur Kenntnis zu nehmen! Die Masse machts möglich, auch die Besetzung des Paradeplatzes ist ein einziges Happening, cool und friedlich. Ein Volksfest, ein fröhlicher Aktionstag? Der Frauenstreik hat der tiefsitzenden Empörung von Frauen aller Generationen endlich ein Ventil verschafft: Wir haben den 14. Juni 1991. Wir haben seit gerade mal drei Jahren die rechtliche Garantie, dass eine Frau mit der Heirat nicht entmündigt wird wie ein Kind. Es wird ab jetzt noch 13 Jahre dauern, bis auch Vergewaltigung in der Ehe strafbar wird. Und erst in fünf Jahren wird es ein Gesetz gegen sexuelle Belästigung und Lohndiskriminierung geben. Eine Nachfrage bei Medienunternehmen vor dem 14. Juni ergibt: Mutterschaftsurlaub unbekannt. Der Personalchef der NZZ ist verwundert: «Aber wieso braucht es so was? Wir haben in zwanzig Jahren nie eine schwangere Redaktorin gehabt! Wenn es dann mal eine gäbe, würden wir mit ihr doch sicher eine Lösung finden.»

 

Es wird Abend, schweizweit haben sich Frauen auf öffentlichen Plätzen getroffen, haben vor Spitälern Protestpausen gemacht, Transparente aus Schulzimmern gehängt, in Betrieben Versammlungen organisiert und den Männern für einen Tag die Berichterstattung überlassen. Die offizielle Schweiz atmet auf, der Spuk ist vorbei. Der Frauenaufstand ging schadlos vorüber. So dachte man sich. Nicht ganz zwei Jahre später stehen die Frauen wieder Schulter an Schulter auf dem Bundesplatz und drohen wieder mit einem Aufstand. Diesmal mit einem ganz unfröhlichen. Das zeigt Wirkung. Ruth Dreifuss wird in den Bundesrat gewählt. Und sorgt für das Gleichstellungsgesetz, für Betreuungsgutschriften in der AHV und sie ebnet den Weg zu einem bezahlten Mutterschaftsurlaub. Nach­satz: Christiane Brunner und ihren SMUV-Kolleginnen sei auf immer Dank – der Frauenstreik hat in den Gewerkschaften zu einem regelrechten Ruck geführt, er war das Fanal für eine Modernisierungswelle. Neues Personal, feministische Frauen, dezidiert linke Führungsleute. Menschenrechte, Gleichstellung und Antidiskriminierung wurden in der Folge zu den wichtigsten Grundsätzen einer Gewerkschaftsstrategie, die sich nicht zuletzt auch als belastbar für das Verhältnis mit der EU erwies. Nachsatz II: Die Erwerbsquote der Frauen nahm seit den 90er Jahren stetig zu, das Handicap für erwerbstätige Mütter ist aber noch immer massiv. Und die Lohnungleichheit hält sich hartnäckig. Ebenso die ungleiche Verteilung der Betreuungsarbeit. Sie wird zu gut 2/3 von Frauen erledigt. Grund genug für den erneuten Aufstand!

 

*Dore Heim, Historikerin und Zentralsekretärin beim SGB.
1991 war sie Frauensekretärin der Schweizerischen Journalistinnen- und Journalisten-Union SJU.

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