Zufluchtsort in schwierigem Gelände

Vor 25 Jahren öffnete das Mädchenhaus Zürich zum ersten Mal seine Tür. Seither haben rund 1200 Mädchen dort angeklopft. Im Buch «Gewaltige Geschichten – und das Leben danach» blicken sechs Frauen auf ihre Zeit im Mädchenhaus zurück.

 

Das Mädchenhaus Zürich feierte gestern Donnerstag das 25-Jahre-Jubiläum und die Vernissage seines Jubiläumsbuchs. Feiern? Das tönt in diesem Zusammenhang (siehe Kasten) seltsam. In der Einladung hiess es denn auch: «Gewalt gegen Mädchen und junge Frauen ist wahrlich kein Grund zum Jubilieren – aber das 25-jährige Bestehen des Mädchenhauses Zürich ist Anlass genug zu feiern.»

 

Zwei Studentinnen der Schule für Soziale Arbeit in Zürich, die heutige Sozialarbeiterin Rosita Schaub und die heutige Supervisorin Eveline Jordi, hatten zu Beginn der 1990er-Jahre untersucht, wie von Gewalt betroffene Mädchen und junge Frauen unterstützt werden könnten. Sie legten ein erstes Konzept für ein Mädchenhaus vor.

Im Dezember 1994 war Eröffnung. Heute wird das Mädchenhaus Zürich durch Bund und Kanton Zürich sowie durch Spenden finanziert.

 

«Dürfte nicht nötig sein»

 

«Das Mädchenhaus ist eine jener Einrichtungen, die nicht nötig sein dürften und es dennoch sind», schreibt Regierungsrätin Jacqueline Fehr im Vorwort des Jubiläumsbuches «Gewaltige Geschichten – und das Leben danach». Sie zeigt auch gleich auf, was die Politik noch beisteuern muss: Seit dem 1. April 2018 ist die Istanbul-Konvention in Kraft. Sie verpflichet die Schweiz unter anderem dazu, leicht zugängliche Schutzunterkünfte für Opfer zur Verfügung zu stellen, wie das Mädchenhaus eine ist. «Mit der Istanbul-Konvention öffnet sich ein neues Fenster. Sie erhöht den Druck für eine bessere und verlässlichere Finanzierung. Diese Aufgabe packen wir gemeinsam an. Zusammen mit allen Kräften innerhalb und ausserhalb der Parlamente, die sich nicht länger mit Lippenbekenntnissen zum Opferschutz zufriedengeben», hält Fehr fest.

 

Die Mitgründerinnen Schaub und Jordi erzählen im Interview mit der Journalistin Judith Hochstrasser unter anderem, dass nach dem Frauenstreik 1991 «unendliche Power in der Luft» gelegen habe und dass sie «recht frech» gewesen seien: «Vor der Vormundschaftsbehörde argumentierten wir hartnäckig und liessen uns nicht von unserer Überzeugung abbringen. Es braucht einen parteilichen Ansatz, wenn ein Mädchen zu Hause Gewalt erlebt hat. Fertig.» Doch sie betonen auch dies: «Dass Mädchen und junge Frauen in der Familie Gewalt erleben, wurde aber nie infrage gestellt.»

 

«Wir verneigen uns vor eurem Mut!»

 

Den Hauptteil des Buches bilden sechs Geschichten von jungen Frauen, die einst im Mädchenhaus wohnten. Miriam Nido, Co-Präsidentin des Vereins Mädchenhaus seit 2015, betont, «mit ihrer Offenheit, über das Erlebte zu sprechen, haben uns die jungen Frauen ein grosses Geschenk gemacht: berührende Geschichten, Biografien, die uns nur erahnen lassen, welche Auswirkungen Gewalt im Leben eines jungen Menschen haben kann. (…) Wir verneigen uns vor eurem Mut!»

 

Ardita, Ellen, Lena, Maria, Clara und Marion ist Schlimmes passiert, das zeigen in konzentrierter Form bereits die Titel der Beiträge : «Ich dachte nur noch: Ich muss da weg.» Oder: «Egal, was ich getan habe, es hat nie genügt.» Oder: «Ich war so durcheinander, dass ich mich umbringen wollte.» Es lohnt sich dennoch, weiterzulesen. Die jungen Frauen haben es geschafft, die schlimmen Erlebnisse zu verarbeiten, sie haben die Schule oder Lehre wieder aufgenommen oder bereits abgeschlossen, einige sind in guten Beziehungen und haben Kinder. Sie haben aber auch ihre Grenzen kennengelernt: «Ich muss akzeptieren, dass ich psychisch nie ein normaler Mensch sein werde», wird Ellen zitiert.

 

Was die Mädchen auf der Suche nach Unterstützung zum Teil erleben mussten, ist auch nichts für schwache Nerven. So berichtet etwa Lena, wie sie bei Pflegeeltern landete, denen es nur ums Geld ging. Als sie einmal ihren Freund nach Hause nahm und er zum Nachtessen blieb, «nahmen sie ihre Pflegeeltern zur Seite und sagten ihr, sie müsse für das zusätzliche Essen des Freundes bezahlen».

 

Ohne das Mädchenhaus wäre es für alle noch viel schwieriger geworden, soviel steht fest. Marion drückt es so aus: «In der ganzen Geschichte war das Mädchenhaus für mich sehr wichtig, weil es dort zum ersten Mal um mich ging.»

 

maedchenhaus.ch

Mädchenhaus Zürich (Hg.): Gewaltige Geschichten – und das Leben danach. Zürich 2019, 95 Seiten, 18 Franken. Zu bestellen unter admi@maedchenhaus.ch

Dieser Artikel, die Honorare und Löhne unserer MitarbeiterInnen, unsere IT-Infrastruktur, Recherchen und andere Investitionen kosten viel Geld. Unterstützen Sie die Arbeit des P.S mit einem Abo oder einer Spende – bequem via Twint oder Kreditkarte.