Besprechen, wie die Schweiz tickt

Ein Besuch im kantonalen Durchgangszentrum Kollbrunn ermöglichte einen Einblick in die in diesem Jahr angelaufene muttersprachliche Erstinformation der Zürcher Fachorganisation AOZ.

 

Thomas Loosli

 

Es ist kalt, aber sonnig in Kollbrunn, einem kleinen Dorf im Tösstal in der Nähe von Winterthur. Das Durchgangszentrum Kollbrunn bietet Platz für 128 Asylsuchende. Es ist eines der Durchgangszentren im Kanton Zürich, in denen neu angekommene Geflüchtete sich mit verschiedenen Aspekten des hiesigen Lebens auseinandersetzen. In einem Schulzimmer des Zentrums sitzen etwa zehn erwachsene BewohnerInnen. Das Gespräch läuft auf Arabisch, die meisten TeilnehmerInnen sind aus Syrien. Yusra Diarbakerly Bunni ist die Kursleiterin. Sie arbeitet sonst als Erwachsenenbildnerin und Dolmetscherin und lebt seit vielen Jahren in der Schweiz. Die Teilnehmenden sitzen an Pulten im Halbkreis und machen aufmerksam mit. Die meisten sind jung, eine Frau hält ihr Kind im Arm.

 

Yusra Diarbakerly ist eine energische und positive Person, sie stellt Fragen, gestikuliert, holt einen Ordner aus dem Schrank, um den Geflüchteten zu zeigen, dass es amtliche Papiere schön einzuordnen gilt. «Ich gebe viele Beispiele», sagt sie auf ihren Stil der Informationsvermittlung angesprochen. «Und es soll auch ein wenig lustig sein».

 

Eine der Schülerinnen ist Noura Al-Abdullah. Sie ist 22 Jahre alt und erst seit fünf Monaten in der Schweiz. «Termine, Pünktlichkeit und Sozialhilfe haben wir heute besprochen», meint sie. Am meisten gefalle ihr, dass sie sich ein Grundwissen über die hiesige Kultur aneignen könne, denn am meisten interessiere sie, wie man mit der lokalen Bevölkerung gut zurechtkomme. Ihr grösster Wunsch sei es, möglichst schnell Deutsch zu lernen und eine Ausbildung zu beginnen.

 

Einführungskurse und Infodesk

 

Das AOZ-Angebot «Swiss Skills» besteht hier aus zwei Komponenten. Aktuell gibt es in den Zürcher Durchgangszentren Einführungskurse und Infodesks. Die Basisinformationen für die Newcomers bestehen aus fünf Modulen, die jeweils drei Stunden dauern. Der Infodesk ist ein Informations- und Beratungsangebot, das einmal pro Woche von AOZ-BeraterInnen durchgeführt wird und allen Geflüchteten zur Verfügung steht. Das Angebot ist mit einer Sprechstunde vergleichbar, in welcher individuell oder in einer Kleingruppe Fragen der Geflüchteten in ihrer Muttersprache besprochen werden. Die Swiss Skills-Erstinformation wird in den Sprachen Arabisch, Dari/Farsi, Tigrinya sowie in weiteren Sprachen von speziell geschulten und sorgfältig ausgesuchten Personen durchgeführt. Das Angebot richtet sich vor allem an MigrantInnen, die in der Schweiz bleiben, also an anerkannte Flüchtlinge und vorläufig aufgenommene Personen. «Sobald sie im Durchgangszentrum sind, können sie das Swiss Skills Angebot nutzen», erklärt AOZ-Projektleiterin Ramona Bühler. Unter ihrer Leitung wurden die kursartigen Dienstleistungen entwickelt, bei denen es um die  Themenbereiche «Ankommen in einer neuen Gesellschaft», «Zusammenleben und Nachbarschaft», «Sozialhilfe und Behördenkontakte», «Gesundheitssystem», «Arbeitsintegration und Bildungssystem» geht. Das Modul «Gesellschaft» ist etwas komplexer als die anderen Module, da es nicht nur um Fakten geht, sondern darum, was in der Schweiz gesellschaftlich akzeptiert ist und was weniger. «Es geht dabei nicht um Do’s und Don’ts, sondern darum, den Geflüchteten die Vielfalt der Schweiz zu vermitteln», erklärt Ramona Bühler. Wichtig sei es, über Erwartungen zu sprechen. Zudem werde angesprochen, wie sich Männer und Frauen in der Schweiz begegnen. Dazu müsse man auch auf rechtliche Aspekte aufmerksam machen, zum Beispiel darauf hinweisen, dass häusliche Gewalt ein Strafverfahren nach sich ziehen kann. Häufig werde in Diskussionen zu gesellschaftlichen Fragen auch der Vergleich mit dem Herkunftsland herangezogen. «Wir wollen bei den Flüchtlingen einen Reflexionsprozess anregen», sagt Ramona Bühler.

 

Integrationsagenda

 

Neu an der aktuellen Praxis von «Swiss Skills» ist die Arbeit auf kantonaler Ebene. Kantonal bedeutet, dass die muttersprachliche Erstinformation auch geflüchteten Personen angeboten wird, die erst seit kurzem im Kanton Zürich, das heisst noch nicht einer Gemeinde zugewiesen worden sind. Seit Bund und Kantone per Mai 2019 die nationale Integrationsagenda lanciert haben, steht den Kantonen pro Flüchtling und pro vorläufig aufgenommene Person 18 000 Franken pro Jahr zur Verfügung. Vorher waren es nur 6000 Franken. Mit dem gesprochenen Geld sind Auflagen verbunden. Jeder Kanton musste ein Konzept zur Umsetzung der Ziele erarbeiten. Die Erstinformation für Geflüchtete mit Basisinformationen, Vertiefungskursen und dem Infodesk ist ein Teil der Umsetzung eben dieser Integrationsagenda. Dass sich Integration auszahlt, ist hinlänglich bekannt. Die Swiss Skills-Erstinformation ist ein erfolgsversprechender Schritt auf dem langen Weg in die schweizerische Gesellschaft.

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