«Die Politik funktioniert, das Volk bei uns ist auf der Höhe»

Mit dem Nein zum Kauf der Gripen-Kampfjets am 18. Mai 2014 bescherten die Stimmberechtigten dem Schweizer Militär eine historische Niederlage. Wie konnte es dazu kommen? Mit dieser Frage hat sich der Dokumentarfilmer Frédéric Gonseth beschäftigt; über seine Arbeit am Film «Ein Volk auf der Höhe» gibt er im Gespräch mit Nicole Soland Auskunft.

 

 

 

Was waren Sie im Militär?

Frédéric Gonseth: Ich war einfacher Sanitätssoldat.

 

Also weder ein abtrünniges ‹hohes Tier› noch ein Dienstverweigerer: Haben Sie sonst einen speziellen Bezug zur Armee oder zur Kampffliegerei?

Nein, ich habe ganz normal die Rekrutenschule und danach alle Wiederholungskurse absolviert – bis auf die letzten zwei, von denen ich wegen Krankheit dispensiert wurde. Doch ich habe mich auch in einer Vorläuferorganisation der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee, der GSoA, engagiert. Allerdings ging es mir dabei in erster Linie um die Wahrung der Rechte der Soldaten. Ich war nie für die Abschaffung der Armee, denn für mich ist klar, dass das Fehlen der Armee die Tür für Privatarmeen oder gar Bürgerkriege öffnen kann.

 

Um die Geschichte des gescheiterten Kaufs der Gripen-Kampfflugzeuge dokumentieren zu können, mussten Sie lange vor der Abstimmung damit anfangen, zu planen, das nötige Geld zu beschaffen und zu filmen: Wie konnten Sie sich sicher sein, dass ausgerechnet an dieser Geschichte genug Fleisch am Knochen für einen ganzen Dokumentarfilm sein würde? Die Beschaffung von Kampffliegern gab zwar auch früher schon viel zu reden, ging jedoch stets im Sinne des Militärs aus.

Ich habe intuitiv gespürt, dass dieses Mal etwas in der Luft liegen könnte. Im September 2013 landeten die Rechten einen Erfolg: Die Volksinitiative der GSoA für die Abschaffung der Wehrpflicht ging deutlich bachab. Dies war ein schwerer Schlag für die GSoA, doch die Rechten fühlten sich beflügelt. Gleichzeitig geschah jedoch etwas bis anhin Unerhörtes: Mit den Grünliberalen richtete sich im Parlament erstmals eine bürgerliche Partei gegen eine Vorlage der Armee, konkret gegen den Kauf des Gripen. Dass dies eine Gefahr darstellen könnte, sahen die Rechten aber nicht. Ich fand diese Konstellation und die Widersprüche dahinter spannend. Den Film schrieb ich dann sehr schnell, denn ich musste ja auch noch im Oktober beim Bund die Eingabe für den Förderbeitrag machen. Glücklicherweise sahen die Leute dort das Potenzial der Geschichte sofort und kamen ebenfalls zum Schluss, sie habe genug Fleisch am Knochen. Ich habe in meinem Exposé aber auch extra schwarz auf weiss geschrieben, es bestehe die Möglichkeit, dass die Armee zum ersten Mal eine Niederlage erleiden werde…

 

Sie haben Wahrsager gespielt?

(lacht) Ich habe auf die Möglichkeit hingewiesen, aber persönlich war ich natürlich ganz neutral.

 

Wie schwierig war es, im Film neutral zu sein und beide Seiten ausgewogen zu Wort kommen zu lassen? Und welche Seite war schwieriger zu erreichen?

Bevor ich dieses Projekt eingab, habe ich vor allem versucht, mit Armeeangehörigen und sonstigen BefürworterInnen des Gripen-Kaufs zu reden. Mit den Leuten auf der linken Seite hatte ich zwar seit dem erwähnten Engagement für die Rechte der Soldaten keinen Kontakt mehr, doch ich kenne sie schon noch und wusste, an wen ich mich wenden konnte. Auf der rechten Seite kam mir unter anderem entgegen, dass ich den früheren Armeechef Christophe Keckeis gut kenne: Meine Frau hat früher als Musiklehrerin gearbeitet, und seine Kinder kamen zu ihr in den Unterricht. Er erklärte sich sofort dazu bereit, im Film mitzuwirken. Weiter kannte ich den unterdessen verstorbenen Direktor des Konservatoriums Lausanne, Jean-Jacques Rapin; auch er war in die Armee involviert und vermittelte mir weitere Kontakte. Ohne diese Unterstützung hätte ich den Film nicht machen können. Dass ich den Film aus Sicht eines neutralen Beobachters drehen würde, war aber von Anfang an klar. Etwas anderes wäre auch gar nicht möglich gewesen; ohne diese Zusicherung an beide Lager hätte ich kein einziges Bild drehen können.

 

Dass Sie einst Journalist waren, hat wohl auch geholfen…

Stimmt, ich war mal Journalist, allerdings nur einige Jahre. Studiert habe ich Soziologie, dann bin ich Filmemacher geworden. Ich habe beispielsweise einen Film über die Arbeit der Delegierten des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes IKRK in Jemen gedreht; einen solche Job kann man nur machen, wenn man sich neutral verhält und alle Beteiligten gleichberechtigt zu Wort kommen lässt. Beim Gripen-Film war ich dann gewissermassen selbst ein IKRK-Delegierter (lacht): Die Leute, die mir Auskunft gaben, mussten sicher sein können, dass das, was sie mir erzählten, nicht durch mich als Übermittler auch im anderen Lager ankommen könnte.

 

Im Film kommen viele Leute ausführlich zu Wort: Welche Aussagen hätten Sie so nicht erwartet, und was hat Sie sonst noch überrascht?

Bundesrat Ueli Maurer hat mich am meisten überrascht – er hat allerdings alle überrascht: Ich hatte geglaubt, er würde sich von der Kampagne für den FA/18 inspirieren lassen. Für jenen Kampfflieger sah es erst schlecht aus, doch dann konnte die Pro-Kampagne, nicht zuletzt dank grossem Einsatz von Exponenten der Armee, gerade noch rechtzeitig das Steuer herumreissen. Denn die GSoA war schon damals und ist auch heute noch eine Gruppe von nicht zu unterschätzender Bedeutung, die viele Leute mobilisieren kann. Das aber hat Ueli Maurer offensichtlich nicht gesehen.

 

Warum Maurer so reagiert hat, kommt im Film jedoch nicht vor.

Man kann nie alles erklären. Er ist offensichtlich davon ausgegangen, dass er sich bei dieser Frage ebenso heraushalten müsse wie die Armee. Er hat voll auf die Politik gesetzt – und verloren. Dazu kam auch noch Unvorhergesehenes, was sich negativ auswirkte, etwa, dass sich bei der Abstimmung zur Masseneinwanderungsinitiative im Februar 2014 die Rechten durchsetzten.

 

Was hat das mit dem Gripen-Nein zu tun?

Mit jenem Ja hatte niemand gerechnet, wahrscheinlich auch Ueli Maurer und die SVP nicht. Vor allem aber waren nicht wenige der VerliererInnen der Abstimmung dermassen enttäuscht und wütend, dass sie den Rechten bei nächster Gelegenheit eins auswischen wollten. Die Gripen-Abstimmung bot diese Gelegenheit.

 

Was hat Sie sonst noch überrascht?

Wie innerhalb der GSoA diskutiert wurde: Die Aktivistinnen und Aktivisten waren sich bewusst, dass sie dieses Mal nicht für ihre GSoA weibeln durften, sondern dass es ausschliesslich darum ging, den Gripen zu verhindern. Sie mussten alles geben, aber nicht für sich und ihre Sache. Dass es ihnen gelang, sich so stark zu engagieren, obwohl sie sich gleichzeitig total zurücknehmen mussten, hat mich erstaunt – und beeindruckt. Ebenfalls speziell war die Episode mit der Entführung des äthiopischen Flugzeugs in Genf: Das Flugzeug wurde von der französischen Luftwaffe abgefangen und zur Landung auf dem Genfer Flughafen begleitet. Die Schweizer Luftwaffe war dazu nicht in der Lage, da sich der Vorfall nach 18 Uhr abends ereignete.

 

Dass daraufhin die ganze Schweiz darüber lachte, dass die Kampfflieger unserer Armee nur zu Bürozeiten fliegen, hat das Pro-Komitee offensichtlich auf dem falschen Fuss erwischt.

Das Departement von Ueli Maurer hat auf jeden Fall nicht gut reagiert: Es liess lediglich verlauten, es sei nun mal so, dass man nicht rund um die Uhr fliegen könne. Dieses Aussage entspricht zwar der Wahrheit, doch angesichts des bereits angerichteten Schadens hätte man den Sachverhalt wohl etwas weniger absolut schildern müssen.

 

Allein schuld am Nein zum Gripen ist diese Geschichte aber nicht.

Tatsächlich ist es erstaunlich, wie viele unerwartete und überraschende Ereignisse im Vorfeld dieser Abstimmung zusammengekommen sind: Nebst der Abstimmung zur Masseneinwanderung und der Flugzeugentführung spielte auch noch der Ukraine-Krieg hinein, und das Verhalten des schwedischen Botschafters, der sich in einem geheimen Dokument negativ über Schweizer ParlamentarierInnen äusserte, sorgte für zusätzliche negative Schlagzeilen. All diese Ereignisse haben die Karten jedes Mal neu gemischt – und sie waren allesamt nicht vorhersehbar.

 

Sie untersuchen in Ihrem Film, welche Rolle Emotionen bei einem Volksentscheid spielen – und Sie tun das, indem Sie die Kamera die Sicht eines neutralen Beobachters einnehmen lassen. Wie gut lassen sich Gefühle untersuchen, wenn man sich nicht auf sie einlässt?

Es ist weder ungewöhnlich noch unmöglich, sich hochemotionalen Ereignissen als neutraler Beobachter zu nähern. Ein Arzt beispielsweise lässt sich angesichts eines Unfallpatienten auch nicht auf dessen traumatisches Erlebnis ein, sondern konzentriert sich darauf, ihm zu helfen. In meinem Film hätte ich die Emotionen im Vorfeld, während und nach dieser Abstimmung nicht schildern können, wenn ich selbst involviert gewesen wäre. Es war übrigens sehr interessant, nicht nur für mich, sondern auch für mein Team, wenn wir am selben Tag in beiden Lagern zu Gast waren: Die Stimmung war je nachdem eine völlig andere. Auch bei der Bevölkerung wussten wir nicht, wie sie reagieren würde; wir filmten einige Leute zum Beispiel vor und nach Bekanntwerden des «Bürozeiten-Falls», und wir wussten nie im Voraus, wie sie reagieren würden.

 

Kurz: Die Arbeit am Film hat Spass gemacht?

Ja, sicher. Die Diskussionen – und die Art, wie sie geführt wurden – waren das Spannende daran. Und für einmal war ich sogar mit Christoph Blocher einig: Er sagt im Film, es sei entscheidend, wie die politische Diskussion geführt werde; das Resultat sei nicht so wichtig, das könne so oder so ausfallen, ohne dass die Welt untergehe.

 

Und, welche Rolle spielen nun die Emotionen für einen Volksentscheid?

Politik zu machen heisst, Emotionen zu wecken, zu schüren, je nachdem auch wieder zu bremsen; Politik ohne Emotionen gibt es nicht. «Das Volk» ist höchstens teilweise rational; die Argumente müssen emotional sein, sonst bleiben sie an der Oberfläche beziehungsweise erreichen nur die Spezialisten, nicht den grössten Teil der Bevölkerung. Wer das bedauert, hat nicht begriffen, wie Politik funktioniert.

 

Zum Schluss des Films hätte ich mir als Ergänzung des neutralen Beobachtens einen persönlichen Kommentar vorstellen können; einen solchen gibt es jedoch nicht.

Mein Kommentar ist schon da, einfach indirekt, im Epilog: In der Schweiz können die Leute über alles miteinander diskutieren. Das heisst für mich, dass die Politik funktioniert. Sie hat zwei Ebenen, die parlamentarische wie in unsern Nachbarländern, aber auch die speziell schweizerische mit den Volksinitiativen und den vielen Abstimmungen. Oder anders gesagt: Das Volk bei uns ist auf der Höhe. Das ist mein Kommentar.

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