Zuhören statt verbieten

Die Zürcher Frauenzentrale hat vor zwei Wochen eine Kampagne gegen Prostitution lanciert. «Stopp Prostitution, für eine Schweiz ohne Freier». Ziel der Aktion: Die Schweiz soll es gleichmachen wie Schweden und den Kauf von Sex verbieten. Damit möchte die Frauenzentrale eine Diskussion anstossen über Menschenwürde, das Verhältnis der Geschlechter und über die Verantwortung von Freiern. In Tat und Wahrheit liefert sie bereits die Antwort: ein Verbot. Schweden hat das Sexkaufverbot 1999 eingeführt – etwa gleichzeitig mit dem Aufkommen des Internets, übrigens. Seither ist wohl die Prostitution in Schweden weniger sichtbar, hat sich das Problem also erledigt?

 

Um es vorweg zu nehmen: Ich hatte selber einmal Sympathien für dieses Modell. Es klang wunderbar: Freier bestrafen, Nachfrage verbieten und Sexismus beenden. Weil natürlich: Prostitution ist ein Gewerbe, in dem Gewalt und Ausbeutung vorkommen,  sexistische Machtverhältnisse herrschen und Frauen, die Sex verkaufen, sind vulnerabel und oft prekarisiert. Ich bezeichne mich als Feministin und als Linke. Ich verabscheue das Patriarchat, ich mag keine Freier und ich halte Männer, die glauben, sie haben ein Recht auf Sex, für ein grosses Problem. Diese Männer würde ich ebenfalls gerne verbieten. Aber ich habe mir Leitlinien für die Politik, die ich unterstütze, gegeben. Erstens: Ich nehme Frauen ernst und versuche mir die Argumente anzuhören und ihre Entscheidungen zu respektieren. Zweitens: Ich unterstütze keine Politik, welche den Verletzlichsten schadet. Und drittens: Ich bin zunehmend skeptisch gegenüber einfachen Lösungen, denn sie haben meist einen Haken.  Bezüglich der Prostitution und dem Schwedenmodell heisst dies also: Ich höre den Sexarbeiterinnen und den Organisationen, die an der Front arbeiten zu. Sie sagen «Nein» zum Schwedenmodell. Sie haben das auch in Schweden damals gemacht, wurden aber nicht angehört. Nun gut, sie könnten sich ja geirrt haben. Welche Konsequenzen hatte denn also dieses Sexkaufverbot für die Sexarbeiterinnen?

 

Leider keine positiven. Sexarbeit ist in Schweden zwar weniger sichtbar, aber nicht verschwunden. Sie hat sich in den Untergrund verschoben. Für die betroffenen Frauen heisst das: weniger Zugang zu Schutz und Unterstützung. Sie berichten von mehr Angst vor Gewalt, sie sind ausbeutbarer. Das ist logisch: Wenn sie Sexarbeit anbieten in ihrer Wohnung und Gewalt durch einen Freier erfahren, rufen sie kaum die Polizei. Weil die Polizei dann weiss, wo Sexkauf stattfindet und sie so ihre Einnahmequelle verlieren. Das wäre in der Schweiz nicht anders.

 

Natürlich kann einem das egal sein, vor allem als privilegierte Schweizer Mittelschichtsfrau, wie ich oder die meisten in meinem Umfeld es sind. In dieser Position kann man sich an Prostitution stören, weil selber wird man es kaum je machen müssen. Man kann auch sagen, man würde doch nicht wollen, dass die eigene Tochter Prostituierte sei, dafür habe ich ebenfalls Verständnis, allerdings ist es in der aktuellen Welt die Realität, dass die Töchter von anderen Frauen aus Polen, Ungarn oder Thailand als Sexarbeiterinnen in die Schweiz kommen, weil es ihre beste ökonomische Option ist. Eine emanzipatorische Politik sollte diese Frauen stärken in ihren Rechten. Und sie sicher nicht noch mehr stigmatisieren. Und eine gute feministische Auseinandersetzung würde diese Argumente und Bedenken aufnehmen, weil sie stehen seit langen Jahren im Raum, statt stur auf einem Modell zu beharren, von dem längst klar ist, dass es nicht funktioniert.

 

Natascha Wey

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